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»Fahren wir weiter!« rief Karjuk.

»Ein Sturm zieht auf«, gab Imnak zu bedenken und deutete nach Süden. »Wir sollten unser Lager aufschlagen.«

»Wir lagern später«, sagte Karjuk.

»Ist das ratsam?« fragte Ram.

»Nein«, sagte Imnak.

Wir richteten unsere Schlitten aus.

»Bindet die Mädchen an den Schlitten«, sagte Imnak.

Der Wind frischte auf.

Ich band Arlene mit einer Lederleine am Schlitten fest; das Leder verknotete ich fest um ihren Hals. Die Leine war etwa fünfzehn Fuß lang. Audrey wurde auf ähnliche Weise gesichert. Imnak machte Barbara und Poalu auf der anderen Seite des Schlittens fest.

Karjuk trat auf die Kufen seines Schlittens und ließ über den Köpfen der Schnee-Sleen seine Peitsche knallen.

Rams Schlitten fuhr hinter ihm an.

»Los!« rief Imnak, der seinen Platz hinter dem Schlitten eingenommen hatte, und schwang die Peitsche. Akkos Schnee-Sleen stemmte sich mit gekrümmtem Rücken und breitgestellten Krallenfüßen in das Geschirr und brachte den Schlitten in Gang. Ich schob von der Seite noch einen Augenblick lang mit, damit das Fahrzeug Tempo gewann. Imnak fuhr nicht auf den Kufen mit, sondern rannte dazwischen. Ich trottete daneben her, auf der rechten Seite. Die Mädchen, ihren Fesseln folgend, liefen ebenfalls los.

Manchmal läuft ein Mann oder eine Frau vor dem Schlitten her, um den Sleen zur Eile anzutreiben; das Tier paßt sich einem solchen Vorbild normalerweise an. In unserer Situation war so etwas jedoch nicht erforderlich, da uns das Tempo von zwei Schlitten vorgegeben wurde, von Karjuk und Ram, die unsere Kolonne anführten.

Von Zeit zu Zeit stellte sich Imnak auf die Kufen, drehte sich um und musterte das zerklüftete Terrain hinter uns. So etwas ist üblich bei den rothäutigen Jägern. Auf diese Weise vergewissern sie sich, daß keine Gefahren von hinten drohen, außerdem erhalten sie einen Eindruck davon, wie das Land auf der Rückfahrt aussehen wird. Damit verringert sich die Wahrscheinlichkeit, daß er fehlgeht, weil er sich auf eine Weise das Bild der Gegend aus umgekehrter Sicht schon eingeprägt hat. Natürlich ist so etwas auf einem Eismeer weniger ergiebig, weil die endlosen bizarren Eisformationen sich so ähnlich sind. Es gibt natürlich auch noch die Sterne und die Winde. Für den rothäutigen Jäger sind Winde bei der Richtungsbestimmung äußerst wichtig, denn zu gewissen Zeiten wehen sie vorherrschend aus bestimmten Richtungen. Er vermag sogar bei dunkler Nacht, wenn bei bewölktem Himmel Windstille herrscht, die Richtung zu bestimmen, indem er mit behandschuhten Händen die Ausrichtung von Eiskristallen auf Hängen und Eisblöcken bestimmt, Spuren des früher vorbeistreichenden Windes. Damit soll nicht gesagt sein, daß sich rothäutige Jäger niemals verirren. Andererseits hat ein erfahrener Spurenleser im allgemeinen eine recht gute Vorstellung davon, wo er sich befindet. Das Land, die Winde, die Sterne helfen ihm bei der Kursbestimmung, hinzu kommt der ausgeprägte Orientierungssinn, der auf die rauhe Umgebung bestens eingestimmt ist. Interessanterweise zeigt ein rothäutiger Jäger bei seinen Beschreibungen und bei primitiven in den Schnee gezeichneten Landkarten weniger Interesse für Landmassen oder ihre Formen. Sein Interesse richtet sich auf feste geographische Fixpunkte. Die Form einer Halbinsel, auf der er sein ständiges Lager hat, interessiert ihn beispielsweise weniger als Richtung und Entfernung zum Nachbarlager. Darin liegt eine gewisse Logik. Wenn man zwischen karthographischer Genauigkeit und dem sicheren Eintreffen im nächsten Lager wählen müßte, würde man sich wohl in jedem Falle für das Überleben entscheiden. Und sollte sich ein rothäutiger Jäger einmal verirren, kann er sich unter normalen Umständen ohne weiteres eine Zeitlang am Leben halten. Zu seinem regulären Gepäck gehören Haken, Angelschnur, Schlingen und Harpunen. Mancher Jäger ist schon monatelang herumgeirrt. Natürlich kann er auch seinen Schlitten-Sleen töten und aufzehren; in einer solchen Situation muß der Jäger aber darauf achten, der erste am Zuge zu sein. Ist ein Schnee-Sleen hungrig genug, wendet er sich auch gegen seinen Herrn, Im Norden lauern viele Gefahren, und ich hatte noch viel zu lernen. Es freute mich, in Imnaks Gesellschaft reisen zu dürfen. Ich hielt ihn zwar für absonderlich, andererseits bewunderte ich ihn sehr. Ich täuschte mich nicht darüber hinweg, daß ich ihm viel schuldig war. Zum Glück aber waren wir Freunde, und zwischen Freunden kann es keine Schuldkonten geben.

Auch ich schaute von Zeit zu Zeit zurück. Dabei ging es mir nicht nur um die Form der Landschaft, sondern um etwas anderes, das rothäutige Jäger und Krieger aus dem Süden gemein haben. Man muß wissen, ob man Verfolger hat.

Ich ließ mich ein wenig zurückfallen und trabte neben Imnak her.

»Hast du es gesehen?« fragte ich.

»Seit vier Tagen begleitet es uns«, sagte er.

»Glaubst du, Karjuk weiß von seiner Existenz?«

»Wie könnte er das nicht wissen?«

»Hast du irgendwelche Vorschläge, was wir tun sollen?«

»Wir wollen weiterfahren«, sagte Imnak. »Auf dem Eis mag es uns verlieren. Außerdem möchte ich Karjuk nicht den Rücken zudrehen.«

»Aber er ist der Wächter!« sagte ich.

»Hast du den Kopf des Eis-Ungeheuers gesehen, den er ins Lager brachte?« fragte Imnak.

»Ja.«

»Hast du ihn genau untersucht?«

»Ja«, sagte ich. »Aber Karjuk ist der Wächter«, wiederholte ich.

»Ja. Aber wen bewacht er?«

24

Der Wind tobte heulend, und ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten.

»Wir müssen anhalten!« rief ich Imnak durch den Sturm zu. Ich wußte nicht, ob er mich überhaupt hören konnte, dabei war er nur gut einen Meter von mir entfernt. Es war pechschwarz, Monde und Sterne waren verdeckt. Böen trafen die Felle, die ich am Leibe trug, und hätten sie am liebsten fortgerissen. Meine linke Hand lag fest auf den Vorräten auf dem Schlitten. Gleich darauf begann es zu schneien; die Kristalle peitschten uns beinahe waagerecht ins Gesicht. Ich zog mir die Kapuze tief ins Gesicht. Das Lartfell, das die Umrandung bildete, wurde mir auf der linken Seite gegen das Gesicht gepreßt und rechts beinahe abgerissen. Meine Gesichtshaut schien zu gefrieren. Zu sehen war nichts mehr. Den Schlitten festhaltend, stolperte ich dennoch weiter. Die Mädchen waren nicht zu sehen, aber ich wußte, daß sie am Schlitten festgebunden waren und im Sturm nicht verlorengehen konnten.

»Wir sehen nicht mehr, wohin wir fahren!« rief ich Imnak zu. »Wir müssen anhalten!«

Der Sleen im Geschirr vor mir jaulte kurz auf, ein Laut, der von dem Sturm zerrissen wurde. Ich spürte, daß Imnak sich umdrehte, dann stand er wieder an den senkrechten Stützen aus Tabukhorn, mit denen er den Schlitten lenkte. Eine schmale Lücke in den Wolken zeigte nicht nur ihn, sondern die Mädchen, die die Hände an die Sklavenkragen gehoben hatten und erschöpft dahinstolperten, in Felle gehüllte, müde Gestalten. Und schon war es wieder dunkel. Weiter vorn hatte ich Rams Schlitten gesehen, nicht aber Karjuks Gefährt.

»Es wäre Wahnsinn, nicht zu rasten!« rief ich Imnak zu.

Unser Schlitten steckte zwischen zwei Eisblöcken fest. Imnak und ich neigten ihn, ließen ihn auf einer Kufe weiterlaufen und stellten ihn wieder gerade.