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Jason wählte die Nummer in Macao, die ein Relais in China auslöste und die Verbindung zu einem elektronisch gesicherten Telefon am Jadeturmberg herstellte. Während er das tat, sah er den Analytiker an. »Spricht Sheng Französisch?« fragte er schnell.

»Natürlich«, sagte der Staatssekretär. »Er verhandelt mit dem Quai d'Orsay und spricht die Sprache eines jeden, mit dem er verhandelt. Das ist eine seiner Stärken. Aber warum nicht Mandarin? Sie können es doch.«

»Aber der Major hat es nicht gekonnt, und wenn ich Englisch spreche, könnte er sich fragen, was aus dem britischen Akzent geworden ist. Das Französische wird das verdecken, wie bei Soo Jiang. Und dann werde ich außerdem noch wissen, ob es wirklich Sheng ist.« Borowski hielt ein Taschentuch über die Sprechmuschel, während er aus zweieinhalbtausend Kilometer Entfernung ein Echo des Klingelzeichens hörte. Die Zerhacker waren eingeschaltet.

»Wei?«

»Comme le colonel, jeprefere le frangais.«

»Shemma?« rief die Stimme verblüfft.

»Fawen«, sagte Jason, das Wort, das auf Mandarin

französisch bedeutete.

»Fawen? Wo buhui!« erwiderte der Mann aufgeregt und erklärte, er spreche nicht französisch. Der Anruf war erwartet worden. Und dann schaltete sich eine andere Stimme ein, im

Hintergrund und zu leise, als daß man sie hätte hören können.

Und dann war sie in der Leitung.

»Pourcjuoi vous parlez frangais?« Das war Sheng! Gleichgültig, welche Sprache er gebrauchte, Borowski würde den Singsang des Redners nie vergessen. Das war der Fanatiker, der Diener eines gnadenlosen Gottes, der seine Zuhörer

verführte, ehe er sie mit Feuer und Schwefel züchtigte.

»Sagen wir mal, daß mir dabei wohler ist.«

»Also gut. Was ist das für eine unglaubliche Geschichte, die Sie mir bringen? Dieser Wahnsinn und der Name, der erwähnt wurde?«

»Man hat mir auch gesagt, daß Sie Französisch sprechen«, unterbrach Jason.

Eine kurze Pause folgte, in der nur Shengs gleichmäßiger Atem zu hören war. »Sie wissen, wer ich bin?«

»Ich kenne einen Namen, der mir nichts bedeutet. Aber jemand anderem bedeutet er etwas. Jemand, den Sie vor Jahren gekannt haben. Er möchte mit Ihnen sprechen.«

»Was?« schrie Sheng. »Verrat!«

»Nichts dergleichen, und wenn, an Ihrer Stelle würde ich ihm zuhören. Er hat sofort alles durchschaut, was ich denen gesagt habe. Die anderen nicht, wohl aber er.« Borowski sah zu McAllister hinüber, der neben ihm stand; der Analytiker nickte, als wolle er damit ausdrücken, daß Jason überzeugenden

Gebrauch von den Worten machte, die der Staatssekretär ihm geliefert hatte. »Er hat mich nur einmal angesehen und dann die richtigen Schlüsse gezogen. Aber schließlich war der Knabe, mit dem dieser Franzose früher mal gearbeitet hat, auch ganz schön zusammengeschossen; sein Kopf sah aus wie blutiger Blumenkohl.«

»Was haben Sie getan?«

»Ihnen wahrscheinlich den größten Gefallen, den Ihnen je jemand getan hat, und ich will dafür bezahlt werden. Da ist jetzt Ihr Freund. Er wird englisch sprechen.« Borowski reichte dem Analytiker das Telefon, worauf dieser sofort zu sprechen begann.

»Hier spricht Edward McAllister, Sheng.«

»Edward ...?« Sheng Chou Yang war so verblüfft, daß er den Namen nicht ganz herausbrachte.

»Dieses Gespräch ist rein privat und offiziell nicht sanktioniert. Der Ort, an dem ich mich befinde, ist nicht registriert und unbekannt. Ich spreche einzig und allein zu meinem Nutzen -und dem Ihren.«

»Sie ... verblüffen mich, mein alter Freund«, sagte der Minister langsam, hörbar um Beherrschung bemüht.

»Sie werden in den Morgenzeitungen darüber lesen, und die Nachrichten aus Hawaii berichten ohne Zweifel jetzt schon darüber. Das Konsulat wollte, daß ich auf ein paar Tage verschwinde - je weniger Fragen, desto besser -, und da wußte ich, mit wem ich gemeinsame Sache machen wollte.«

»Was ist geschehen, und wie sind Sie -«

»Die Ähnlichkeit war so offensichtlich, daß sie kein Zufall mehr sein konnte«, unterbrach ihn der Staatssekretär. »Ich nehme an, d'Anjou wollte die Legende so gründlich wie möglich ausschlachten, und da gehörte eben die äußerliche Ähnlichkeit für diejenigen dazu, die Jason Borowski in der Vergangenheit gesehen hatten. Meiner Ansicht nach eine überflüssige Ausschmückung, aber wirksam. In der Panik, die am Victoria Peak herrschte - und nachdem das Gesicht ja zur Unkenntlichkeit verstümmelt war -, hat sonst niemand die verblüffende Ähnlichkeit festgestellt. Aber andererseits hat auch keiner den anderen Borowski gekannt. Nur ich.«

»Sie?«

»Ich habe ihn aus Asien vertrieben, ich bin derjenige, den er in Hongkong umbringen wollte, und mit seinem perversen Sinn für Ironie und Rache beschloß er, das zu tun, indem er die Leiche Ihres Killers auf dem Victoria Peak liegenließ. Zu meinem Glück ließ sein Ego es nicht zu, daß er die Fähigkeiten Ihres Mannes richtig einschätzte. Als die Schießerei losging, hat ihn unser jetzt gemeinsamer Bundesgenosse überwältigt und in eine Maschinengewehrgarbe geworfen.«

»Edward, das kommt jetzt alles so schnell, ich kann das noch gar nicht fassen. Wer hat Jason Borowski zurückgebracht?«

»Offensichtlich der Franzose. Sein Schüler, der zugleich seine äußerst lukrative Einkommensquelle war, hatte sich selbständig gemacht. Er wollte Rache und wußte, wo der eine Mann zu finden war, der ihm dazu verhelfen konnte. Sein Kollege aus den Zeiten von Medusa, Jason Borowski, das Original.«

»Medusa!« flüsterte Sheng voller Abscheu.

»Trotz des schlechten Rufes, den die Leute hatten, gab es doch in gewissen Einheiten eine ungeheure Loyalität. Wenn man einem Menschen einmal das Leben gerettet hat, dann vergißt der das nicht.«

»Was hat Sie zu der lächerlichen Schlußfolgerung veranlaßt, daß ich mit dem Mann etwas zu tun haben könnte, den Sie einen Meuchelmörder nennen -«

»Bitte, Sheng«, unterbrach der Analytiker. »Für Dementis ist es jetzt zu spät. Wir reden. Aber ich will Ihre Frage beantworten. Es lag in dem Schema einiger seiner Morde. Es fing mit einem Vizepremier Chinas im Tsim Sha Tsui und vier weiteren Männern an. Alle waren Ihre Feinde. Und neulich in Kai-tak zwei Ihrer heftigsten Kritiker in der Delegation aus Peking - Ziel einer Bombe. Und dann hat es auch Gerüchte gegeben; die gibt es in der Unterwelt immer. Es wurde von Nachrichten geflüstert, die zwischen Macao und Guangdong hin und her gingen, von mächtigen Männern in Beijing - von einem Mann mit ungeheurer Macht. Und schließlich war da noch die Akte ... Wenn man das alles zusammenaddiert, wies es auf einen

- auf Sie.«

»Die Akte? Was soll das, Edward?« fragte Sheng und täuschte Stärke vor. »Warum ist das ein inoffizielles, geheimes Gespräch zwischen uns?«

»Ich glaube, das wissen Sie.«

»Sie sind ein hochintelligenter Mann. Sie wissen genau, daß ich die Frage nicht stellen würde, wenn ich es wüßte.«

»Ein hochintelligenter Bürokrat, den man in den Hintergrund gedrängt hat. Sind Sie da nicht auch meiner Meinung?«

»Ich hatte tatsächlich erwartet, daß Sie es weiter bringen würden. Sie haben den sogenannten Unterhändlern während der Handelskonferenz das ganze Material und die Strategie geliefert. Und jeder weiß, daß Sie in Hongkong beispielhafte Arbeit geleistet haben. Als Sie Hongkong schließlich verließen, hatte Washington in der Kronkolonie mehr Einfluß als je zuvor.«

»Ich habe mich dazu entschlossen, meine Stellung aufzugeben, Sheng. Ich habe meiner Regierung zwanzig Jahre meines Lebens geopfert, aber ich will nicht für sie sterben. Ich werde nicht zulassen, daß man mich aus dem Hinterhalt abschießt oder meinen Wagen in die Luft sprengt. Ich werde nicht zur Zielscheibe von Terroristen werden, sei es nun hier oder im Iran oder in Beirut. Es ist Zeit, daß ich an mich selbst denke. Die Zeiten ändern sich, die Menschen ändern sich, und das Leben ist teuer. Meine Pension und meine Aussichten sind wesentlich weniger, als ich das eigentlich verdient hätte.«