»Da bin ich völlig Ihrer Ansicht, Edward, aber was hat das mit mir zu tun? Wir mußten gemeinsam Kompromisse ausarbeiten - waren sozusagen Gegner, wie in einem Gerichtshof, aber auf keinen Fall Feinde in der Arena der Gewalt. Und was, im Namen des Himmels, soll dieser Unsinn, daß mein Name von Schakalen von der Kuomintang erwähnt würde?«
»Verschonen Sie mich mit diesem Stuß.« Der Analytiker sah zu Borowski hinüber. »Was auch immer unser gemeinsamer Kollege gesagt hat, die Worte waren die meinen, er hat sie nur ausgesprochen. Ihr Name ist auf dem Victoria Peak kein einziges Mal erwähnt worden, und beim Verhör Ihres Mannes waren auch keine Taiwanesen zugegen. Ich habe ihn das sagen lassen, weil diese Worte für Sie eine gewisse Bedeutung haben. Was Ihren Namen betrifft, so kennen den nur einige wenige - er steht in der Akte, die ich erwähnt habe, einer Akte, die in meinem Büro in Hongkong im Safe liegt. Sie trägt die Aufschrift >Geheimhaltungsstufe einsc. Es gibt nur eine Kopie dieser Akte, und die liegt in einem Safe in Washington und kann nur von mir freigegeben oder vernichtet werden. Wenn aber das Unerwartete eintreten sollte, sagen wir ein Flugzeugabsturz oder sagen wir, daß ich verschwinde - oder umgebracht werde -, dann würde diese Akte dem Nationalen Sicherheitsrat übergeben werden. Die Information in dieser Akte könnte sich, wenn sie in die falschen Hände gerät, für den ganzen Pazifikraum als katastrophal erweisen.«
»Ich muß wirklich sagen, daß mich Ihre offene, wenn auch unvollständige Information fasziniert, Edward.«
»Treffen Sie sich mit mir, Sheng. Und bringen Sie Geld mit, viel Geld - amerikanisches Geld. Unser Bundesgenosse sagt mir, daß es in Guangdong Hügel gibt, wo Ihre Leute sich mit ihm getroffen hätten. Treffen Sie sich morgen dort mit mir, zwischen zehn Uhr und Mitternacht.«
»Ich muß protestieren, mein Freund auf der Gegenseite. Sie haben mir keinen Ansporn geliefert.«
»Ich kann beide Exemplare jener Akte vernichten. Man hat mich hierher geschickt, um einer Geschichte nachzugehen, die ihren Ursprung in Taiwan hat, einer Geschichte, die für unser aller Interesse so schädlich ist, daß schon die leiseste Andeutung zu einer Folge von Ereignissen führen könnte, die allen Angst und Schrecken einjagt. Ich glaube, daß an der Geschichte etliches dran ist, und wenn ich mich nicht täusche, dann kann man sie direkt zu meinem alten Gegenspieler während der chinesisch-amerikanischen Konferenz zurückverfolgen. Ohne ihn wäre so etwas nicht möglich gewesen ... Dies ist mein letzter Auftrag, Sheng, und ein paar Worte von mir können diese Akte für immer verschwinden lassen. Ich gelange einfach zu dem Schluß, daß die Information völlig falsch ist, ein gefährliches Hetzmanöver, das Ihre Feinde in Taiwan sich ausgedacht haben. Die wenigen, die davon wissen, wollen genau das glauben, darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Wenn ich auch nur ein Wort sage, wandert die Akte in den Reißwolf. Und ebenso die Kopie in Washington.«
»Sie haben mir immer noch nicht gesagt, warum ich Ihnen überhaupt zuhöre!«
»Der Sohn eines Taipan der Kuomintang müßte das wissen. Der Anführer einer Verschwörung in Beijing müßte es wissen. Ein Mann, der schon morgen früh in Ungnade fallen und geköpft werden könnte, wüßte es ganz bestimmt.«
Diesmal war die Pause lang, und die Atemzüge, die über die Leitung kamen, klangen unregelmäßig. Schließlich sprach Sheng.
»Die Hügel in Guangdong. Er weiß wo.«
»Nur ein Helikopter«, sagte McAllister. »Sie und der Pilot, sonst niemand.«
Kapitel 37
Finsternis. Die Gestalt in der Uniform eines Ledernacken der Vereinigten Staaten ließ sich im hinteren Teil des Parks am Victoria Peak von der Mauer fallen. Er kroch nach links, an einem Stück Drahtverhau vorbei, das ein weggesprengtes Mauerstück absichern sollte, und arbeitete sich stets im Schutz des Schattens quer über den Rasen auf die Hausecke zu. Er spähte durch die zerschmetterten Fenster ins Hausinnere auf die Überreste eines großen Viktorianischen Arbeitszimmers. Vor den Glassplittern und den eingedrückten Fensterrahmen stand ein Ledernacken Wache; er hatte einen M-16-Karabiner ins Gras gestellt und hielt ihn am Lauf fest; eine 45er Pistole hatte er umgeschnallt. Daß er neben dem Karabiner noch die kleinere Waffe trug, war ein Zeichen für höchste Alarmstufe, das begriff der Eindringling und lächelte, als er sah, daß der Wachposten es nicht für nötig hielt, die M-16 in den Händen zu halten. Ledernacken mit schußbereiten Waffen wären ihm nicht gelegen gekommen. Auf die Weise konnte ein Gewehrkolben einem Menschen gegen den Schädel krachen, ehe der wußte, daß er in seiner Reichweite war. Der Eindringling wartete auf den geeigneten Augenblick, der kam, als der Brustkorb des Postens sich in einem langen Gähnen hob und seine Augen sich kurz schlössen, als er tief einatmete. Der Eindringling rannte um die Ecke, sprang hoch und warf dem Posten eine Drahtschlinge um den Hals. Sekunden später war es vorbei. Es war kaum ein Laut zu hören gewesen.
Der Killer ließ die Leiche einfach liegen, in diesem Teil des Gartens war es wesentlich dunkler als anderswo. Fast alle Scheinwerfer im hinteren Garten teil waren bei den Explosionen kaputtgegangen. Er richtete sich auf und schob sich zur nächsten
Ecke vor, wo er eine Zigarette herauszog und sie sich mit einem Gasfeuerzeug anzündete, wobei er schützend die Hand über die Flamme hielt. Dann trat er in das Scheinwerferlicht und schlenderte gelassen um die Ecke auf die breiten, angekohlten Verandatüren zu, wo ein zweiter Ledernacken auf der Treppe Wache hielt. Der Eindringling hielt die Zigarette in der linken Hand, hinter der er sein Gesicht versteckte, während er an der Zigarette sog.
»Wohl eine rauchen gegangen?« fragte der Posten.
»Mhm, hab nicht schlafen können«, sagte der Mann in einem Dialekt, der ihn als einen Mann aus dem Südwesten auswies.
»Diese Scheißpritschen sind für alles mögliche gemacht, bloß schlafen kann man darauf nicht. Brauchst dich bloß auf eine zu setzen, dann weißt du Bescheid ... He, Augenblick! Wer, zum Teufel, bist du denn?«
Der Ledernacken bekam keine Chance, den Karabiner in Anschlag zu bringen. Der Eindringling machte einen Satz und trieb dem Posten das Messer mit tödlicher Akkuratesse in die Kehle und schnitt jeden Laut und alles Leben damit ab. Dann zerrte der Killer die Leiche schnell um die Ecke und ließ sie im Schatten liegen. Er wischte sein Messer an der Uniform des Toten ab, steckte es sich wieder unter den Uniformrock, an der rechten Hüfte unter dem Gürtel, und kehrte zu den Verandatüren zurück. Er betrat das Haus.
Jetzt ging er durch den langen, nur schwach beleuchteten Korridor, an dessen Ende ein dritter Ledernacken vor einer breiten geschnitzten Tür stand. Der Posten ließ den Karabiner sinken und sah auf die Uhr. »Du kommst früh«, sagte er. »Ich soll erst in einer Stunde und zwanzig Minuten abgelöst werden.«
»Ich gehöre nicht zu dieser Einheit, Kumpel.«
»Bist du aus der Gruppe von Oahu?«
»Yeah.« »Ich dachte, die hätten euch Witzbolde schleunigst hier weggeschafft und zurück nach Hawaii. So heißt es wenigstens.«
»Ein paar von uns haben Befehl bekommen, hierzubleiben. Wir sind jetzt unten im Konsulat. Dieser Typ, wie heißt er doch gleich, McAllister, hat uns die ganze Nacht lang verhört.«
»Das ist mal eine gottverflucht beschissene Geschichte, Kumpel!«