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Borowski setzte die Pistolen zusammen. Jetzt waren beide schußbereit. Und er war auch bereit. Er ging zurück zum Bett, legte sich hin und starrte wieder zur Decke. Seine Strategie würde sich von selbst ergeben, das wußte er. Und dann würde die Jagd beginnen. Er würde sie finden - tot oder lebendig -, und wenn sie tot war - dann würde er töten, töten und wieder töten!

Wer auch immer es war, er würde ihm nie entkommen. Nicht Jason Borowski.

Kapitel 5

Nur mit Mühe die Beherrschung bewahrend, wußte er, daß Gelassenheit für ihn nicht in Frage kam. Seine Hand hielt die Pistole umklammert, während in seinem Kopf Schüsse dröhnten und eine Flut von Fragen auf ihn eindrängten. Eines jedenfalls stand fest: Er durfte nicht den toten Mann spielen, er mußte sich rühren!

Das Außenministerium. Die Männer dort, die er in den letzten Monaten kennengelernt hatte, damals in der abgelegenen, abgeschirmten Klinik in Virginia - jene beharrlichen, wie besessenen Männer, die ihn pausenlos befragt und ihm Dutzende von Fotos vorgelegt hatten, bis Mo Panov dem schließlich ein Ende machte. Er hatte ihre Namen notiert, weil er eines Tages vielleicht einmal würde wissen wollen, wer sie waren - aus keinem anderen Grund als einem instinktiven Mißtrauen; schließlich hatten ebensolche Männer einige Monate früher versucht, ihn zu töten. Sie hatten sich ihm nicht vorgestellt, für ihn waren sie nur Harry, Bill oder Sam, wahrscheinlich weil sie von der Theorie ausgingen, daß echte Identitäten seine Verwirrung nur noch größer machen würden. Er aber hatte unauffällig ihre Ausweisplaketten gelesen und sich dann, wenn er wieder allein war, die Namen aufgeschrieben und die Zettel bei seiner persönlichen Habe in der Schublade verwahrt. Und wenn Marie ihn besuchte, und das war jeden Tag, gab er ihr die Namen mit und bat sie, sie im Haus zu verstecken - gut zu verstecken.

Später gestand ihm Marie, daß sie seinen Bitten zwar nachgekommen war, seinen Argwohn aber für übertrieben hielt. Aber dann hatte David sie eines Morgens, unmittelbar nach einer hitzigen Sitzung mit den Männern aus Washington, angefleht, das Krankenhaus sofort zu verlassen, zu ihrem Wagen zu laufen und zu ihrem Bankschließfach zu fahren und eine Haarsträhne in die linke untere Ecke des Fachs zu legen, es abzuschließen, die Bank zu verlassen und zwei Stunden später zurückzukehren, um nachzusehen, ob sie noch da war.

Das war nicht der Fall gewesen. Sie hatte die Haarsträhne sorgfältig befestigt gehabt; sie hatte nur herausfallen können, weil man das Schließfach geöffnet hatte. Sie fand die Strähne schließlich auf dem fliesenbelegten Boden der Bank.

»Woher hast du das gewußt?« hatte sie ihn gefragt.

»Einer meiner freundlichen Befrager ist etwas hitzig geworden und hat versucht, mich zu provozieren, Mo war für ein paar Minuten hinausgegangen, und es hätte nicht viel gefehlt, daß er mich beschuldigte, ihm etwas vorzumachen, etwas zu verbergen. Ich wußte, daß du kommst, und so habe ich das Spiel weitergespielt. Ich wollte sehen, wie weit die gehen würden, wie weit die gehen durften.«

Alles zusammen war ihm nicht geheuer. Man hatte die Leibwächter abgezogen, seine eigenen Reaktionen herablassend in Frage gestellt, so als wäre er derjenige, der um zusätzlichen Schutz gebeten hatte und als hätte nicht etwa Edward McAllister darauf bestanden. Dann hatte man binnen Stunden Marie entführt - das Ganze war nach einem Plan abgelaufen, in dem jede Kleinigkeit bedacht war. Und jetzt war eben dieser McAllister plötzlich fünfzehntausend Meilen weit verreist. Hatte der Staatssekretär die Seiten gewechselt? Hatte man ihn in Hongkong gekauft? Hatte er Washington ebenso verraten wie den Mann, den zu beschützen er geschworen hatte? Was ging hier vor sich? In jedem Fall gehörte der Codename Medusa mit zu diesem Geheimnis. Man hatte ihn während all der Befragungen kein einziges Mal erwähnt. Das verblüffte ihn. Es war gerade, als hätte das Bataillon von Psychotikern und Killern nie existiert; jede Erinnerung daran war ausgelöscht worden. Aber man konnte sie wieder heraufbeschwören. Und damit würde er beginnen.

Webb ging mit schnellen Schritten aus dem Schlafzimmer, die Treppe hinunter in sein Arbeitszimmer, das in dem alten viktorianischen Haus früher einmal als kleine Bibliothek gedient hatte. Er setzte sich an den Schreibtisch, zog die unterste Schublade auf und entnahm ihr ein paar Notizbücher und einige Papiere. Dann hob er mit einem Brieföffner aus Messing den falschen Boden der Schublade ab, unter dem noch andere Papiere lagen - ein Sammelsurium von Erinnerungen - Bildern, die sich ihm aufgedrängt hatten, wenn er nachts nicht hatte schlafen können oder wenn ihn plötzlich unter Tags die Erinnerung eingeholt hatte: Notizblätter oder Briefpapierfetzen, auf die er die Bilder und Worte geschrieben hatte, die wie mit Blitzlicht sein Bewußtsein erhellt hatten. Ein wirres

Durcheinander schmerzhafter Assoziationen, viele so qualvoll, daß er sie nicht einmal mit Marie teilen konnte, weil er fürchtete, die Enthüllungen über Jason Borowski wären für sie zu brutal. Zu den Geheimnissen in der Schublade gehörten auch die Namen der Experten für Geheimoperationen, die ihn in Virginia so eindringlich verhört hatten.

Plötzlich fiel Davids Blick auf die häßliche, großkalibrige Pistole auf der Schreibtischplatte. Er hatte sie automatisch aus dem Schlafzimmer mitgenommen; jetzt starrte er sie einen Augenblick lang an und griff dann zum Telefon. In diesen Sekunden begann die qualvollste Stunde seines Lebens, denn er wußte, daß Marie sich mit jedem Augenblick weiter von ihm entfernte.

Die zwei ersten Anrufe wurden von Frauen oder Freundinnen entgegengenommen; die Männer, die er zu erreichen versuchte, ließen sich verleugnen, als er sich zu erkennen gab. Er gehörte immer noch nicht dazu! Sie wollten nichts mit ihm zu tun haben, solange ihnen das nicht ausdrücklich genehmigt war, und eine entsprechende Genehmigung gab es noch nicht. Herrgott! Er hätte es wissen müssen!

»Hallo?«

»Ist dort die Wohnung von Mr. Lanier?«

»Ja.«

»William Lanier, bitte. Sagen Sie ihm, es sei dringend. Höchste Alarmstufe. Mein Name ist Thompson, Außenministerium.«

»Einen Augenblick«, sagte die Frau beunruhigt.

»Wer spricht da?« fragte eine Männerstimme.

»David Webb. Sie erinnern sich doch an Jason Borowski, oder?« »Webb?« Eine kurze Pause, in der nur Laniers Atem zu hören war. »Warum haben Sie gesagt, Sie heißen Thompson? Und daß das ein Alarm des Weißen Hauses sei?«

»Weil ich dachte, Sie würden vielleicht nicht mit mir sprechen wollen. Zu den Dingen, an die ich mich erinnere, gehört auch, daß Sie mit bestimmten Leuten nicht ohne Genehmigung Verbindung aufnehmen. Sie sind tabu für Sie. Sie melden nur den Kontaktversuch.«

»Dann, nehme ich an, erinnern Sie sich auch daran, daß es höchst ungewöhnlich ist, jemanden wie mich über eine Privatleitung anzurufen.«

»Privatleitung? Macht man Ihnen jetzt auch schon zu Hause Vorschriften?«

»Sie wissen, wovon ich spreche.«

»Ich habe doch gesagt, daß es um einen dringenden Fall geht.«

»Aber das kann nichts mit mir zu tun haben«, protestierte Lanier. »Sie sind eine abgelegte Akte in meinem Büro -«

»Mausetot, wie?« unterbrach ihn David.

»Das habe ich nicht gesagt«, konterte der Mann vom Geheimdienst. »Ich wollte nur sagen, daß Sie nicht auf meinem Plan stehen und daß wir Anweisung haben, uns nicht in fremde Vorgänge einzuschalten.«