Выбрать главу

Er trank. Was immer es war, es schmeckte süß, war warm und spülte die Müdigkeit aus seinem Körper. Der Schmerz in seinen Augen ließ nach, und nach einer Weile konnte er, wenn auch mühsam und wie durch eine wogende Nebelwand, sehen.

Seine Hände waren gefesselt. Die feurigen Linien, die er bei seinem Erwachen gefühlt hatte, waren nicht eingebildet, sondern real; dünne, silbern schimmernde Ketten aus kaum haardünnem Metall. Skar spannte prüfend die Muskeln und unterdrückte einen Schmerzenslaut.

Die Kette hielt, obwohl sie geradezu lächerlich zerbrechlich wirkte, mühelos stand, und die haarfeinen Drähte, aus denen die Kettenglieder geflochten waren, schnitten tief in seine Haut. »Spar deine Kräfte, Satai«, sagte die gleiche Stimme, die er schon zweimal gehört hatte. »Nicht einmal ein Drache könnte diese Kette zerreißen.«

Skar sah auf und blickte in ein schmales, von unzähligen Linien und Furchen durchzogenes Gesicht. Es befand sich auf gleicher Höhe mit seinen Augen, obwohl er gegen die Wand gelehnt saß und sein Gegenüber aufrecht stand. Tantor, der Zwerg.

Plötzlich kamen die Erinnerungen zurück. Skar stöhnte auf, als das Bild der schmalen Gasse wieder vor seinem inneren Auge auftauchte. Er sah noch einmal das erschrockene Gesicht des Soldaten, das von einem eisigen Hauch des Todes in eine glitzernde Grimasse verwandelt war, hörte das helle, an zerspringendes Glas erinnernde Geräusch, als sein Körper zur Seite kippte und auf dem hartgefrorenen Boden aufschlug.

Tantor lachte leise und meckernd. »Feuer und Eis«, sagte er. »Es gibt nichts, was die Wut eines Satai schneller abkühlt als Eis.« Skar ballte in hilflosem Zorn die Fäuste. »Ich hätte dir den Hals umdrehen sollen, als Zeit dazu war«, murmelte er.

Tantor kicherte. »Ich halte nichts davon, über Dinge zu reden, die man hätte machen können, aber nicht gemacht hat«, erklärte er trocken. »Überdies wäre es ein Fehler gewesen. Ich bin nicht dein Feind, Skar. Im Gegenteil. Du wirst sehen, wir werden noch Freunde.«

Skar gab ein abfälliges Geräusch von sich. »Ich freunde mich nicht mit jemandem an, der hilflose Menschen umbringt«, sagte er. Tantor grinste. »Soldaten sind zum Sterben da«, wiederholte er die Worte, die er schon in der Gasse von sich gegeben hatte. »Man tötet sie oder wird von ihnen getötet. Was mich angeht, so stehe ich lieber auf der Seite derer, die töten, statt bei denen, die getötet werden.«

Skar sah das Gesicht des Zwerges jetzt zum ersten Mal deutlich. Sein Kopf erschien ihm unnatürlich groß für den kleinen, spindeldürren Körper, und zudem wackelte er beim Sprechen ständig hin und her, als würde er jeden Moment wie eine überreife Melone von dem dürren Hals herunterfallen. Sein Gesicht war eine zerschründete Landschaft aus Falten und Runzeln und tiefen, vernarbt wirkenden Linien, wirkte aber auf bizarre Weise trotzdem jugendlich, beinahe kindlich, als gehörte es zu einem Knaben, den eine grausame Laune der Natur binnen weniger Monate zum Greis hatte werden lassen.

»Du bist nahe dran, Skar«, sagte Tantor plötzlich.

Skar begriff erst nach einigen Sekunden. »Du - liest meine Gedanken?« keuchte er erschrocken.

Tantor schüttelte den Kopf. Ohne daß sich auf seinem Gesicht auch nur der kleinste Muskel gerührt hätte, wirkte sein Blick mit einem Male kalt und feindselig. »Nein. Aber jeder, der mich zum ersten Mal sieht, denkt das gleiche. Wie fühlst du dich?«

»Komm zwei Schritte näher, und ich zeige es dir«, grollte Skar. Tantor lächelte. »Irgend etwas sagt mir, daß es besser wäre, deine freundliche Einladung abzulehnen«, sagte er. »Du bringst es fertig und legst wirklich Hand an mich.«

»Darauf kannst du dich verlassen«, nickte Skar. »Wenn nicht jetzt, dann später. Irgendwann wirst du mich schließlich losmachen müssen.«

Tantor seufzte. »Fühlst du dich kräftig genug, mit meiner Herrin zu reden?«

Skar sah sich unwillkürlich im Zimmer um. Er war allein mit Tantor, obwohl der Zwerg bei seinem Erwachen mit jemandem gesprochen hatte.

Tantor wartete seine Antwort nicht ab, sondern wandte sich um und eilte mit schnellen, trippelnden Schritten zur Tür. Er schob den Riegel zurück, trat auf den Gang hinaus und wechselte ein paar Worte mit jemandem, der offensichtlich draußen gewartet hatte. Wenige Augenblicke später kam er zurück. Hinter ihm betraten zwei schlanke, in fließendes Grau gehüllte Frauengestalten die Kammer.

Skar setzte sich auf, soweit die im Boden verankerte Kette dies zuließ, und starrte die Errish mit aller Feindseligkeit an, die er aufbringen konnte.

»Du scheinst nicht sonderlich überrascht zu sein«, sagte Vela. Skar lächelte; weniger, weil ihm danach zumute war, als vielmehr, weil es der Situation angemessen schien.

»Ihr habt Euch den falschen Mann ausgesucht, wenn Ihr glaubt, ich könne nach allem, was geschehen ist, noch überrascht sein«, sagte er.

Die Worte kamen nicht so glatt von seinen Lippen, wie er es gerne gehabt hätte. Sein Gesicht war taub, starr. Etwas von der Kälte, mit der Tantor ihn und die Soldaten gelähmt hatte, war noch in ihm, aber er spürte es erst jetzt. Die Haut spannte, und seine Lippen fühlten sich spröde und aufgeplatzt an. Er hatte Durst.

»Ihr habt eine Vorliebe für dramatische Auftritte, wie?« fragte er. Vela hielt seinem Blick gelassen stand. Er war nicht in der Situation, sie verletzen oder auch nur mit seinem Spott treffen zu können, und sie wußte es. Sie trat ein paar Schritte näher und machte eine herrische Handbewegung.

»Geht!« sagte sie. »Laßt mich allein mit ihm reden!«

Skar sah, wie Gowenna zusammenzuckte und einen erschrockenen Blick mit dem Zwerg wechselte. Ihre Hände krampften sich um das Schwert, das sie jetzt offen trug. »Aber Herrin, ich ...«

»Geht!« wiederholte die Errish. »Ich weiß, wie gefährlich er ist, aber er wird uns nichts tun. Laßt uns allein.«

Gowenna schien noch etwas sagen zu wollen, beließ es dann aber bei einem stummen, trotzig wirkenden Achselzucken und verließ mit raschen Schritten den Raum. Der Zwerg folgte ihr dichtauf. Vela wartete, bis die Tür hinter den beiden geschlossen war. Dann ließ sie sich auf einen Schemel dicht neben dem erloschenen Kamin nieder und sah Skar durchdringend an. Anders als beim ersten Mal, als sie sich begegnet waren, verbarg sich ihr Antlitz jetzt hinter einem dünnen, grauen Schleier, einem Geflecht jener Art, das dem Beobachter das Gefühl verleiht, mühelos hindurchsehen zu können, gleichzeitig aber verhinderte, daß man sich hinterher wirklich an das Gesicht seines Gegenübers erinnerte. Er war aus dünnen, an Spinnweben erinnernde Fäden gefertigt, die sich ständig zu bewegen schienen, so daß ihr Gesicht wie hinter einer Schicht bewegten Wassers verborgen war und sich ihre Züge in andauernder Veränderung befanden. Ihre Rechte war in einer Falte ihres Gewandes verborgen. Skar zweifelte nicht daran, daß sie dort eine Waffe hielt. Auch ein an Händen und Füßen gefesselter Satai ist ein gefährlicher Feind, erst recht, wenn man ihn so gedemütigt hatte, wie es mit Skar geschehen war.

»Was wollt Ihr von mir?« fragte er. »Wenn Ihr mich nur habt entführen lassen, um mich umzustimmen, dann ist die Antwort immer noch nein. Ein Satai läßt sich nicht erpressen.«

Vela seufzte, und sie tat es bewußt in einer Art, als verzweifle sie an einem uneinsichtigen Kind. »Erinnerst du dich an Tantors Worte?« fragte sie spöttisch. »Du kannst dich wehren, oder du kannst freiwillig mitkommen. Das Ergebnis bleibt sich gleich. Dasselbe, Skar, gilt für deine jetzige Situation. Du kannst dich eine Weile sträuben, wenn du glaubst, es deiner Ehre schuldig zu sein, oder du gibst auf und tust, was ich von dir verlange. Wir verlieren nur Zeit, wenn du unbedingt den Helden spielen willst.« Sie beugte sich leicht nach vorne und sah Skar durch die Maschen ihrers Schleiers abschätzend an. Ihr Gewand raschelte, und für einen Moment sah Skar etwas Kleines, Silbernes in ihrer Hand aufblitzen. »Wir sind allein, Skar«, fuhr die Errish in verändertem Tonfall fort. »Ich habe gegen Gowennas und Tantors Rat gehandelt und allein mit dir geredet, weil ich dir eine Chance geben wollte.«