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Sein Gedanke an Vela, die ihn an die Schwelle des Todes gesetzt hatte, ließ ihn nur Entsetzen verspüren.

Er erhob sich vollends auf die Knie und rieb die Hände über der Glut aneinander. Ein Windstoß fauchte über das Tal, brach sich an den spiegelnden Wänden und wirbelte eine Wolke aus feinem, pulvrigem Schnee auf, die wie Staub in der Luft hing und sich nur langsam wieder senkte. Die Pferde wieherten nervös.

Skars Blick wanderte wieder nach Westen. Das dunkle, drohende Rot am Himmel war zu einem kaum wahrnehmbaren Streifen geworden, aber es war noch immer da.

Er stand umständlich auf, wickelte sich fröstelnd in seinen Umhang und legte nach kurzem Zögern eine zusätzliche Decke um die Schultern. Die Kälte hatte sich einmal in seinen Knochen eingenistet und wich nur langsam wieder.

Er begann langsam im Kreis herumzugehen und stampfte mit den Füßen auf, um das Blut wieder zum Zirkulieren zu bringen. Seine Finger und Zehen schmerzten, als wäre in seinen Adern nicht länger Blut, sondern ein Strom winziger, reißender Eiskristalle, die ihn langsam von innen heraus zerschnitten. Aber er wußte, daß der Schmerz bald vergehen würde. Es war kalt, jedoch nicht mehr so kalt, daß ihnen wirklich Gefahr drohte. Die Temperaturen lagen hier, im Schütze des Talkessels, nur mehr dicht unter dem Gefrierpunkt. Tief genug, um zu erfrieren, wenn man ruhig lag und schlief, aber längst nicht kalt genug, einen Mann, der sich bewegte und warm gekleidet war, ernsthaft in Gefahr zu bringen.

Die Stille fiel ihm auf. Obwohl sich zehn Personen und fast doppelt soviel Pferde in dem Talkessel aufhielten, schien das an- und abschwellende Heulen des Windes der einzige hörbare Laut zu sein. Er zog die Decke enger um die Schultern und hielt nach Arsan Ausschau. Der Kohoner stand am gegenüberliegenden Rand des Kessels, unweit des Höhlenausgangs. Es war nicht zu erkennen, was er tat oder ob er überhaupt etwas tat. Er schien einfach dazustehen und in die Finsternis jenseits des gezackten Loches zu starren. Skar ging um das Feuer herum, trat mit einem großen Schritt über den schlafenden Zwerg hinweg und stapfte langsam zu Arsan hinüber.

Der Kohoner wandte den Kopf, als er Skars Schritte hinter sich hörte. Für einen Moment wirkte der Blick seiner Augen leer, allenfalls ein wenig verwirrt, als erwache er aus einem tiefen Schlaf und frage sich ernsthaft, wie er hierher gekommen sei und was er überhaupt hier suchte; dann lächelte er.

»Glaubst du, daß es jetzt ungefährlich ist, hineinzugehen?« fragte er anstelle einer Begrüßung.

Skar starrte sekundenlang in die gezackte, wie hineingesprengt wirkende Öffnung in der Felswand und hob die Schultern. Er kannte diesen Teil des Gebirges nicht, ebensowenig wie Arsan oder einer der anderen ihn kannte, aber eine der ersten Regeln, die sie gelernt hatten, war, niemals nach Dunkelwerden in eine Höhle zu gehen. Er wußte nicht viel über Schneespinnen - eigentlich nicht viel mehr, als daß es sie gab, daß sie ausschließlich in diesem Teil der Welt und auch hier nur in den unwegsamsten Winkeln des Gebirges lebten, daß sie in Höhlen hausten und mit Sonnenaufgang in eine totenähnliche Starre verfielen und zur hilflosen Beute ihrer Feinde wurden. Er hatte nie eines dieser Tiere gesehen, aber allein der Gedanke an die Art ihres Lebens erschien ihm wie eine groteske Ungerechtigkeit des Schicksals. Nach Dunkelwerden grausame und nahezu unbesiegbare Räuber, waren sie während der hellen Tagesstunden selbst gegen den schwächsten Angreifer wehrlos; sicherlich einer der Gründe, warum sie so gut wie ausgestorben waren. »Ich weiß es nicht«, sagte er nach einer Weile. »Aber es ist hell.« Arsan sah ihn zweifelnd an. »Hier draußen, ja«, sagte er.

Skar schüttelte den Kopf. »Sie wachen erst nach Sonnenuntergang auf.«

»Und worin besteht dort drinnen der Unterschied zwischen Tag und Nacht?« fragte Arsan.

Skar wußte keine Antwort auf diese Frage, und sie interessierte ihn auch nicht sonderlich.

»Wir werden es herausfinden«, sagte er leichthin. »In spätestens einer Stunde müssen wir aufbrechen. Der Weg hinunter auf die Ebene ist noch weit. Ich möchte keine weitere Nacht im Gebirge verbringen.«

Arsan nickte, legte den Kopf in den Nacken und blinzelte nach oben. Obwohl die Sonne grell und flammend am Himmel stand, war es eisig kalt, und ihr loderndes rotes Licht schien nicht mehr als böser Spott zu sein.

Skar schauderte. Aber es war nicht die Kälte, die ihn frösteln ließ. Diesmal nicht. »Gehen wir zurück zum Feuer«, sagte er. »Es ist noch etwas Holz da. Wir sollten uns aufwärmen, ehe wir aufbrechen. Der Abstieg wird sicher gefährlich. Und ich habe keine Lust, mir den Hals zu brechen, nur weil ich vielleicht die Zügel nicht richtig halten kann.«

Arsan starrte weiter in das Dunkel jenseits des Höhleneingangs, als hätte er Skars Worte überhaupt nicht gehört. Sein Gesicht war leer, und seine Haltung wirkte unnatürlich starr und verkrampft. »Weißt du«, sagte er leise, ohne den Blick von dem schattenerfüllten schwarzen Schlund zu wenden, »daß ich fast die ganze Nacht hier gestanden habe?«

Skar antwortete nichts. Arsans Worte waren nur scheinbar eine Frage gewesen.

»Ich habe hier gestanden und überlegt, ob ich nicht einfach hineingehen und Schluß machen soll«, fuhr Arsan nach sekundenlangem Schweigen fort. »Einfach hineingehen und Schluß machen. Ist das nicht verrückt?«

Skar schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Das ist ganz und gar nicht verrückt.« Er verstand den Kohoner gut, nur zu gut. Arsan hätte nicht hierherkommen dürfen, nie. Er hatte sich der Gruppe angeschlossen, obwohl er gewußt hatte, daß er sterben würde, und wahrscheinlich hatte er auf dem ganzen Weg hier herauf an nichts anderes gedacht als an den Tod. Arsan war kein Held. Er war nicht einmal mutig. Er war nichts als ein kleiner, verzweifelter Mann, der geglaubt hatte, eine Chance zu bekommen. Und doch mußte etwas Besonderes an ihm sein, etwas, das Skar bisher noch nicht entdeckt hatte und von dem Arsan vielleicht nicht einmal selbst wußte, das Vela aber dazu bewogen hatte, Skar diesen Mann mitzugeben. Skar begriff plötzlich, daß es seine Pflicht war, sich um den Kohoner zu kümmern, wenn schon nicht als Mensch, so doch wenigstens als Kommandant der Gruppe, als der er sonst zu spät merken würde, worin die besondere Begabung dieses kleinen traurigen Mannes gelegen hatte.

»Du sprichst in letzter Zeit ein wenig zuviel vom Sterben«, sagte er tadelnd.

Zu seiner eigenen Überraschung lächelte Arsan. »Ich wußte, daß du das sagen würdest«, erwiderte er.

»So?«

»Ich weiß fast immer, was du in einer bestimmten Situation tun oder sagen wirst«, fuhr Arsan fort.

Skar sah den dunkelhaarigen Kohoner verwirrten. »Bin ich so leicht zu durchschauen?«

Arsan nickte. »Schwerer als die anderen«, sagte er. »Doch auch bei dir ist es möglich. Es ist einfach, hinter das Gesicht eines Menschen zu blicken.«

»Du ... liest Gedanken?« fragte Skar stockend.

Arsan schüttelte rasch den Kopf. »Nein. Aber ich beobachte. Ich habe Augen zum Sehen und Ohren zum Hören. Ich kenne euch alle, Skar, nicht nur dich.« Er drehte sich herum und deutete der Reihe nach auf die anderen. »Nicht einer von ihnen ist in Wirklichkeit das, was er zu sein vorgibt, aber die meisten wissen es nicht einmal. Sie alle tragen Masken, Skar, auch du. Nimm«, fuhr er fort, als Skar ihn mit deutlichem Zweifel ansah, »zum Beispiel Beral. Er spielt gerne den Narren, dabei ist er in Wirklichkeit nichts als ein trauriger alter Mann, der zuviel erlebt hat und den Tod herausfordert. Gerrion - vielleicht der ehrlichste von allen. Ein Mörder, dem das Töten Freude bereitet und der aus reiner Abenteuerlust mitgekommen ist.« Er stockte wieder, sah Skar an und deutete mit einer Kopfbewegung auf Gowenna, die bei ihrem Pferd stand und ihr Sattelzeug festzurrte. Der schmucklose dreieckige Schild, der auf ihrem Rücken festgebunden war, glänzte, als wäre er frisch poliert. »Sie ist allein der Herausforderung gefolgt. Und dir.«