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Scanned by nickslaughter 2001

Das Tal umfing sie wie eine riesige tiefe Schüssel, als sie den Kamm überschritten und ihre Pferde durch den schmalen Hohlweg hinabgeführt hatten. Sie froren. Ihre Schritte waren zum Schluß immer schleppender geworden, und ihre Glieder waren steif und schmerzten vor Kälte, obwohl sie sich alle in Felle und zusätzliche Decken gehüllt hatten. Eis, Rauhreif und kleine Nester aus verharschtem Schnee hatten sich in ihren Haaren und Kleidern festgesetzt, und der Sturm wehte ihre Spuren hinter ihnen beinahe ebenso schnell wieder zu, wie sie entstanden waren. Niemand sprach. Selbst das mühsame Schnauben der Pferde und die gemurmelten Flüche, mit denen sie ihrer Erschöpfung anfangs Ausdruck verliehen hatten, waren nach und nach verstummt. Die würgende Kälte hatte ihre Gesichter gelähmt und ihre Lippen erstarren lassen, und ihre Körper waren taub von den Bissen des Windes. Der Hohlweg - eigentlich mehr ein Riß, eine schnurgerade, wie mit einer gigantischen Axt in den Fels gehauene Bresche mit zerschründetem Boden und glatten, eisverkrusteten Wänden, auf denen sie von ihren eigenen Spiegelbildern wie von einer Prozession grotesk verzerrter Schatten begleitet worden waren - hatte den Sturm eingefangen und seine Kraft noch gesteigert. Der Hohlweg war nicht einmal sonderlich lang gewesen, vielleicht zweimal so weit, wie ein Pfeil fliegt, auf gar keinen Fall mehr, aber sowohl Skar als auch die anderen hatten hinterher das Gefühl, stundenlang durch eine klirrende, brüllende Hölle aus Kälte und schneidendem Eis marschiert zu sein.

Skar blieb aufatmend stehen, als die vereisten Wände endlich zur Seite wichen und sich statt dessen der runde, von Schnee und grauem, klumpigem Matsch erfüllte Talkessel vor ihnen ausbreitete. Der Wind war hier draußen nicht mehr so wütend, aber jetzt, nachdem er nicht mehr so sehr stürmte, spürte Skar die Kälte um so schmerzlicher. Er hatte das Gefühl, langsam von innen heraus zu Eis zu erstarren, und er vermochte sich nicht zu erinnern, wann er das letzte Mal so total erschöpft und ausgelaugt gewesen war. Der viertägige Marsch durch die Berge hatte ihnen allen das Letzte abverlangt, sowohl in physischer als auch in psychischer Hinsicht. Skar versuchte, die Hände zu bewegen, aber es ging nicht. Seine Finger waren verkrümmt und blau angelaufen; schmerzende Klauen, die wie leblose Gewichte an seinen Armen hingen und ihn langsam zu Boden zerrten. Er hob die Rechte vors Gesicht, zerrte mit den Zähnen die schmutzigen Handlappen herunter und versuchte, den Daumen zu krümmen. Es ging, wenn er auch den Versuch mit Schmerzen bezahlte, die ihm die Tränen in die Augen trieben. Er schüttelte den Kopf, steckte die Hände unter die Achselhöhlen und begann mit den Füßen auf den Boden zu stampfen. Eine Gestalt taumelte an ihm vorüber, unkenntlich von Eis und glitzerndem Rauhreif, der sich wie ein starrer Panzer auf ihren Zügen festgesetzt hatte. Sie wankte ein paar Schritte und fiel auf die Seite. Der Schnee dämpfte den Aufprall, aber ihr Gesicht schrammte über einen Stein, der unter der trügerischen weißen Decke verborgen gewesen war und eine dünne, blutigrote Spur hinterließ. Skar hatte nicht einmal mehr die Kraft, Mitleid zu empfinden.

Hinter ihm sank Beral mit einem Wimmern, das sowohl Schmerzen als auch Erleichterung (oder beides) ausdrücken konnte, in die Knie. Seine Rechte umklammerte noch immer das Zaumzeug des Pferdes, und das Tier mußte den Kopf senken, um dem Schmerz, mit dem die stählernen Zähne der Trense in sein Maul bissen, zu entgehen. Beral trug keine Handlappen; wahrscheinlich waren seine Finger so steifgefroren, daß er die Zügel gar nicht mehr loslassen konnte. Er blieb einen Moment lang hocken, schwankte vor und zurück wie ein dünner Zweig im Sturm und fiel dann mit einem halblauten, seufzenden Geräusch in den Schnee.

Skar kämpfte einen Herzschlag lang gegen das übermächtige Verlangen, es den anderen gleichzutun und sich auch einfach zu Boden sinken zu lassen, die Augen zu schließen, auszuruhen. Es war nicht allein die Kälte. Seit sie Ikne verlassen hatten, war es beständig kälter geworden. Der Winter war mit Macht über das Land hereingebrochen, und sie waren ihm noch entgegengeeilt, so schnell sie konnten, und Skar hatte praktisch ununterbrochen gefroren. Es waren auch nicht der kräftezehrende Marsch über endlose Eisgletscher und die halsbrecherischen Kletterpartien, die keiner von ihnen ohne die Hilfe des anderen gemeistert hätte; auch nicht allein die Angst oder das bohrende Mißtrauen, das ihre Gruppe wie ein schleichendes Gift von innen heraus zerfraß; nicht einmal das Wissen, daß alles, was sie bisher durchgemacht hatten, nicht viel mehr als ein Vorgeschmack auf das war, was sie noch erwartete. Vielleicht, überlegte er, war es eine Kombination all dem gewesen, das ihre Seelen im gleichen Maße zermürbt hatte wie die unbarmherzigen Hiebe des Windes ihre Körper. Aber vielleicht war es auch etwas ganz anderes.

Skar schüttelte den Gedanken mit einem ärgerlichen Achselzucken ab und begann langsam im Kreis zu gehen. Seine Stiefel versanken bei jedem Schritt bis weit über die Waden im Schnee, und er wußte, daß er eigentlich mehr Kraft verbrauchte, als er sich leisten konnte. Eine einsame Schneeflocke sank auf seine Schulter herab, glitzerte einen Moment lang im verklebten Fell seines Umhanges und zerschmolz, als sein Atem sie streifte. Er lächelte.

»Was amüsiert dich so, Satai?«

Skar blieb stehen und sah Nol stirnrunzelnd an. Er hatte nicht gemerkt, daß der Malabese ihm gefolgt war. Ein deutliches Anzeichen für den Grad seiner Erschöpfung.

»Vielleicht freue ich mich, daß ich noch lebe«, sagte er nach einer Weile. Nol grinste schief. »Warte noch ein paar Tage damit«, riet er. »Wenn du es dann noch kannst.«

Skar funkelte den Graugesichtigen einen Herzschlag lang wütend an und sah dann zum Höhleneingang hinüber.

Der Anblick bereitete ihm Unbehagen, beinahe Angst. Er legte den Kopf in den Nacken, ließ den Blick an den spiegelblank polierten Felswänden emporwandern und betrachtete den schmalen, dunkelrot gefärbten Streifen Himmel im Westen. Er hatte sich immer noch nicht an den Anblick gewöhnt, und er würde sich auch nicht daran gewöhnen, ganz egal, wie lange es noch dauerte. Und er wußte, daß es auch den anderen nicht besser erging. Sie hatten ganz zu Anfang, noch an Bord der Sharookan, einmal über Combat geredet, das Thema aber seither wie auf eine geheime Verabredung hin beinahe ängstlich vermieden, wie Kinder, die glaubten, einer Gefahr allein dadurch entgehen zu können, daß sie sie verleugneten. Dabei wußte jeder von ihnen bereits jetzt mehr über die verwunschene Stadt als alle Tempelpriester und Schriftgelehrten von Ikne und Besh zusammen. Der lodernde Feuerschein hatte ihnen den Weg gewiesen, seit sie den Paß überwunden hatten: eine flammende Glorie, die den Himmel in flackerndes, blutiges Rot tauchte und die Berge davor zu nachtschwarzen, flachen Schatten degradierte. Skar hatte Zeit genug gehabt, sich an das Bild zu gewöhnen; trotzdem ließ ihn der Anblick für einen Moment selbst seine Müdigkeit vergessen. Der brennende Himmel dort oben erschien ihm wie eine stumme Warnung, eine gleichermaßen unhörbare wie unüberhörbare Stimme, die ihm zurief, umzukehren, keinen Schritt weiter zu gehen und das Schicksal nicht noch stärker herauszufordern, als er es bereits getan hatte.

Nun, wenigstens diese Entscheidung war ihm abgenommen. Vielleicht war er in dieser Beziehung sogar besser dran als die anderen. Sie konnten zurück, zumindest theoretisch. Er hatte diese Wahl nicht. Wenn er überhaupt eine Wahl hatte, dann die zwischen einem raschen Tod in Combat und der Aussicht, zwei oder drei Monate lang zu sterben.

»Was denkst du?« fragte Nol leise.

Skar riß seinen Blick von der Felswand und dem glosenden Himmel los und sah den Malabesen an. »Wie machst du das eigentlich?« fragte er anstelle einer direkten Antwort.

»Was?«

»Ich frage mich, wie du es schaffst, den ganzen Tag mit offenem Mund herumzulaufen, ohne daß dir die Zunge einfriert.«