Den Wunsch zu erfüllen, bereitete keine Schwierigkeiten. Am Porto Interior von Macao an der Rua das Lorchas war d'Anjous Wohnung mit einem kleinen Waffenarsenal. Man brauchte sich bloß zu dieser Wohnung Zugang zu verschaffen und Waffen auszusuchen, die sich leicht zerlegen ließen, um damit die relativ lasche Grenzkontrolle in Guangdong mit Diplomatenpässen zu passieren. Trotzdem dauerte es über zwei Stunden, die richtige Waffe zu finden. Jason gab McAllister eine Pistole nach der anderen in die Hand und beobachtete den
Analytiker dabei. Die schließlich ausgewählte Waffe war die kleinste in d'Anjous Arsenal, mit Schalldämpfer.
»Zielen Sie auf den Kopf, und wenigstens drei Kugeln in den Schädel. Alles andere wäre nicht mehr als ein Bienenstich.«
McAllister schluckte und starrte die Waffe an, während Jason die Waffen musterte und überlegte, welche wohl die größte Feuerkraft auf kleinstem Raum hatte. Schließlich wählte er für sich eine Maschinenpistole, die einen Ladestreifen mit dreißig Schuß aufnahm.
Die Waffen unter ihren Jacketts verborgen, betraten sie um 3.35 Uhr früh das nur schwach besuchte Kam-Pek-Casino und gingen ans Ende der langen Mahagonibar. Borowski nahm den Platz ein, den er auch das letztemal gehabt hatte. Der Staatssekretär setzte sich vier Hocker von ihm entfernt. Der Barkeeper erkannte den großzügigen Gast, der ihm vor ein paar Tagen fast einen Wochenlohn gegeben hatte. Er begrüßte ihn wie einen langjährigen Stammgast.
»Nei hou a!«
»Mchoh La. Mgoi«, sagte Borowski und gab damit zu verstehen, daß es ihm gutgehe und er sich guter Gesundheit erfreue.
»Der englische Whisky, nicht wahr?« fragte der Barkeeper, auf sein Gedächtnis vertrauend und in der Hoffnung, daß ihm das eine Belohnung eintragen würde.
»Ich habe Freunden im Casino des Lisboa gesagt, daß sie mit Ihnen reden sollten. Ich glaube, Sie sind der beste Barmann von ganz Macao.«
»Das Lisboa? Dort ist das große Geld! Ich danke Ihnen, Sir.« Der Barkeeper beeilte sich, Jason einen Drink einzugießen, der Cäsars Legionen umgehauen hätte. Borowski nickte wortlos, worauf der Mann sich etwas widerstrebend McAllister zuwandte. Jason registrierte, daß der Analytiker Weißwein bestellte, exakt bezahlte und sich den Betrag in sein Notizbuch aufschrieb. Der Barkeeper zuckte die Achseln, stellte dem unangenehmen Gast das Bestellte hin und ging zur Mitte der kaum frequentierten Bar, wobei er die ganze Zeit seinen Lieblingskunden im Auge behielt.
Schritt eins.
Er war da! Der gut gekleidete Chinese in dem schwarzen Schneideranzug, der Veteran der Kriegskünste, der nicht genügend schmutzige Tricks kannte, der Mann, mit dem er in einer Gasse gekämpft und der ihn in die Berge von Guangdong geführt hatte. Oberst Soo Jiang ging kein Risiko ein. Er setzte in dieser Nacht seine besten Leute ein.
Der Mann ging langsam an ein paar Spieltischen vorbei, als wolle er sich ein Bild verschaffen, die Bankhalter und die Spieler einschätzen und sich darüber klarwerden, wo er sein Glück versuchen sollte. Schließlich trat er an Tisch fünf, setzte sich und holte ein Bündel Geldscheine aus der Tasche. Zwischen den Geldscheinen steckte eine Nachricht, die Krise lautete, dachte Jason.
Zwanzig Minuten später schüttelte der makellos gekleidete Chinese den Kopf, steckte sein Geld wieder ein und stand auf. Er war die Verbindung zu Sheng! Er kannte sich sowohl in Macao als auch an der Grenze von Guangdong aus, und Borowski wußte, daß er mit diesem Mann Kontakt aufnehmen mußte, und zwar schnell! Er sah zuerst zu dem Barkeeper hinüber, der ans Ende der Bar gekommen war, um einem Kellner, der an den Tischen bediente, ein paar Cocktails herzurichten, und dann zu McAllister.
»Analytiker!« flüsterte er scharf. »Bleiben Sie hier!«
»Was machen Sie?«
»Meine Mutter besuchen, was denn sonst!« Jason glitt vom Hocker und ging zur Tür, auf den V-Mann zu. Als er an dem Barkeeper vorbeikam, sagte er auf kantonesisch: »Bin gleich wieder da.«
»Kein Problem, Sir.«
Draußen folgte Borowski dem Chinesen ein paar Straßen, bis der in eine schmale, schwach beleuchtete Seitengasse einbog und auf einen abgestellten Wagen zuging. Er würde sich mit niemandem treffen; er hatte die Botschaft überbracht und war im Begriff, zu verschwinden. Jason fing zu laufen an, und als der andere die Wagentür öffnete, tippte er ihm auf die Schulter. Der V-Mann wirbelte herum, duckte sich, und sein linker Fuß zuckte gefährlich vorwärts. Borowski sprang zurück und hob beide Hände in einer Geste des Friedens.
»Wir wollen das doch nicht ein zweites Mal aufführen«, sagte er in englischer Sprache, weil er sich erinnerte, daß der Mann in der Klosterschule Englisch gelernt hatte. »Ich habe von den Prügeln, die Sie mir vor einer Woche verpaßt haben, immer noch Schmerzen.«
»Aiya! Sie!« Der V-Mann hob die Hände, ebenfalls in einer Friedensgeste. »Sie erweisen mir Ehre, wo ich doch gar keine verdiene. In jener Nacht haben Sie mich besiegt, und aus dem Grund habe ich täglich sechs Stunden geübt, um besser zu werden ... damals haben Sie mich besiegt. Nicht jetzt.«
»Wenn man Ihr Alter bedenkt und das meine, dann gebe ich Ihnen mein Wort, daß Sie nicht besiegt worden sind. Meine Knochen haben viel weher getan als die Ihren, und ich werde Ihre neue Form ganz bestimmt nicht auf die Probe stellen. Ich werde Ihnen viel Geld geben, aber nicht mit Ihnen kämpfen. Man nennt das Feigheit.«
»Nicht Sie, Sir«, sagte der Chinese und ließ die Hände sinken und grinste. »Sie sind sehr gut.«
»Doch ich, Sir«, erwiderte Jason. »Ich habe höllische Angst vor Ihnen. Und Sie haben mir einen großen Gefallen getan.«
»Sie haben mich gut bezahlt. Sehr gut.«
»Ich werde Sie jetzt noch besser bezahlen.«
»Dann war die Nachricht für Sie?«
»Ja.«
»Dann haben Sie den Platz des Franzosen eingenommen?«
»Der ist tot. Die Leute, die die Nachricht geschickt haben, haben ihn getötet.«
Der V-Mann sah ihn erstaunt an, vielleicht sogar betrübt. »Warum?« fragte er. »Er hat denen gute Denste geleistet, und er war ein alter Mann, älter als Sie.«
»Vielen Dank.«
»Hat er seine Auftraggeber betrogen?«
»Nein, ihn hat man betrogen.«
»Die Kommunisten?«
»Kuomintang«, sagte Borowski und schüttelte den Kopf.
»Dong wu! Die sind nicht besser als die Kommunisten. Was wollen Sie von mir?«
»Wenn alles planmäßig läuft, ziemlich genau dasselbe, was Sie schon einmal getan haben. Aber diesmal möchte ich, daß Sie in der Nähe bleiben. Ich möchte ein Paar Augen anheuern.«
»Sie gehen in die Berge von Guangdong?«
»Ja.«
»Da brauchen Sie Hilfe beim Überqueren der Grenze?«
»Nicht, wenn Sie mir jemanden ausfindig machen können, der eine Fotografie aus einem Paß in einen anderen übertragen kann.«
»Das geschieht jeden Tag. Das können selbst Kinder.«
»Gut. Dann geht es nur noch darum, Ihre Augen anzuheuern. Die Sache ist etwas riskant, aber nicht sehr. Und sie ist mir zwanzigtausend amerikanische Dollar wert.«
»Aiya, ein Vermögen!« Der V-Mann hielt inne und musterte Borowskis Gesicht. »Das Risiko muß groß sein.«
»Wenn es Ärger gibt, dann erwarte ich, daß Sie durchkommen. Wir werden das Geld hier in Macao lassen, wo nur Sie Zugang dazu haben. Wollen Sie den Job oder soll ich woanders fragen?«
»Dies sind die Augen eines Falken. Sie brauchen nicht weiter zu suchen.«
»Kommen Sie mit mir zum Casino zurück! Warten Sie draußen ein Stück weiter unten an der Straße, dann lasse ich die Nachricht abholen.«
Der Barkeeper war mit größtem Vergnügen bereit, Jasons Wunsch zu erfüllen. Beim Stichwort »Krise« stutzte er, bis Borowski erklärte, daß es sich dabei um den Namen eines Rennpferdes handle. Er trug einen Drink zum Bankhalter an Tisch fünf und kehrte mit dem verschlossenen Umschlag unter seinem Tablett zurück. Jason hatte unterdessen die Spieltische in der Nähe beobachtet und nach neugierigen Blicken zwischen den dicken Rauchschwaden Ausschau gehalten, aber nichts Auffälliges gesehen. Das Tablett wurde wie vereinbart zwischen Borowski und McAllister auf die Theke gestellt. Jason klopfte eine Zigarette aus seinem Päckchen und schob dem Analytiker, der Nichtraucher war, ein Streichholzbriefchen über die Theke zu. Ehe der verblüffte Staatssekretär begriff, stand Borowski auf und ging zu ihm hinüber.