»Oh, ich habe versprochen, es nicht zu sagen«, erklärte Tolpan wichtigtuerisch. Der Kender half Caramon, seine Rüstung festzuschnallen – eine schwierige Aufgabe, da der große Mann beträchtlich zugenommen hatte, seitdem er sie das letzte Mal getragen hatte. Tika und Tolpan arbeiteten, bis sie schwitzten, zogen an den Riemen, drückten und preßten Fettwülste unter das Metall.
Caramon ächzte und stöhnte, wie ein Mann, der auf der Folterbank gestreckt wurde. Er leckte sich die Lippen, und sein sehnsüchtiger Blick ging mehr als einmal zum Schlafzimmer und der kleinen Flasche. Tika hatte sie nachlässig in eine Ecke geworfen.
»Oh, komm schon, Tolpan«, schmeichelte Tika, da sie wußte, daß der Kender kein Geheimnis für sich behalten konnte. »Ich bin sicher, daß Crysania nichts dagegen hat...«
Tolpans Gesicht verzog sich in Todesqualen. »Sie... sie ließ mich bei Paladin versprechen und schwören, Tika!« Das Gesicht des Kenders wurde feierlich. »Und du weißt, daß Fizban – ich meine Paladin – und ich persönliche Freunde sind.« Der Kender hielt inne. »Zieh deine Wampe ein, Caramon«, befahl er gereizt. »Wie bist du überhaupt in diesen Zustand geraten?« Er stellte seinen Fuß gegen den Oberschenkel des Mannes und zog.
Caramon kreischte vor Schmerz auf. »Ich bin gut in Form«, murmelte er wütend. »Es ist die Rüstung. Sie ist eingelaufen.«
»Ich wußte gar nicht, daß Metall einlaufen kann«, sagte Tolpan interessiert. »Ich wette, es wurde erhitzt! Wie hast du das denn angestellt? Oder ist es hier herum heiß geworden?«
»Oh, halt den Mund!« fauchte Caramon.
»Ich war lediglich hilfsbereit«, sagte Tolpan verletzt. »Wegen Crysania.« Sein Gesicht nahm einen hochmütigen Ausdruck an. »Ich habe einen heiligen Eid geschworen. Ich kann nur sagen, daß sie von mir wollte, daß ich ihr alles über Raistlin sage, woran ich mich erinnere. Und das habe ich getan. Crysania ist wirklich eine wundervolle Person, Tika«, fuhr Tolpan feierlich fort. »Du hast es vielleicht nicht bemerkt, aber ich bin nicht sehr religiös. Das sind Kender in der Regel nicht. Aber man muß auch nicht sehr religiös sein, um zu erkennen, daß Crysania wahrhaft gut ist. Sie ist auch klug. Vielleicht sogar klüger als Tanis.« Seine Augen strahlten voll Geheimniskrämerei und Wichtigkeit. »Ich glaube, ich kann euch so viel sagen«, sagte er im Flüsterton. »Sie hat einen Plan! Einen Plan, um Raistlin zu retten! Bupu ist ein Teil des Planes. Sie will sie mit zu Par-Salian nehmen!«
Sogar Caramon bekam einen zweifelnden Blick, und Tika dachte insgeheim, daß Flußwind und Tanis vielleicht doch recht hatten. Vielleicht war Crysania verrückt. Trotzdem, alles, was Caramon helfen, ihm eine Hoffnung geben konnte...
Aber Caramon hatte sich offenbar seine eigenen Pläne zurechtgelegt. »Wißt ihr was? Es ist alles die Schuld von diesem Fistanudel, oder wie sein Name ist«, sagte er, während er unbehaglich an den Lederriemen zerrte, wo sie in sein schwammiges Fleisch schnitten. »Wißt ihr, dieser Magier Fizban – äh – Paladin hat uns davon erzählt. Und Par-Salian weiß auch etwas darüber!« Sein Gesicht strahlte auf. »Wir werden das schon in Ordnung bringen. Wir bringen Raistlin hierher zurück, wie wir es geplant hatten, Tika! Er kann in das Zimmer ziehen, das wir für ihn fertiggestellt haben. Wir kümmern uns um ihn, du und ich. In unserem neuen Haus. Es wird alles gut werden!« Caramons Augen leuchteten. Tika konnte ihn nicht ansehen. Er klang wie der alte Caramon, der Caramon, den sie geliebt hatte...
Sie behielt ihren strengen Gesichtsausdruck bei, drehte sich um und steuerte auf das Schlafzimmer zu. »Ich hole die restlichen Sachen...«
»Warte!« hielt Caramon sie auf. »Ich schaffe es schon. Wie wäre es, wenn du uns etwas Eßbares einpackst?«
»Ich helfe«, bot Tolpan sich an und ging eifrig auf die Küche zu.
»Nun gut«, sagte Tika. Sie streckte ihre Hand aus und erwischte den Kender am Zopf, der über seinen Rücken hing. »Warte eine Minute, Tolpan Barfuß. Du gehst nirgendwohin, bis du dich nicht hingesetzt und alle Beutel ausgepackt hast!«
Tolpan protestierte. Caramon eilte in das Schlafzimmer und schloß die Tür. Ohne stehen zu bleiben, ging er in die Ecke und ergriff die Flasche. Er schüttelte sie und fand sie halbgefüllt vor. Er lächelte zufrieden, warf sie tief in seinen Beutel und stopfte hastig Kleidungsstücke darüber. »Nun, ich bin bereit!« rief er Tika fröhlich zu.
Er bot einen grotesken Anblick. Die gestohlene Drachenrüstung, die er in den letzten Monaten des Feldzuges getragen hatte, war von ihm völlig aufpoliert worden, als er wieder nach Solace zurückgekehrt war. Sie war immer noch in einem hervorragenden Zustand. Nur bestand jetzt unglücklicherweise eine weite Lücke zwischen dem glänzenden schwarzen Kettenpanzer, der seine Brust bedeckte, und dem breiten Gürtel, der sich um seine dickliche Taille schloß. Er stöhnte, als er den Schild hob und ihn argwöhnisch betrachtete, als ob jemand ihn in den vergangenen zwei Jahren mit Bleigewichten behängt hätte. Sein Schwertgurt paßte nicht mehr um seinen durchhängenden Bauch. »Ich sehe wie ein Narr aus«, murmelte er.
Bupu starrte ihn mit Augen an, die so groß wie Teetassen waren, ihr Mund stand offen. »Er sehen fast wie mein Großbulp aus.« Sie seufzte.
Eine lebhafte Erinnerung an den fetten, schlampigen König der Gossenzwergsippe in Xak Tsarot fiel Tolpan ein. Er ergriff die Gossenzwergin und stopfte ein Stück Brot in ihren Mund, um sie zum Schweigen zu bringen. Aber der Schaden war bereits angerichtet. Offensichtlich erinnerte sich auch Caramon.
»Das reicht«, knurrte er, lief knallrot an und schleuderte seinen Schild auf die Holzveranda, wo er laut klirrend aufschlug. »Ich gehe nicht! Es war sowieso eine dämliche Idee!« Er starrte Tika anklagend an, dann drehte er sich um und wollte wieder hineingehen. Aber Tika stellte sich vor ihn.
»Nein«, sagte sie ruhig. »Du gehst nicht eher in mein Haus zurück, Caramon, als bis du als ganze Person zurückkehrst.«
»Du redest Unsinn!« fuhr Caramon sie an und legte seine Hand auf ihre Schulter. »Geh mir aus dem Weg, Tika!«
»Hör mir zu, Caramon«, sagte Tika. Ihre Stimme war sanft, aber durchdringend; ihre Augen hielten die Aufmerksamkeit des großen Mannes fest. Sie legte ihre Hand auf seine Brust und sah ernst zu ihm auf. »Du hast dich einst angeboten, Raistlin in die Dunkelheit zu folgen. Erinnerst du dich?«
Caramon schluckte, dann nickte er stumm mit blassem Gesicht.
»Er lehnte es ab«, fuhr Tika sanft fort, »und sagte, es würde deinen Tod bedeuten. Aber, Caramon, du bist ihm in die Dunkelheit gefolgt! Und du stirbst allmählich! Raistlin sagte dir, du sollst deinen eigenen Weg gehen und ihn seinen gehen lassen. Aber das hast du nicht getan! Du versuchst, beide Wege zu gehen. Du lebst zur Hälfte in der Dunkelheit, und die andere Hälfte versucht, den Schmerz und das Entsetzen, das du hier siehst, wegzutrinken.«
»Es ist meine Schuld!« Caramon begann zu schluchzen, seine Stimme schlug um. »Es ist meine Schuld, daß er sich den Schwarzen Roben zuwandte. Ich habe ihn dazu getrieben! Das ist der Grund, warum Par-Salian versuchte, mich sehen zu lassen...«
Tika biß sich auf die Lippe. Ihr Gesicht wurde vor Zorn grimmig und streng, aber sie behielt ihre Gedanken für sich. »Vielleicht«, war ihr einziger Kommentar. Dann holte sie tief Luft. »Aber du kommst nicht zu mir als Ehemann oder gar als Freund zurück, wenn du nicht mit dir selbst in Frieden zurückkommst.«
Caramon starrte sie an, als ob er sie zum ersten Mal sähe. Tikas Gesicht war entschlossen, ihre grünen Augen waren klar und kalt. Tolpan erinnerte sich plötzlich, wie sie gegen die Drakonier im Tempel von Neraka in jener letzten entsetzlichen Nacht des Krieges gekämpft hatte. Sie hatte genauso ausgesehen.