Выбрать главу

Tantor näherte sich der Feuerstelle. Er hatte seinen Umhang abgestreift und nur die riesige Fellmütze auf dem Kopf behalten. Er nahm eine Handvoll eines weißen, körnigen Pulvers aus einer der zahllosen Taschen seines Lederwamses und verstreute es über das Reisig. Seine Lippen formten dabei schnelle, abgehackte Worte in einer unverständlichen Sprache.

Der Zwerg begann um die Feuerstelle herumzutanzen, hob die Hände zu einer beschwörenden Geste und begann zu singen: hoch, schrill und mißtönend. Er warf wieder Pulver auf das Reisig. Eine winzige gelbe Flamme züngelte auf, flackerte und erlosch. Tantor fuhr fort, um die Feuerstelle herumzuhüpfen.

»Theater«, sagte Nol. »Nichts als Hokuspokus, um Eindruck zu schinden. Irgendwann wird er einmal vergessen, seine Schau abzuziehen und ein dummes Gesicht machen, wenn das Holz trotzdem brennt.« Er sprach so laut, daß Tantor trotz seines Gebrülls die Worte hören mußte, aber der Zwerg ignorierte ihn. Jeder ignorierte Nol, so gut es ging.

Das Reisig begann zu brennen, zuerst zögernd und unter starker Rauchentwicklung, dann, als das Pulver das Holz getrocknet und entzündet hatte, in knisternden, hohen Flammen, die der Kälte und Dunkelheit der Nacht wenigstens für einen Augenblick Herr wurden.

Skar beugte sich vor, um möglichst viel von der ausgestrahlten Wärme aufzufangen. Das Feuer brannte heißer als ein normales Reisigfeuer, viel heißer, und das Holz selbst verbrauchte sich kaum. Die Bündel lagen noch immer so da, wie sie sie hingeworfen hatten, und sie würden bis weit in den nächsten Tag hinein brennen und Wärme verbreiten. Ohne Tantors magisches Feuer hätten sie nicht einmal die erste Nacht in den Bergen durchgestanden. Feuer war Tantors Spezialität, Feuer und Eis.

Minutenlang saß Skar unbeweglich da und genoß das Gefühl, die Wärme schichtweise in seinen Körper eindringen zu spüren. Die eisige Kälte wich nur zögernd aus seinen Gliedern, und mit der Wärme kam die Müdigkeit. Diesmal wehrte er sich nicht. Er ließ sich zurücksinken, streckte Arme und Beine aus, blinzelte in die Flammen und schloß schließlich die Augen. Das Feuer hinterließ grelle Nachbilder auf seinen Netzhäuten.

Seine Finger schlössen sich um den Brustbeutel. Er versuchte, die Anzahl der Kugeln darin zu zählen und sich dabei auszurechnen, wann er die letzte verbrauchen würde, aber er kam nicht mehr dazu, den Gedanken zu Ende zu denken.

Unter dem brennenden Himmel von Combat schlief er ein.

Eine zentnerschwere Steinplatte lastete auf seiner Brust. Er versuchte zu atmen, aber das Gewicht des Felsens preßte seinen Brustkorb zusammen, marterte jede Faser seines Körpers, als wäre der Himmel selbst herabgestürzt, um ihn mit seinem Gewicht zu zermalmen. Er wollte schreien, aber auch das ging nicht. Sein Körper war starr, gelähmt, ein einziger grauenhafter Krampf. Er konnte nicht atmen, erstickte, aber seltsamerweise lebte er noch, lebte trotz des mörderischen Drucks auf seiner Brust und der quälenden Leere in seinen Lungen. Es war wie ein nie endender Tod, ein ununterbrochenes, qualvolles Sterben, dem die letzte Erlösung vorenthalten blieb. Er öffnete den Mund, schnappte hilflos nach Luft und bäumte sich gegen das unsichtbare Gewicht auf. Seine Lungen schienen zu bersten. Flüssiges Feuer begann seinen Körper von innen heraus zu verbrennen. Er bäumte sich wieder auf, stemmte sich mit der ganzen gewaltigen Kraft seines Körpers gegen den Druck und sank mit einem lautlosen Schrei zurück. Seine Anstrengungen schienen den stählernen Ring um seine Brust nur noch mehr zusammenzuziehen. Der Boden, auf dem er lag, fühlte sich mit einem Mal weich und nachgiebig an und doch zugleich fest, wie eine zähe, gummiartige Masse, in die Skar Millimeter für Millimeter hineingepreßt wurde. Er keuchte, bekam plötzlich und unerwartet wieder Luft und versuchte aufzuspringen, aber statt des tödlichen Drucks war nun etwas unter ihm, etwas, das ihn festhielt und ihn mit dergleichen Kraft, mit der er vorher zu Boden gepreßt worden war, hinabsog. Er sah an sich hinunter. Sein Körper war nur noch zum Teil da, fast zur Hälfte verschwunden. Wo seine Beine gewesen waren, brodelte jetzt ein schwarzer See, und er sah jetzt, daß er nicht auf Felsen, sondern auf einer dunklen, amorphen Masse lag, einer scheinbar endlosen Fläche kleiner viel füßiger Dinger, Käfer, Spinnen, Schaben aus schwarzem, glänzendem Chitin, die sich in einer majestätischen, langsamen Bewegung über seinen Körper schoben, ihn auffraßen, einsogen, absorbierten ...

Skar erwachte mit einem keuchenden Schmerzenslaut. Die Schrecken des Alptraumes wichen wie Morgennebel, der vom Sturm hinweggeweht wurde, aber in seinem Inneren blieb noch ein kleiner Rest des dumpfen Druckes, etwas, das nicht zu dem Traum, sondern zu ihm selbst gehörte, ein dunkler Begleiter, seit vierzig Tagen in ihm und jeden Morgen ein wenig schlimmer und kraftvoller werdend. Die Nacht war gewichen, und es war hell geworden, der Himmel war blau, fast weiß, und die Farben schienen irgendwie falsch, verschoben in eine Richtung, die nicht mehr zu dieser Welt gehörte. Graue, bebende Fäden krochen wie lebendige Spinnweben durch Skars Körper, woben sich um sein Gehirn, seine Augen ... Er stöhnte. Seine Hand schmerzte, er fror so erbärmlich, daß er trotz der drei Decken und des noch immer lodernden Feuers am ganzen Leib zitterte. Er hob die Hand, griff mühevoll nach dem Brustbeutel und nestelte an dessen Verschluß herum. Seine Finger gehorchten ihm nicht, nicht so, wie sie es sollten, und das graue Netz in seinem Inneren wurde dichter. Wieder hatte er das Gefühl, ersticken zu müssen, aber diesmal bekam er wirklich keine Luft mehr. Er öffnete den Beutel, nahm eine der glatten braunen Kugeln zwischen die Fingerspitzen und führte sie zum Mund. Er hatte seine Gesichtsmuskeln nicht mehr unter Kontrolle. Seine Lippen bebten. Ein dünner Speichelfaden lief aus seinem Mundwinkel, versickerte in seinem Pelz, ließ diesen feucht und kalt und hart werden.

Er schluckte krampfhaft, schloß die Augen und wartete darauf, daß die Wirkung einsetzte. Es dauerte lange. Seit dem ersten Mal dauerte es jedesmal länger, bis das Gegengift wirkte. Sein Körper begann sich daran zu gewöhnen, und er hätte sich, wenn er dem Gedanken nicht voller Panik ausgewichen wäre, den Tag ausrechnen können, an dem er zwei statt eine der braunen Kugeln würde nehmen müssen.

Skar richtete sich mühsam in eine halb sitzende, halb hockende Stellung auf. Seine Muskeln waren verspannt und schmerzten, und als er in die Runde blickte, sah er, daß es den anderen nicht besser erging. Trotz des Feuers hatte sich die Kälte eingeschlichen, hatte wie ein kleines listiges Tier die Barriere aus Flammen und knisternder Wärme übersprungen und ihre Körper taub und steif werden lassen; nicht so sehr, um sie wirklich in Gefahr zu bringen, aber ausreichend als Warnung, als stummer Hinweis, daß sie hier in ihrem Reich waren und jeder Versuch, ihr zu trotzen, auf Dauer mißlingen mußte.

Er schien - mit Ausnahme Tantors, der wie ein kleiner pelziger Ball in seine Decken eingedreht auf der anderen Seite des Feuers schlief - der letzte zu sein, der aufwachte, und hinter seiner Stirn war noch immer ein dumpfer Druck, ein Gefühl dicht unterhalb der Grenze zu wirklichem Schmerz; die Erinnerung an den überstandenen Alptraum, aber auch Furcht, seit Wochen sein ständiger Begleiter und wie die Kälte immer da. Auch jetzt, unmittelbar nachdem er aufgewacht war, konnte er sich nicht mehr an alle Einzelheiten des Traumes erinnern, aber das war auch nicht nötig. Es war immer derselbe Traum, jede Nacht.

Seine Hand tastete wieder nach dem Lederbeutel. Der Vorrat darin war auf weniger als die Hälfte zusammengeschrumpft; dreißig Tage, vierzig, wenn er die fünf, die er als eiserne Ration abgezweigt hatte, mitzählte. Vielleicht konnte er ihn ein wenig strecken, wenn der Rückmarsch nicht so strapaziös war wie der Weg hier herauf. Sein Körper verbrauchte im gleichen Maße mehr des Gegenmittels, wie die Anstrengungen wuchsen. Er hatte schon auf dem Schiff damit begonnen, die Zeit, die bis zum Einnehmen einer der Kugeln verging, zu strecken, wenige Stunden nur, die sich aber summieren und zwei, vielleicht drei Tage ergeben würden. Nicht viel Zeit, und doch eine Ewigkeit, wenn das Leben nur noch nach Stunden gezählt werden konnte.