»Das kannst du laut sagen. Übrigens, wo hat denn dieser Knallkopf sein Büro? Er hat mich hier heraufgeschickt, damit ich ihm seine Spezialmischung Pfeifentabak bringe.«
»Das paßt zu dem. Kannst ihm ja eine Prise Hasch reintun.«
»Welches Büro?«
»Ich hab ihn vorher mit dem Arzt durch die erste Tür rechts gehen sehen. Dann, später, ehe er weggegangen ist, ist er hier hineingegangen.« Der Wachposten deutete mit einer Kopfbewegung auf die Tür hinter sich.
»Wem gehört denn die Bude hier?«
»Ich weiß nicht, wie er heißt, aber er ist hier der große Macker. Die nennen ihn den Botschafter.«
Die Augen des Killers verengten sich. »Botschafter?«
»Yeah. Aber das ist hier alles im Eimer. Dieser Scheißverrückte hat hier alles in die Luft gepustet, aber der Safe ist noch intakt, deshalb bin ich hier, und noch einer, der draußen in den Tulpenbeeten Wache hält. Ich schätze, die haben ein paar Millionen für einen Sonderetat lockergemacht.«
»Oder für sonst etwas«, sagte der Eindringling leise. »Die erste Tür rechts, hm?« fügte er hinzu, drehte sich um und griff unter seinen Uniformrock.
»Mal langsam«, sagte der Ledernacken. »Warum haben die vom Tor nicht Bescheid gesagt?« Er griff nach dem Funkgerät, das er am Koppel trug. »Tut mir leid, aber ich muß dich überprüfen lassen, Kumpel. Das ist Vorschrift -«
Der Killer warf sein Messer. Während es sich dem Posten in die Brust bohrte, warf er sich auf ihn und drückte ihm mit den Daumen die Kehle ein. Dreißig Sekunden später öffnete er die Tür von Havillands Büro und zerrte den Toten hinein.
Sie gingen in völliger Dunkelheit über die Grenze; anstelle der zerknitterten, unauffälligen Kleider, die sie vorher angehabt hatten, trugen sie jetzt Straßenanzüge und Regimentskrawatten. Jeder hatte einen Attachekoffer bei sich, mit dem Diplomatensiegel gesichert, das für Grenzwachen tabu war. In Wahrheit enthielten die Koffer ihre Waffen und einige weitere Gegenstände, die Borowski aus d'Anjous Wohnung geholt hatte, nachdem McAllister das geheiligte Siegel rausgerückt hatte, das selbst die Volksrepublik respektierte - so lange wenigstens, wie China den Wunsch hatte, daß man seinem Personal im Auswärtigen Dienst dieselbe Höflichkeit erwies. Der V-Mann aus Macao, der den Namen Wong trug - den hatte er wenigstens genannt -, war von den Diplomatenpässen gebührend beeindruckt, hatte sich aber um der Sicherheit willen als auch wegen der zwanzigtausend Dollar, die für ihn, wie er behauptete, eine moralische Verpflichtung darstellten, dazu entschlossen, den Grenzübergang auf seine Weise vorzubereiten.
»Es ist nicht so schwierig, wie ich früher vielleicht behauptet habe, Sir«, erklärte Wong. »Zwei der Grenzwachen sind meine Vettern mütterlicherseits - möge die Seele meiner Mutter in Frieden ruhen -, und wir helfen einander. Ich tue mehr für sie als sie für mich, aber ich bin ja auch in der besseren Position. Sie essen besser als die meisten in der Stadt Zhuhai Shi, und beide haben Fernsehgeräte.«
»Wenn das Ihre Vettern sind«, sagte Jason, »warum waren Sie dann gegen die Uhr, die ich einem der beiden das letztemal gegeben habe? Sie haben gesagt, die sei zu teuer.«
»Weil er sie verkaufen wird, Sir, und ich möchte nicht, daß er verdorben wird. Er erwartet dann von mir zuviel.«
Und so, dachte Borowski, wurde die strengste Grenze der Welt bewacht. Aber wie dem auch sei, Wong bedeutete ihnen, um Punkt 20.55 Uhr durch das letzte Tor rechts zu gehen; er selbst würde ein paar Minuten später durch ein anderes Tor gehen. Ihre Pässe mit den roten Streifen wurden genau studiert; dann ließ man die geehrten Diplomaten, begleitet vom Lächeln eines Vetters, schnell passieren. Die Präfektin der Provinzkontrolle von Zhuhai Shi-Guangdong, die ihnen die Pässe zurückgab, hieß sie sofort in China willkommen. Es handelte sich um eine kleine, breitschultrige Frau, und Jason überlegte, daß er ihr nicht im Nahkampf würde gegenübertreten wollen. Sie sprach englisch mit ausgeprägtem Akzent, aber verständlich.
»Sie haben Regierungsgeschäfte in Zhuhai Shi?« fragte sie, und ihre umwölkten, irgendwie feindselig blickenden Augen straften ihr Lächeln Lügen. »Die Garnison von Guangdong vielleicht? Dort kann ich Ihnen einen Wagen besorgen.«
»Bu xiexie«, sagte der Staatssekretär ablehnend und ging wieder auf das Englische über, um der Höflichkeit seiner Gastgeberin Respekt zu erweisen. »Es handelt sich um eine Besprechung ohne große Bedeutung, die nur ein paar Stunden dauern wird, und wir werden noch im Laufe der Nacht nach Macao zurückkehren. Man wird hier Kontakt mit uns aufnehmen, also werden wir bei einer Tasse Kaffee darauf warten.«
»Darf ich Sie in mein Büro bitten?«
»Nein, danke. Ihre Leute werden nach uns im ... Kafie dian -in dem Cafe suchen.«
»Dort drüben links, Sir. An der Straße. Nochmals willkommen in der Volksrepublik.«
»Wir werden Ihre Höflichkeit nicht vergessen«, sagte McAllister und verbeugte sich.
»Seien Sie bedankt«, erwiderte die stämmige Frau, nickte und entfernte sich.
»Mit Ihren Worten, Analytiker«, sagte Borowski, »das haben Sie sehr gut gemacht. Aber ich sollte vielleicht hinzufügen, daß sie nicht auf unserer Seite ist.«
»Natürlich nicht«, pflichtete der Staatssekretär ihm bei. »Sie hat Anweisung, jemand hier in der Garnison oder in Beijing anzurufen und zu bestätigen, daß wir die Grenze überschritten haben. Dieser Jemand wird mit Sheng Verbindung aufnehmen, und er wird wissen, daß ich es bin - und Sie. Niemand sonst.«
»Er sitzt bereits im Flugzeug«, sagte Jason, während sie langsam auf das schwach beleuchtete Cafe am Ende eines plattenbelegten Weges zugingen, der in die Straße einmündete. »Er ist hierher unterwegs. Übrigens, man wird uns folgen, das wissen Sie doch, oder?«
»Nein, das weiß ich nicht«, antwortete McAllister und sah Borowski kurz an. »Sheng wird vorsichtig sein. Ich habe ihm genügend Informationen gegeben, um ihn zu beunruhigen. Wenn er glaubte, daß es nur eine Akte gäbe - was zufälligerweise der Fall ist -, könnte er Risiken eingehen, in der Meinung, er könne sie mir abkaufen und mich dann umbringen. Aber er meint oder muß annehmen, daß es in Washington eine Kopie gibt. Er will, daß sie vernichtet wird. Er wird nichts unternehmen, um mich zu beunruhigen oder mich in Panik zu versetzen. Vergessen Sie nicht, ich bin der Amateur und bekomme schnell Angst. Ich kenne ihn. Er hat sich inzwischen alles zusammengereimt und trägt wahrscheinlich mehr Geld bei sich, als ich mir je erträumt habe. Natürlich geht er davon aus, daß er es zurückbekommt, sobald die Akten vernichtet sind und er mich umbringt. Sie sehen also, ich habe ein sehr gutes Motiv dafür, daß meine Mission nicht scheitert - oder keinen Erfolg hat, indem sie scheitert.«
Wieder starrte der Mann von Medusa den Mann aus Washington an. »Sie haben sich das alles wirklich gründlich überlegt, nicht wahr?«
»Sehr gründlich«, antwortete McAllister und blickte geradeaus. »Wochenlang, jede Einzelheit. Offen gestanden, hatte ich nicht gedacht, daß Sie beteiligt sein würden, weil ich dachte, Sie würden bis dahin tot sein. Aber ich wußte, daß ich Sheng erreichen konnte. Irgendwie - natürlich inoffiziell. Jede offizielle Begegnung, selbst ein vertrauliches Gespräch, würde nach protokollarischen Vorschriften ablaufen, und selbst wenn ich ihn unter vier Augen sprechen könnte, ohne seine Adjutanten, dürfte ich ihn nicht einmal anfassen. Sonst sähe das Ganze wie ein von der Regierung sanktionierter Mord aus. Ich habe überlegt, ihn direkt anzusprechen, sozusagen um der alten Zeiten willen, und dabei Worte zu gebrauchen, die eine Reaktion auslösen würden - so ähnlich, wie ich das gestern nacht getan habe. Wie Sie zu Havilland sagten, die einfachsten Wege sind gewöhnlich die besten. Wir neigen dazu, die Dinge zu komplizieren.«
»Zu Ihren Gunsten spricht, daß das häufig auch sein muß. Man darf sich schließlich nicht mit einer rauchenden Pistole in der Hand erwischen lassen.«