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«So viel, hm?«sagte Spicer. Siebzehn Dollar waren in Trumble eine ernste Angelegenheit.

Finn Yarber war bereits jetzt gelangweilt. Er strich sich den schütteren grauen Bart und zog seine langen Fingernägel über die Tischplatte. Dann ließ er seine Zehengelenke laut knacken, indem er sie fest gegen den Boden drückte — eine wirkungsvolle Übung, die an den Nerven der Anwesenden zerren konnte. In seinem früheren Leben, als er noch einen Titel gehabt hatte — Oberrichter am Obersten Gerichtshof von Kalifornien —, hatte er bei Verhandlungen oft Lederclogs ohne Socken getragen, damit er bei langweiligen mündlichen Ausführungen seine Zehen trainieren konnte.»Vertagen wir«, sagte er.

«Gerechtigkeit aufschieben heißt, Gerechtigkeit verweigern«, sagte Magruder salbungsvoll.

«Wie originell«, erwiderte Beech.»Wir vertagen auf nächste Woche. Wenn Schneiter dann nicht erscheint, ergeht ein Versäumnisurteil.«

«Beschlossen und verkündet«, sagte Spicer mit Entschiedenheit. T. Karl machte einen Vermerk im Protokoll und Magruder setzte sich verärgert. Er hatte seine Klage vor dem Untersten Bundesgericht eingereicht, indem er T. Karl eine einseitige Zusammenfassung seiner Behauptungen gegen Schneiter übergab. Nur eine Seite. Die Bruderschaft verabscheute Papierkram. Eine Seite, und man bekam einen Gerichtstermin. Schneiters Erwiderung hatte aus sechs Seiten voller Beschimpfungen bestanden, die T. Karl allesamt gestrichen hatte.

Die Regeln waren einfach: kurze Plädoyers, keine Offenlegung von Schriftstücken, schnelle Urteile, die für alle, die die Zuständigkeit des Gerichts anerkannten, bindend waren. Es gab keine Berufung — an wen hätte man sich auch wenden sollen? Zeugen wurden nicht vereidigt; man erwartete geradezu, dass sie logen. Immerhin befand man sich ja in einem Gefängnis.

«Wer ist als Nächstes dran?«fragte Spicer.

T. Karl zögerte kurz und sagte dann:»Ass.«

Für einen Augenblick war es totenstill, doch dann ertönte großer Lärm: Drängelnd und stoßend rückten die Gefangenen ihre Plastikstühle vor.»Das reicht jetzt!«rief T. Karl. Die Zuschauer waren weniger als sechs Meter vom Richtertisch entfernt.

«Die Würde des Gerichts wird gewahrt bleiben!«erklärte er.

Dieser Fall schwelte seit Monaten vor sich hin. ASS war ein junger Wall-Street-Gauner, der ein paar reiche Klienten betrogen hatte. Der Verbleib von vier Millionen Dollar war nie geklärt worden und Gerüchte besagten, dass ASS sie irgendwo im Ausland geparkt hatte und von Trumble aus verwaltete. Er hatte noch sechs Jahre vor sich und würde, wenn er zur Bewährung entlassen wurde, fast vierzig sein. Man nahm allgemein an, dass er vorhatte, seine Strafe in Ruhe abzusitzen, bis zu jenem herrlichen Tag, an dem er als noch junger Mann das Gefängnis verlassen und in einem Privatjet zu jener warmen Insel mit schönen Stranden fliegen würde, wo sein Geld ihn erwartete.

Hier im Gefängnis wurde die Geschichte noch ausgeschmückt, nicht zuletzt deshalb, weil ASS Abstand zu den anderen Gefangenen hielt, täglich stundenlang die Börsenkurse studierte und völlig unverständliche Wirtschaftszeitungen las. Selbst der Direktor hatte versucht, ihm ein paar Börsentipps zu entlocken.

Ein ehemaliger Rechtsanwalt namens Rook hatte sich an ASS herangemacht und ihn irgendwie überredet, einem Investmentclub, der sich einmal pro Woche in der Gefängniskapelle traf, hin und wieder ein paar Ratschläge zu geben. Im Namen dieses Clubs hatte Rook ASS wegen Betrugs verklagt.

Rook trat in den Zeugenstand und gab seine Version der Geschichte zum Besten. Die üblichen Verfahrensregeln waren aufgehoben, damit die Wahrheitsfindung schnell erfolgen konnte — ganz gleich, welche Form die Wahrheit annahm.

«Ich gehe also zu ihm und frage ihn, was er von ValueNow hält, dieser neuen Gesellschaft, von der ich in Forbes gelesen hab«, erklärte Rook.»Die wollten an die Börse gehen und mir gefiel ihre Firmenphilosophie. ASS sagte, er würde sich darum kümmern, aber dann hörte ich nichts mehr von ihm. Also gehe ich noch mal zu ihm und frage ihn: >Was ist mit ValueNow?< Und er sagt, dass es seiner Meinung nach eine solide Gesellschaft ist und dass die Kurse steigen werden wie eine Rakete.«

«Das hab ich nicht gesagt«, unterbrach ihn Ass. Er saß weit hinten, abseits von den anderen, und hatte die verschränkten Arme auf die Lehne des Stuhls vor ihm gelegt.

«Hast du doch!«

«Hab ich nicht!«

«Jedenfalls hab ich die Clubmitglieder zusammengerufen und ihnen gesagt, dass ASS die Sache positiv beurteilt, und dann haben wir beschlossen, Anteile von ValueNow zu kaufen. Allerdings war das Zeichnungsangebot geschlossen, so dass Kleinanleger wie wir keine Chance hatten. Also gehe ich wieder zu ASS und sage: >Hör mal, könntest du nicht mal mit ein paar von deinen alten Kumpels von der Wall Street sprechen und uns ein paar Anteile von ValueNow besorgen?< Und er sagt, klar, kann er machen.«

«Das ist gelogen«, rief Ass.

«Ruhe«, sagte Richter Spicer.»Du kommst auch noch dran.«»Aber das ist gelogen«, sagte ASS, als gäbe es eine Regel, die Lügen verbot.

Wenn ASS Geld besaß, so war es ihm nicht anzumerken, jedenfalls nicht in Trumble. Bis auf die Stapel von Wirtschaftszeitschriften war seine zweieinhalb mal vier Meter große Zelle kahl und leer: keine Stereoanlage, kein Ventilator, keine Bücher oder Zigaretten — nichts von den Dingen, die alle anderen Gefangenen sich im Lauf der Zeit zulegten. Doch das nährte die Gerüchte nur noch mehr. Man hielt ihn für einen Geizhals, für einen komischen Vogel, der jeden Penny sparte und all sein Geld todsicher irgendwo im Ausland liegen hatte.

«Jedenfalls«, fuhr Rook fort,»beschlossen wir, das Risiko einzugehen und ein großes Paket von ValueNow-Anteilen zu kaufen. Wir wollten unsere anderen Papiere liquidieren und unsere Mittel konsolidieren.«

«Konsolidieren?«fragte Richter Beech. Rook klang, als jongliere er mit Wertpapieren in Milliardenhöhe.

«Genau, konsolidieren. Wir hatten uns von unseren Freunden und Familien so viel wie möglich geliehen und schließlich fast tausend Dollar zusammen.«

«Tausend Dollar«, wiederholte Richter Spicer. Nicht schlecht für ein paar Knastvögel.»Und dann?«

«Ich hab ASS gesagt, dass wir bereit sind, und ihn gefragt, ob er uns die Anteile besorgen kann. Das war an einem Dienstag. Die Zeichnungsfrist lief am Freitag darauf ab. ASS sagte, das wäre kein Problem. Er sagte, er hätte einen Freund bei Goldman Sux oder so ähnlich, der die Sache für uns regeln würde.«

«Das ist gelogen«, rief ASS von hinten.

«Jedenfalls, am Mittwoch treffe ich ASS auf dem Osthof und frage ihn nach den Anteilen. Er sagt, kein Problem.«

«Gelogen.«

«Ich hab einen Zeugen.«

«Wen?«fragte Richter Spicer.

«Picasso.«

Picasso saß hinter Rook, mitten unter den anderen sechs Mitgliedern des Investmentclubs, und hob zögernd die Hand.

«Stimmt das?«fragte Spicer.

«Ja«, antwortete Picasso.»Rook hat ihn nach den Aktien gefragt und ASS hat gesagt, er besorgt sie. Kein Problem. «

Picasso trat in vielen Verfahren als Zeuge auf und war öfter als die meisten anderen der Falschaussage überführt worden.

«Weiter«, sagte Spicer.

«Am Donnerstag war ASS nirgends zu finden. Er hat sich vor mir versteckt.«

«Hab ich nicht.«

«Am Freitag ging ValueNow an die Börse. Der Emissionswert lag bei zwanzig Dollar. Für den Preis hätten wir sie gekriegt, wenn Mr. Wall Street da drüben getan hätte, was er uns versprochen hatte. Die Aktie stieg auf sechzig, hielt sich den größten Teil des Tages auf achtzig und lag bei Börsenschluß bei siebzig. Wir hatten vorgehabt, so schnell wie möglich zu verkaufen. Wir hätten fünfzig Anteile kaufen und für achtzig Dollar verkaufen können — dann hätten wir dreitausend Dollar eingesackt.«

Gewalt kam in Trumble nur selten vor. Für 3000 Dollar wurde man nicht umgebracht, aber ein paar gebrochene Knochen lagen durchaus im Bereich des Möglichen. ASS hatte Glück gehabt. Bisher hatte man ihm nicht aufgelauert.