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Und so hatte Dalamar den Auftrag angenommen. Als er um die Gründe gefragt wurde, warum er sein Leben riskieren wolle, hatte er kalt geantwortet: »Ich würde meine Seele aufs Spiel setzen für die Gelegenheit, bei dem Größten und Mächtigsten unseres Ordens, der jemals gelebt hat, zu studieren!«

»Genau das kann dir jetzt passieren«, hatte ihm eine traurige Stimme geantwortet.

An diese Stimme erinnerte sich Dalamar jetzt. Er zwang sie aus seinen Gedanken.

»Was ist los?« fragte Raistlin sanft.

Der Magier sprach immer sanft, manchmal erhob sich seine Stimme nicht einmal über ein Flüstern. Dalamar hatte in dieser Kammer beängstigende Stürme toben sehen. Flammende Blitze und krachende Donner hatten ihn tagelang taub zurückgelassen. Er war dabei gewesen, wenn der Magier Kreaturen von den oberen und unteren Ebenen herbeigerufen hatte; ihre Schreie und ihr Jammern und ihre Flüche erklangen immer noch nachts in seinen Träumen. Dennoch drang das sanfte Flüstern durch das Chaos und brachte es unter Kontrolle.

»Ereignisse geschehen in der Außenwelt, Meister, die Eure Aufmerksamkeit verlangen.«

»Tatsächlich?« Raistlin, in seine Arbeit versunken, sah wieder auf.

»Crysania...«

Raistlins mit einer Kapuze bedeckter Kopf richtete sich schnell auf.

Dalamar, der sich an eine zubeißende Schlange erinnerte, trat vor diesem aufmerksamen Blick einen Schritt zurück.

»Sprich!« zischte Raistlin.

»Ihr... Ihr solltet kommen, Meister«, stammelte Dalamar. »Die Lebendigen berichten...«

Der Dunkelelf redete im leeren Raum. Raistlin war verschwunden. Nach einem Seufzer sprach der Dunkelelf die Worte aus, die ihn an die Seite seines Herrn bringen würden.

Tief unten im Turm der Erzmagier, tief unter dem Boden war ein kleiner runder Raum, der mit magischer Hilfe aus dem Fels gehauen worden war, der den Turm trug. Bekannt als die Kammer des wahren Blicks, war er Raistlins Schöpfung.

Inmitten des kleinen Raumes aus kaltem Stein befand sich ein vollkommen rundes Becken mit ruhigem, dunklem Wasser. Aus der Mitte des seltsamen, unnatürlichen Teiches sprang ein blauer Feuerstrahl heraus. Sich zur Decke der Kammer erstreckend, brannte er ewig, Tag und Nacht. Und um den Teich herum saßen die Lebendigen.

Obgleich Raistlin der mächtigste lebende Magier auf Krynn war, war seine Kraft bei weitem nicht vollständig, und niemandem war das bewußter als dem Magier selbst. Er wurde gezwungenermaßen immer an seine Schwächen erinnert, wenn er diesen Raum betrat – ein Grund, ihm fern zu bleiben, wann immer es möglich war. Denn hier befanden sich die sichtbaren, äußeren Symbole seiner Schwächen – die Lebendigen.

Diese erbärmlichen Kreaturen, duch fehlgeschlagene Magie erschaffen, wurden in dieser Kammer in Gefangenschaft gehalten und dienten ihrem Schöpfer. Hier lebten sie ihr gequältes Leben, krümmten sich in blutender Masse um den flammenden Teich. Ihre glänzenden, feuchten Körper bildeten einen entsetzlichen Teppich auf dem Boden; die Steine konnten nur gesehen werden, wenn sie sich teilten, um ihrem Schöpfer Platz zu machen.

Dennoch gaben die Lebendigen trotz ihrer ständigen Pein kein Wort der Klage von sich. Denn ihr Los war bei weitem besser als das derjenigen, die im Turm streiften, jener, die als die Sterbenden bekannt waren...

Raistlin materialisierte sich in der Kammer des wahren Blicks, ein dunkler Schatten, der aus der Dunkelheit auftauchte. Die blaue Flamme spiegelte sich in den silbernen Fäden an seinen Roben, die schwarz schimmerten. Dalamar erschien neben ihm, und die beiden gingen hinüber und traten zu dem stillen schwarzen Wasser.

Raistlin starrte auf das Wasser und winkte Dalamar zu, es ihm gleichzutun. Der Dunkelelf blickte auf die stille Oberfläche, gewahrte kurz die Spiegelung des blauen Feuerstrahls. Dann verschmolzen Flamme und Wasser, teilten sich, und er war in einem Wald.

Ein großer Mann, mit einer schlechtsitzenden Rüstung angetan, stand da und starrte auf den Körper einer jungen Frau, die in weiße Roben gekleidet war. Ein Kender kniete neben der Frau und hielt ihre Hand in seiner. Dalamar hörte den großen Mann so deutlich sprechen, als stünde er an seiner Seite.

»Sie ist tot...«

»Ich... ich bin mir nicht sicher, Caramon. Ich glaubte...«

»Ich habe schon genug Tote gesehen, glaub mir. Sie ist tot. Und es ist alles meine Schuld... meine Schuld...«

»Caramon, du Trottel!« fauchte Raistlin. »Was ist passiert? Was ist schiefgelaufen?«

Als der Magier sprach, sah Dalamar den Kender, der schnell hochblickte.

»Hast du etwas gesagt?« fragte der Kender den großen Mann, der in der Erde wühlte.

»Nein. Es war nur der Wind.«

»Was machst du da?«

»Ein Grab schaufeln. Wir müssen sie begraben.«

»Sie begraben?« Raistlin gab ein kurzes, bitteres Lachen von sich. »Oh, natürlich, du Idiot! Das ist das einzige, woran du denken kannst!« Der Magier kochte. »Sie begraben! Ich muß wissen, was passiert ist!« Er wandte sich zu dem Lebendigen. »Was hast du gesehen?«

»Sie lagern in Bäumen, Herr.« Schaum tröpfelte aus dem Mund der Kreatur, ihre Rede war unverständlich. »Drakonier töten...«

»Drakonier?« wiederholte Raistlin erstaunt. »In der Nähe von Solace? Woher sind sie gekommen?«

»Ich weiß nicht! Ich weiß nicht!« Der Lebendige duckte sich vor Angst. »Ich...«

»Pst«, warnte Dalamar und lenkte die Aufmerksamkeit des Herrn wieder auf den Teich, wo der Kender Gründe vorbrachte.

»Caramon, du darfst sie nicht begraben! Sie ist...«

»Uns bleibt keine andere Wahl. Ich weiß, es schickt sich nicht, aber Paladin wird sich darum kümmern, daß ihre Seele ihre Reise in Frieden antritt. Wir können nicht wagen, einen Scheiterhaufen für ihr Begräbnis zu bauen, nicht mit diesen Drachenmännern in der Nähe...«

»Aber Caramon, ich finde wirklich, du solltest sie dir ansehen! An ihrem Körper ist kein Anzeichen des Todes!«

»Ich will sie nicht ansehen! Sie ist tot! Es ist meine Schuld! Wir begraben sie hier, dann gehe ich nach Solace zurück, gehe zurück, um mein eigenes Grab zu schaufeln...«

»Caramon!«

»Geh und such ein paar Blumen und laß mich in Ruhe!«

Dalamar sah den großen Mann, wie er die feuchte Erde mit bloßen Händen aufriß, sie beiseite warf, während Tränen über sein Gesicht liefen. Der Kender blieb bei der Frau, unentschlossen, sein Gesicht war mit getrocknetem Blut verschmiert, sein Ausdruck eine Mischung aus Trauer und Zweifel.

»Kein Zeichen, keine Verletzung, Drakonier kommen aus dem Nichts...« Raistlin runzelte nachdenklich die Stirn. Dann plötzlich kniete er sich neben den Lebendigen, der vor ihm zurückschreckte. »Sprich. Sag mir alles. Ich muß es wissen. Warum wurde ich nicht früher gerufen?«

»Die Drakonier töten, Herr«, blubberte die Stimme des Lebendigen verzweifelt. »Aber der große Mann tötet auch. Dann kommt ein großer Dunkler! Augen aus Feuer. Ich Angst, ins Wasser zu fallen...«

»Ich fand den Lebendigen am Rande des Teiches«, berichtete Dalamar kühl, »nachdem mir ein anderer mitgeteilt hatte, daß etwas Seltsames vor sich ging. Ich sah in das Wasser. Da ich dein Interesse an dieser Frau kannte, dachte ich, du...«

»Ganz recht«, murmelte Raistlin, Dalamars Erklärung ungeduldig unterbrechend. Die goldenen Augen des Magiers verengten sich, seine dünnen Lippen preßten sich zusammen. Seinen Zorn spürend, zog sich der arme Lebendige so weit wie möglich von dem Magier zurück. Dalamar hielt den Atem an.