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»Keiner der beiden?«

»Nein.«

»Verzeiht, ihr Herren.«

»Vielleicht kommen sie später noch«, meinte einer der Wächter. »Die Ratsversammlung hat noch nicht begonnen.«

»Ja, ihr Herren«, sagte ich. »Vielen Dank, ihr Herren.« Auf den Knien kroch ich ein Stück zurück und behielt dabei die Messer im Auge. Dann stand ich auf und entfernte mich rückwärtsgehend. Die Wächter steckten die Messer fort und kehrten an ihren Posten vor dem Eingang des großen Zeltes zurück. Mit verschränkten Armen standen sie da. Die Stützstangen des Baus waren etwa fünfzig Fuß lang und von über hundert Kailiaukhäuten bedeckt.

Ich sah mich um. Wieder wußte ich nicht, was ich tun sollte. Am besten wartete ich wohl ab, bis Grunt oder Mahpiyasapa auftauchte. Ich hätte angenommen, daß sie sich längst im Inneren des Ratszeltes befanden. Die Versammlung mußte bald beginnen.

»Sklave«, sagte ein Mann, der einige Meter entfernt mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden hockte.

Ich folgte seinem Winken, und er deutete auf eine Stelle neben sich. Ich kam der Aufforderung nach und kniete mich nieder. Er schliff einen Stein, der ein Hammerkopf werden sollte. Dabei wird eine angefeuchtete Lederschnur immer wieder geduldig über die harte Fläche gezogen. Ich schaute dem Mann bei der Arbeit zu. »Heute«, sagte er, »wird der Rat auf die Stimme Mahpiyasapas verzichten müssen.«

»Warum wird der Rat auf seine Stimme verzichten müssen?«

»Heute«, sagte der Mann und zog die Lederschnur über den Stein, »ist Mahpiyasapa in Trauer. Er hat das Dorf verlassen, um sich zu reinigen.«

»Warum sollte er in Trauer sein?« wollte ich wissen. Die Auskunft, daß er nicht im Lager sei, behagte mir ganz und gar nicht.

»Ich glaube, es hat damit zu tun, daß Canka ihn umbringen wollte«, antwortete der Mann und beobachtete das Hin und Her des Lederbandes.

»Oh«, sagte ich. Ich kannte diesen Mann nicht und sah daher keine Veranlassung, ihm meinen Verdacht über die wahren Ereignisse um den fehlenden Pfeil zu eröffnen.

»Du bist doch Cankas Sklave, nicht wahr?« fragte der Mann.

»Ja.«

»Und du wurdest nicht gefangengenommen oder getötet.«

»Nein.«

»Interessant«, sagte er und tauchte die Schnur in Wasser und anschließend in Sand.

Ich war überzeugt, daß Mahpiyasapas Kummer von Hcis verräterischem Verhalten herrührte und nicht von einem angeblichen Verrat Cankas. Ähnliche Gedanken, das ahnte ich, bewegten den Mann, der seine Worte an mich richtete. Er war kein Dummkopf. In seiner Beschämung und Trauer war Mahpiyasapa nicht in die Ratsversammlung gegangen. Vielleicht hatte er das Gefühl, seinen Genossen nicht gegenübertreten zu können. In der Enge eines Schwitzzeltes, mit Fasten und Dampf und heißen Steinen, würde er versuchen, die Ereignisse zu verarbeiten. Anschließend mochte er einen einsamen Ort aufsuchen, um einen Traum oder eine Vision zu empfangen, die ihm den weiteren Weg aufzeigte.

»Herr«, sagte ich.

»Ja?«

»Ist dir bekannt, ob Wopeton Mahpiyasapa begleitet hat?«

»Das nehme ich an«, antwortete der Mann, der vermutlich schon mehr als zwei Tage an seinem Stein arbeitete: Ich sah die Anfänge der Kerbe an der Oberfläche entstehen.

»Vielen Dank, Herr«, sagte ich.

»Und das ist ebenfalls interessant«, sagte der Mann.

»Ja, Herr.« Die Steine, die für ein Schwitzzelt bestimmt sind, werden in einem außerhalb befindlichen Feuer angeheizt und auf Stöcken ins Innere getragen, wo sie, mit Wasser übergossen, Dampf und Hitze erzeugen. Kühlt sich ein Stein wieder ab, wird er neu aufgeheizt. Dieser Teil der Arbeit wird im allgemeinen nicht von dem oder den Insassen des Zeltes verrichtet, sondern von einem Helfer. Ich war ziemlich sicher, daß Grunt seinem Freund Mahpiyasapa entsprechend aushalf, der in seiner Schande und Betrübtheit Mitglieder seines Stammes nicht um sich haben wollte.

Ich rutschte ein Stück auf den Knien rückwärts, stand auf und wandte mich von dem Mann ab, der geduldig an seinem Stein arbeitete. Einen letzten Blick warf ich auf das riesige Ratszelt. Die beiden Wächter standen noch immer vor dem Eingang. Verschiedene Männer gingen zwischen ihnen hindurch und betraten den Bau. Bei einer solchen Versammlung wurden natürlich nicht nur die Zivilhäuptlinge der verschiedenen Kaiila-Banden erwartet, sondern auch ihre führenden Männer, die Räte der einzelnen Gruppierungen sowie hochangesehene Krieger und andere weise Berater. Versammlungen dieser Art standen allen Stammesangehörigen offen, die schon etwas geleistet hatten. So würde sich in jenem Zelt an diesem Nachmittag die Elite der Kaiila-Nation versammeln, gewissermaßen die Aristokratie. Wie absurd erschienen mir angesichts dieser Entwicklung meine Verdächtigungen und Ängste! Wo so zahlreiche kluge Männer zusammentraten, konnte gewiß nichts schiefgehen. Wer war ich schon, ein ignoranter Sklave aus dem Stamm, mich in die Angelegenheiten dieser Persönlichkeiten zu mischen? Oiputake mußte sich geirrt haben! Die Gelbmesser, die sich im Lager aufhielten, konnten unmöglich Kriegshäuptlinge sein. Das ergäbe keinen Sinn!

Ich entfernte mich aus der Nähe des Ratszeltes.

»Wo ist Watonka?« hörte ich einen Mann fragen.

»Er ist noch nicht eingetroffen«, antwortete jemand.

»Macht er Medizin für die Versammlung?«

»Ich weiß es nicht.«

»Er wartet darauf, daß der Schatten schrumpft«, meinte ein Dritter. »Dann erst kommt er zur Versammlung.«

Ohne recht zu wissen, warum, machte ich mich auf den Weg zu den Isanna-Zelten.

Mit verschränkten Armen standen die drei Männer in der Nähe Watonkas, der sich auf eine kleine Anhöhe unweit der Isanna-Zelte begeben hatte. Ich war sicher, daß es sich um Gelbmesser handelte. Nicht daß sie sich auf den ersten Blick von den Kaiila-Kriegern unterschieden. Vielmehr schienen sie im Gesamteindruck anders zu sein, zweifellos das Zusammenwirken zahlreicher kleiner Einzelheiten – vielleicht die Anordnung der Perlenbestickung ihrer Kleidung, die Art und Weise, wie gewisse Ornamente geschnitzt waren, die Einkerbung ihrer Ärmel, die Art der Beinbefransung, die Bindung der Federn im Haar, Schnitt und Stil der Mokassins. Dieser Männer waren keine Kaiila. Sie waren Fremde. Starr und ausdruckslos standen sie da. Watonka schaute in südöstlicher Richtung zum Himmel empor. Zu seinen Füßen steckte ein dünner Stock im Boden. Ringsum waren zwei Kreise in den Staub gezeichnet, ein kleiner und ein großer. Am Morgen, wenn die Sonne hoch genug stand, um einen Schatten zu werfen, reichte dieser Schatten vermutlich bis zum Außenkreis. Zur Mittagszeit würde die Sonne ihren kürzesten Schatten werfen, der dann innerhalb des Innenkreises enden mußte. Begann sich der Schatten wieder auszudehnen, hatte die Sonne ihren höchsten Punkt überschritten. Ich schaute zur Sonne empor und dann auf den Stock und seinen Schatten. Meiner Schätzung nach war es noch eine halbe Ahn bis zur Mittagszeit.

Im deutlichen Gegensatz zu den drei Kriegern, die ich für Gelbmesser hielt, war Watonka nervös. Er schaute auf die Krieger und dann wieder in den Himmel. Es war ein heller, klarer Tag. Unweit der Männer standen auch Bloketu und Iwoso. Bloketu schien sich ebenfalls unbehaglich zu fühlen. Dagegen machte Iwoso wie die drei fremden Krieger einen gelassenen Eindruck. Diese sechs Gestalten – wie auch etliche andere Isanna-Krieger, die in der Nähe warteten, hatten sich mit gelben Schärpen geschmückt, die von der linken Schulter zur rechten Hüfte führten. Vermutlich sollten diese gelben Tücher sie als Mitglied der Friedensgruppe identifizieren und schützen. Die gelben Streifen mochten darüber hinaus eine Medizinwirkung haben, wie sie möglicherweise einem Beteiligten im Traum eingefallen war.

Ich wußte nicht, ob man Bloketu zur Ratsversammlung zulassen würde. Normalerweise haben Frauen an solchen Orten keinen Zutritt. Die roten Wilden hören sich zwar oft aufmerksam an, was ihre freien Frauen zu sagen haben, und begegnen ihnen ehren- und respektvoll, doch verzichten sie auf kein Quantum ihrer Oberherrschaft. Sie allein treffen alle Entscheidungen. Sie sind die Männer. Die Frauen gehorchen. Von Iwoso dagegen nahm ich an, daß sie im Ratszelt unentbehrlich sein würde. Wahrscheinlich war sie im Lager die einzige Person, die die Gelbmesser- und Kaiila-Sprachen fließend beherrschte. Interessanterweise trug sie ein dünnes, geschmeidiges Seil zusammengerollt an der Hüfte. Nach der Sonne und dem Schatten des Stocks zu urteilen, hätten sich Watonka und seine Begleiter längst auf den Weg zum Ratszelt machen müssen. Soweit ich wußte, sollte der Rat zur Mittagszeit zusammentreten. Mir fiel außerdem auf, daß die Art und Weise, wie die Männer ihre gelben Schärpen gebunden hatten, ihnen die größte Bewegungsfreiheit des Waffenarms gewährte, sollten sie Rechtshänder sein.