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Nol blinzelte, sperrte den Mund auf und machte ein betroffenes Gesicht. Dann grinste er. »Ganz einfach. Ich halte sie in Bewegung.«

Skar erwiderte das Grinsen, boxte ihm spielerisch in die Rippen und deutete mit einer Kopfbewegung auf die anderen.

»Wir sollten Feuer machen. Es kann verdammt kalt werden heute nacht. Ich habe keine Lust, morgen mit erfrorenen Fingern oder Zehen aufzuwachen.«

»Denk einfach an den morgigen Tag«, erwiderte Nol mit todernster Miene. »Dann wird dir warm genug.«

Skar verstummte. Nol würde wahrscheinlich aus reiner Sturheit zu den Überlebenden der Expedition gehören, und sei es nur, damit er das letzte Wort behielt.

Skar ging zu seinem Pferd zurück und machte sich mit ungeschickten Bewegungen daran, das Sattelzeug zu lösen. Es war schwer und steif vor Kälte und Eis. Er brauchte eine geraume Weile, um die Schnallen aufzubekommen, und dann entglitt der Sattel seinen gefühllosen Fingern und fiel zu Boden. Skar fluchte und rief sich in Erinnerung, wie kalt es war. Sie waren zwar der Eishölle des Hohlweges entronnen, aber die Wärme hier draußen war nur Illusion. Die Temperaturen lagen noch immer tief unter dem Gefrierpunkt.

Er richtete sich auf, ging steifbeinig zu Beral hinüber und stubste ihn mit der Stiefelspitze in die Rippen. Der Fährtensucher stöhnte leise, aber Skar bezweifelte fast, daß er die Berührung überhaupt gespürt hatte. Wahrscheinlich war der Laut nichts als ein Reflex gewesen.

Skar ging ächzend in die Hocke, griff nach Berals Schultern und schüttelte ihn. Beral machte eine kraftlose Abwehrbewegung und stöhnte erneut, als Skar ihn auf den Rücken drehte. Berals Gesicht war dick mit Schnee verklebt. Skar fluchte leise, als er sah, wie schnell Berals Atem ging. Er stand ächzend auf, wobei er auf dem rutschigen Schnee beinahe das Gleichgewicht verloren hätte, zog Beral unsanft an den Haaren in die Höhe und schlug ihm ein paarmal mit der flachen Hand ins Gesicht. Berals Kopf flog in den Nacken und pendelte lose hin und her, als wäre er eine übergroße Marionette, deren Fäden man plötzlich durchschnitten hatte. Skars Hand brannte wie Feuer, und für einen Moment hatte er fast Angst, zu heftig zugeschlagen zu haben. Beral war zierlich wie ein Kind. Er mochte zäh sein, viel zäher, als man beim Anblick seines knabenhaften Körpers glauben wollte, aber er war verletzlich.

»Was ... was ist los?« Beral öffnete widerwillig die Augen, versuchte Skars Hand abzustreifen und verzog schmerzhaft die Lippen.

Skar ließ los, trat einen halben Schritt zurück und sah kopfschüttelnd zu, wie der Fährtensucher erneut vornüber in den Schnee sank.

»Du bist ein Barbar«, murmelte Beral undeutlich. »Ein grober Flegel. Du solltest mir helfen, statt mir den Schädel einzuschlagen.« Skar grinste. »Steh lieber auf, bevor ich wirklich grob werde.« Beral bewegte sich unwillig, wälzte sich auf den Rücken und vergrub das Gesicht in den Händen. Skar sah, daß seine Fingerkuppen schwarz angelaufen waren und sich an Daumen, Zeige- und Mittelfinger der Rechten die Nägel abzulösen begannen. Erfroren. »Wenn es hier nicht so kalt wäre«, murmelte Beral, »wäre ich sicher, in der Hölle zu sein.«

»Wer sagt dir, daß es in der Hölle nicht kalt ist?«

»Hm?«

»Schon mal was von höllischer Kälte gehört?« Skar wurde übergangslos ernst, bückte sich und stellte Beral wie ein Spielzeug auf die Füße. »Beweg dich. Du erfrierst, wenn du im Schnee liegen bleibst.«

Beral nickte mühsam, murmelte irgend etwas, das sich entfernt wie »Danke« anhörte, aber genausogut eine Verwünschung in seiner Muttersprache sein konnte, und machte einen unsicheren Schritt. Von seiner Rechten tropfte Blut und malte kleine runde rote Löcher in den Schnee.

Skar wartete, bis er sicher war, daß Beral aus eigener Kraft stehen konnte. Dann ging er zu seinem Pferd zurück. Das Tier wieherte unruhig, schlug mit dem Schwanz und schnappte nach seiner Hand, als er ihm beruhigend die Nüstern tätscheln wollte. Es hatte Angst. Skar konnte das Flackern seiner Augen sehen, das unruhige Beben seiner großen Nüstern. Das Tier war heruntergekommen, so wie sie alle. Es war ein stolzer, prachtvoller Rappe gewesen, als er ihn, zusammen mit den anderen Reittieren, von Rayan bekommen hatte. Der Freisegler hatte Skar das Versprechen abverlangt, sich um das Tier zu kümmern. Skar hatte es gegeben, aber nicht halten können. Er mußte froh sein, noch die Kraft zu haben, sich um sich selbst zu kümmern.

Er tätschelte dem Tier beruhigend den Hals, flüsterte ihm ein paar leise, sinnlose Worte ins Ohr und wartete, bis es aufhörte zu zittern. Dann machte er sich daran, sein Gepäck weiter abzuladen; jedenfalls versuchte er es. Die ledernen Schnürriemen waren steinhart gefroren und die Kupferschnallen so kalt, daß seine Finger an dem Metall kleben blieben. Ein paar Sekunden lang kämpfte er fluchend damit, ehe er aufgab und sich mißmutig aufrichtete. Seine Finger bluteten. Ein paar Hautfetzen waren an den Metallschnallen zurückgeblieben.

»Ärger?«

Skar fuhr herum und starrte wütend in Tantors Fuchsgesicht. Der Zwerg hatte sich in Arsans Mantel gehüllt, der ihm um mindestens fünf Nummern zu groß war, und eine riesige Fellkappe über den Kopf gestülpt. Er sah mehr denn je wie ein verschlagener kleiner Gnom aus.

Skar grunzte etwas Unverständliches, faltete die Finger vor dem Gesicht zu einer spitzen Höhle und blies hinein. Es half zwar nichts, aber er konnte sich auf diese Weise wenigstens einbilden, etwas Wärme in die tauben Glieder zu bekommen.

»Ich helfe dir«, sagte Tantor. Er huschte an Skar vorbei und bückte sich nach seinem Sattel, aber Skar schleuderte ihn mit einem Fußtritt zurück. »Hau ab!«

Tantor richtete sich mit einer flinken Bewegung auf und blinzelte zu Skar empor. Er lächelte immer noch. Irgendwann, dachte Skar grimmig, würde er ihm die Faust auf dieses Lächeln setzen und es aus seinem Gesicht herausschlagen. Vielleicht schon heute. »Verschwinde!« sagte er noch einmal. »Ich komme schon allein zurecht.«

Tantor ignorierte seine Worte, griff unter seinen Umhang und förderte einen abgewetzten Lederbeutel zutage. »Nimm das«, sagte er. »Das wird deinen Händen guttun.«

Skar betrachtete den Beutel mißtrauisch und zuckte dann die Achseln. Tantor trippelte näher und winkte auffordernd. »Nimm. Ich meine es nur gut.«

Skar griff zögernd nach dem Beutel. Seine Finger berührten die des Zwerges. Tantors Haut fühlte sich eisig an, eisig und glatt. Skar erinnerte sich daran, wie sich Berals Haut angefühlt hatte - feucht, kalt und spröde, aber trotzdem noch menschlich. Die des Zwerges erinnerte ihn an Wachs.

Trotzdem nahm er den Beutel.

»Mach ihn auf.«

Skar gehorchte zögernd. Ein braunes, körniges Pulver rieselte auf seine Handfläche.

»Du mußt es zwischen den Fingern zerreiben«, sagte Tantor. »Es hilft dir.«

Skar betrachtete das Pulver sekundenlang mißtrauisch, ehe er tat, was der Zwerg verlangte. Die versprochene Wirkung stellte sich beinahe augenblicklich ein. Er spürte, wie seine Haut wieder glatt und geschmeidig wurde und das Blut schneller zirkulierte. Seine Finger wurden warm und begannen zu kribbeln. Sie schmerzten zwar stärker, aber er konnte sie wenigstens wieder bewegen. Er verschnürte den Beutel, ignorierte Tantors ausgestreckte Hand und verstaute ihn unter seinem Mantel. Das Lächeln des Zwerges erlosch. Er starrte Skar böse an, drehte sich mit einem Ruck um und stapfte durch den Schnee davon.

Skar grinste schadenfroh. Er mochte Tantor nicht, und er war nicht sicher, daß es nur mit den Umständen zusammenhing, unter denen er ihn getroffen hatte. Er hatte nie einen Hehl aus seinen Gefühlen gemacht, aber trotzdem war Tantor stets in seiner Nähe, versuchte ihn zu beschützen und zu behüten, als wäre er eigens als Kindermädchen für ihn mitgekommen.

Er schickte Tantor einen letzten, feindseligen Blick nach und bückte sich erneut nach seinem Gepäck. Diesmal vermied er es sorgfältig, die Metallteile mit der bloßen Haut zu berühren. Seine Fingerspitzen schmerzten zwar kaum mehr, aber das hatte er wohl eher Tantors Pulver und der taub machenden Kälte zu verdanken. Er konnte sich Verletzungen dieser Art nicht leisten.