Imnak stellte die zweite Reihe Schneeblöcke fertig.
»Distel«, sagte Poalu zu Audrey, »bring mir das Kochgestell und den Wasserkessel.« Sobald die Lampe entzündet ist, die als Lichtquelle, Ofen und Herd dient, wird Schnee zum Trinken geschmolzen und Wasser erhitzt, um Fleisch darin zu kochen.
Unser Sleen warf plötzlich den Kopf in den Nacken und stieß einen langen, schrillen Schrei aus.
»Er wird wieder wild«, sagte Imnak.
»Soll ich ihn töten, solange dazu noch Gelegenheit ist?« fragte ich.
»Binde ihm Kiefer und Läufe zusammen«, sagte Imnak. »Der Anfall geht vorbei.«
Ich sammelte die Lederleinen ein, mit denen die Mädchen an, die Schlitten gefesselt gewesen waren.
»Da sind sie!« rief Arlene. »Da! Da!«
Der Sleen wehrte sich, doch ich warf ihn im Schnee auf die Seite und band ihm die Schnauze zu. Dann schnürte ich seine drei Beinpaare zusammen.
»Bring das Tier in die Umfriedung!« sagte Imnak,
Ich hakte das Geschirr vom Schlitten los und zerrte das Tier daran in den schützenden Kreis.
»Wenn es sich windet, wird es die Mauer aufbrechen oder die Lampe umwerfen«, sagte ich.
»Dazu darfst du es nicht kommen lassen«, sagte Imnak.
Ich band die Vorderpfoten des Sleen an seine Hinterpfoten, die die größte Sprungkraft besaßen. Auf diese Weise wurde ein Großteil seiner Energien in den Fesseln gebannt.
»Sie kommen näher!« rief Arlene.
»Komm in die Umfriedung!« sagte ich zu ihr. Imnak hatte erst zwei Reihen errichtet und erst einen Teil der dritten. Dennoch hörte er nicht auf, Schneeblöcke aus der Wehe zu schneiden.
Arlene begab sich in den Schutz der niedrigen, kreisförmigen Mauer. Das Jagdgeschrei der Sleen war von erschreckender Wildheit. Das Rudel war kaum noch einen halben Pasang entfernt.
»Die Zeit wird knapp, Imnak!« sagte ich. »Komm zu uns!«
Er schnitt weiter seine Blöcke, allerdings ohne sie noch auf die Mauer zu stellen. Normalerweise werden solche Bausteine von innen angebracht. Wenn der Kuppelbau vollendet ist – was bei unserem nicht der Fall war – wird der letzte Block von draußen angebracht. Der Erbauer begibt sich dann ins Innere und schließt die letzte Lücke von innen mit Hilfe seines Schneemessers. Eine Öffnung bleibt für Luft und Rauch. Imnaks Mauer war hastig aufeinandergetürmt; Lücken zwischen den Blöcken konnten noch mit Schnee ausgestopft werden, der bei dieser Kälte wie Mörtel wirkte.
»Halt dich bereit, die Sleen von der Mauer zurückzudrängen!« sagte Imnak zu mir.
Ich stand innerhalb der niedrigen Umfriedung und hob meinen Speer. »Komm zu mir herein!« sagte ich.
»Gleich!« antwortete er und wandte sich an Poalu. »Kocht das Wasser?«
»Nein«, sagte sie, »aber es ist warm.«
»Beeil dich, Imnak!« rief ich. Ich verstand nicht, warum er Schneeblöcke schnitt, wenn er keine Zeit mehr hatte, sie auf die Mauer zu stellen. Außerdem wußte ich nicht, warum sich Poalu damit abgab, über der flachen Lampe Schnee zu schmelzen. Solche hausfraulichen Tätigkeiten schienen mir jetzt nicht an der Tagesordnung zu sein.
Die Sleen strömten über das Eis auf uns zu – wie eine schwarze Wolke, die von Wind auseinandergetrieben wird und sich dann doch wieder zusammenballt. Die Wolke war nur noch einen Viertel-Pasang entfernt.
»Ist es jetzt aus, Herr?« fragte Arlene.
»Es sieht so aus«, antwortete ich. »Was mich betrifft, so soll es ein guter Kampf werden. Es tut mir allerdings leid, daß du hier bist.«
»Willst du mir nicht die Freiheit geben?« fragte sie.
»Nein.«
Wenn wir von den Sleen zerrissen werden sollten, dann würde ich als freier Mann sterben und sie als Sklavin. Das waren wir nun mal.
»Ja, Herr«, sagte sie.
Schrill drang das scheußliche Geschrei der Sleen an unsere Ohren. Durch die kalte Luft tönte sogar das Keuchen der Tiere zu uns, das Kratzen der Klauen auf dem Eis.
Etwa zwanzig Fuß vor dem teilweise errichteten Schutzkreis hackte Imnak immer noch mit seinem Messer auf das Eis ein.
Die Sleen waren noch zweihundert Meter entfernt und hasteten voller Erregung naher.
Imnak eilte zu der niedrigen Eismauer, doch anstatt hereinzukommen, nahm er von Poalu eine Scheibe Fleisch entgegen und griff mit der anderen Hand nach dem Griff des Wasserkessels. Er eilte zu dem Loch, das er in das Eis geschnitten hatte, stieß das Fleisch auf die Klinge des Messers und drückte dann den Messergriff in das Loch, das er ins Eis gehackt hatte. Schließlich schüttete er das Wasser in das Loch, rings um den Messergriff. Er brauchte nur einen Moment lang zu warten, ehe das Wasser gefror und das Messer in der Eisschicht verankerte.
»Beeil dich!« rief ich.
Ein Sleen hatte sich auf Imnak gestürzt. Er rollte mit dem Tier zur Seite. Ich sprang über die niedrige Mauer, stürzte zu ihm und stieß dem Tier den Speer in den Leib. Mit dem Speer hielt ich den um sich schnappenden Angreifer auf dem Eis fest, während Imnak mit zerrissenem Pelzgewand aufsprang. Einem zweiten Sleen, der auf mich zusprang, versetzte er einen Tritt in die Schnauze. Ich zog den Speer aus dem verwundeten Tier, das sich mit klaffendem Maul aufrappelte; gleich darauf stieß ich mit dem Speerschaft einen dritten Angreifer zur Seite. Imnak brüllte mir etwas ins Ohr. Mit der Speerspitze wehrte ich die Fänge des verwundeten Sleen ab. Schon umringten uns weitere Sleen, sich windend, uns umkreisend. Brüllend und um sich tretend zerrte mich Imnak auf die Umfriedung zu. Ein weiterer Sleen strich an mir vorbei. Ein anderes Tier rupfte an dem Pelz meiner Stiefel. Im nächsten Augenblick standen Imnak und ich im Schutz der niedrigen Schutzmauer; jeder von uns hielt einen Speer in der Hand. Schon strömte die dichte Flut der Sleen, nicht mehr nur die Führungstiere, um die kleine kreisförmige Schutzzone, fauchend und zähnefletschend. Die Augen funkelten zornig im Mondschein. Ich stieß ein Tier von der Mauer fort, und auch Imnak erwehrte sich heftig der Angriffe. Unser zahmer Sleen bewegte sich ruckartig zu unseren Füßen und versuchte von den Fesseln loszukommen. Ein Tier sprang in unseren Schneekreis; ich geriet unmittelbar unter diesen Angreifer, bäumte mich auf und hebelte ihn mit eigener Kraft zur anderen Seite wieder hinaus, mitten zwischen seine Artgenossen. Audrey schrie auf. Poalu schleuderte brennendes Öl aus der Lampe in das Gesicht eines Sleen. Schluchzend wich Arlene vor einem Tier zurück, das halb über der Mauer hing. Ich packte das Geschöpf mit einer Hand um die Kehle, hebelte die andere unter die linke Vorderpfote und drängte es wieder zwischen die anderen. Imnak schob ebenfalls einen Sleen zurück. Erneut griff ich nach meinem Speer und stieß ihn einem Sleen ins Gesicht, der eben über die Mauer springen wollte. Fauchend und zischend zuckte er zur Seite.
Die Sleen umkreisten unsere Umfriedung, zwanzig oder dreißig Fuß entfernt, dunkle Schatten auf dem Eis.
Ein Wesen hastete auf die Mauer und sprang in die Höhe, doch ich begegnete den Angriff mit der Speerspitze. Mit blutender Schnauze fiel das Ungeheuer zur Seite. Imnak wehrte zwei weitere Angreifer ab.
Dann war es eine Zeitlang ruhig.
»Es sind so viele«, sagte Arlene.
»Ein großes Rudel«, sagte ich.
Im schwachen Licht vermochte ich die sich schattenhaft bewegenden Geschöpfe nicht zu zählen, so sehr liefen sie durcheinander, doch es war klar, daß ihre Zahl sehr groß war. Vermutlich umfaßte das Rudel mehr als fünfzig Sleen. Es hatte schon Rudel von hundertundzwanzig und mehr Tieren gegeben.
»Ich wünsche dir alles Gute, Imnak«, sagte ich.
»Willst du irgendwohin?« fragte er. »Das wäre jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.«
»Es sind so viele Sleen«, sagte ich.
»Das stimmt.«
»Bist du nicht bereit zu sterben?«
»Ich doch nicht«, sagte er. »Rothäutige Jäger rechnen nicht mit dem Tod. Natürlich können sie sterben, doch sie werden stets von ihm überrascht.«
Ich warf den Kopf in den Nacken und lachte.
»Warum lachst du, Tarl, der mit mir jagt?« fragte er.
»Ich habe trotz der Umstände den Eindruck, daß du nicht die Absicht hast, in den Tod zu gehen.«