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Das war keine Aufgabe für David Webb. Jason Borowski mußte die Sache in die Hand nehmen. Herrgott! Es war verrückt! Mo Panov hatte gesagt, er solle einen Spaziergang am Strand machen, als Webb - und jetzt mußte er als Borowski hier sitzen und sich Dinge ausdenken, so wie Borowski sie sich ausdenken würde. Er mußte einen Teil seiner selbst verleugnen und den anderen akzeptieren.

Doch seltsam, das war nicht unmöglich, nicht einmal unerträglich, denn Marie war fort. Seine Liebe, seine einzige Liebe - du darfst nicht so denken. Jason Borowski sprach: Sie ist ein wertvoller Besitz, den man dir weggenommen hat! Du mußt sie zurückholen. Jason Borowski sprach. Nein, kein Besitz, mein Leben!

Jason Borowski: Dann brich alle Regeln! Finde sie! Hol sie dir zurück!

David Webb: Ich weiß nicht, wie ich das machen soll. Hilf mir!

Benutze mich! Du mußt das benutzen, was du von mir gelernt hast. Du besitzt die Werkzeuge, besitzt sie schon seit Jahren. Du warst der Beste in Medusa. Und das wichtigste von allem: Du hattest immer die Kontrolle über dich. Das hast du gepredigt, das hast du gelebt. Und du bist am Leben geblieben.

Kontrolle.

Ein so einfaches Wort. Eine unglaubliche Forderung.

Webb stieg von den Felsen und ging wieder den Weg durch das wilde Gras zur Straße hinauf, auf das alte Haus zu, und verabscheute die plötzliche, beängstigende Leere, die in ihm war. Und während er so ging, blitzte ein Name durch seine Gedanken; und dann war er wieder da und blieb hängen. Langsam nahm das Gesicht, das zu dem Namen gehörte, Gestalt an - sehr langsam, denn der Mann weckte in David einen Haß, der nicht gemildert wurde durch die Trauer, die er gleichzeitig in ihm hervorrief.

Alexander Conklin hatte versucht, ihn zu töten - zweimal -, und beide Male wäre es ihm beinahe gelungen, und Alex Conklin - so ging es ebenso aus seiner Aussage hervor wie aus seinen eigenen zahlreichen psychiatrischen Sitzungen mit Mo Panov und den vagen Erinnerungen, die David liefern konnte -war ein enger Freund des Beamten im auswärtigen Dienst, Webb, und seiner laotischen Frau und ihrer Kinder gewesen, damals, vor einem ganzen Leben, in Kambodscha. Als der Tod aus dem Himmel zugeschlagen und den Fluß mit Blut gefärbt hatte, war David blindlings nach Saigon geflohen, von unkontrollierbarer Wut getrieben, und sein Freund beim CIA, Alex Conklin, hatte für ihn in dem illegalen Bataillon, das sie Medusa nannten, einen Platz gefunden.

Wenn du die Dschungelausbildung überlebst, wirst du ein Mann sein, um den sie sich reißen. Aber du mußt auf sie aufpassen - auf jeden einzelnen von ihnen, jede verdammte Minute. Sie würden dir den Arm abschneiden, bloß um deine Uhr zu bekommen.

Das waren die Worte, an die Webb sich erinnerte, und er erinnerte sich ganz deutlich, daß die Stimme Alexander Conklins sie gesprochen hatte.

Er hatte das brutale Training überlebt und war zu Delta geworden. Sonst kein Name, nur ein Buchstabe im Alphabet. Delta eins. Und dann, nach dem Krieg, war Delta zu Kain geworden. Kain ist für Delta und Carlos ist für Kain. Das war die Herausforderung, die man Carlos, dem Meuchelmörder, entgegengeschleudert hatte. Geschaffen von Treadstone 71, ein Killer namens Kain würde den Schakal fangen.

Und als Kain, von dem die Unterwelt in Europa wußte, daß in Wirklichkeit Jason Borowski aus Asien dahintersteckte, hatte Conklin ihn, seinen Freund, verraten. Ein bißchen Vertrauen von

Alex hätte alles ganz anders gemacht, aber das brachte Alex nicht fertig; seine eigene Verbitterung schloß eine solche Wohltat aus. Er glaubte das Schlimmste von seinem ehemaligen Freund, weil sein eigenes Gefühl des Märtyrertums ihn zwang, das glauben zu wollen. Das half ihm, seine eigene in die Brüche gegangene Selbstachtung wieder aufzubauen, indem es ihn überzeugte, daß er besser als sein ehemaliger Freund war. Eine Landmine hatte Conklins Fuß bei einem Einsatz mit Medusa zerschmettert, und damit hatte seine brillante Laufbahn als Feldstratege ihr Ende gefunden. Ein verkrüppelter Mann konnte nicht draußen im Feld bleiben, wo sonst sein wachsender Ruf ihn die Erfolgsleiter hätte hinauftragen können, die Männer wie Allen Dulles und James Angleton erklettert hatten, und über die besonderen Fähigkeiten, die der bürokratische Nahkampf in Langley verlangte, verfügte Conklin nicht. Er verkümmerte, ein einstmals außergewöhnlicher Taktiker, der heute zusehen mußte, wie kleinere Geister an ihm vorbeizogen, wie man seinen Rat und seine Erfahrung nur noch insgeheim suchte. So war der Kopf der Medusa in den Hintergrund verbannt, gefährlich, jemand, den man sich am besten vom Leibe hielt.

Bis ihn, nach zwei Jahren, ein Mann, den man als den Mönch kannte - ein Rasputin der Geheimoperationen -, aufsuchte, weil man einen gewissen David Webb für einen außergewöhnlichen Einsatz ausgewählt hatte und weil Conklin ihn jahrelang gekannt hatte. Treadstone 71 wurde geschaffen, Jason Borowski wurde sein Produkt, und Carlos, der Schakal, sein Ziel. Und dann überwachte Conklin zweiunddreißig Monate lang diese allergeheimste aller geheimen Operationen, bis Jason Borowski verschwand und mit ihm über fünf Millionen Dollar vom Züricher Konto Treadstones.

Da es keine dem widersprechenden Beweise gab, nahm Conklin das Schlimmste an: Der legendäre Borowski hatte die Seite gewechselt. Das Leben in der Unterwelt war ihm zuviel geworden, und die Versuchung, sich mit mehr als fünf Millionen

Dollar davonzumachen, war zu verlockend gewesen, als daß er ihr hätte widerstehen können. Dies galt ganz besonders für jemanden, den man als das Chamäleon kannte, einen vielsprachigen Spezialisten für Untergrundarbeit, mit der Gabe, sein Aussehen und seinen Lebensstil mühelos zu verändern, so daß er sich buchstäblich in Nichts auflösen konnte. Man hatte eine Falle für einen Meuchelmörder mit einem Köder versehen, und dann war der Köder verschwunden und hatte sich als raffinierter Dieb entpuppt. Für den verkrüppelten Alexander Conklin war dies unerträglicher Verrat. Wenn man alles in Betracht zog, was man ihm angetan hatte, wo sein Fuß doch nicht mehr als eine schmerzhaft peinliche tote Last war, eingehüllt in fremdes Fleisch, seine einstmals brillante Karriere ein Scherbenhaufen, sein persönliches Leben erfüllt von einer Einsamkeit, wie sie nur totale Ergebenheit dem Geheimdienst gegenüber erzeugen konnte - eine Hingabe, die nicht erwidert wurde -, welches Recht hatte da ein anderer, die Seite zu wechseln? Welcher andere Mann hatte das gegeben, was er gegeben hatte? So wurde sein einstmals enger Freund David Webb zum Feind Jason Borowski. Nicht nur zum Feind, sondern gleichsam zur fixen Idee. Er hatte mitgeholfen, die Legende zu schaffen; er würde sie vernichten. Sein erster Versuch erfolgte mit zwei bezahlten Killern am Stadtrand von Paris.

David schauderte bei der Erinnerung daran, sah immer noch einen besiegten Conklin davonhinken, eine verkrüppelte Gestalt im Visier von Webbs Pistole.

Der zweite Versuch war für David verschwommen. Vielleicht würde er sich nie ganz an ihn erinnern können. Er hatte im Haus von Treadstone in der 71. Straße in New York stattgefunden. Conklin hatte eine geniale Falle aufgebaut, aber Webbs Überlebenswille hatte den Anschlag scheitern lassen, und seltsamerweise die Anwesenheit von Carlos, dem Schakal.

Später, als sich die Wahrheit herausstellte, daß nämlich der >Verräter< keinen Gedanken ai Verrat hatte, sondern nur ein geistiges Gebrechen, das man Amnesie nannte, brach Conklin zusammen. In den qualvollen Monaten von Davids Rekonvaleszenz in Virginia versuchte Alex mehrfach verzweifelt, seinen einstmals engen Freund zu besuchen, um zu erklären, um seinen Teil der blutigen Geschichte zu erzählen -um sich mit jeder Faser seines Wesens zu entschuldigen.

Doch David fand kein Verzeihen in seiner Seele.

»Wenn er durch diese Türe tritt, werde ich ihn töten«, hatte er gesagt.

Das würde sich jetzt ändern, dachte Webb, und seine Schritte wurden schneller. Was für Fehler Conklin auch an sich haben mochte, es gab nur wenige Männer im Geheimdienst, die über seine Kenntnisse und seine Verbindungen verfügten. David hatte monatelang nicht an Alex gedacht; aber jetzt dachte er an ihn und erinnerte sich plötzlich an das letzte Mal, wo sein Name im Gespräch aufgetaucht war. Mo Panov hatte sein Urteil gefällt.