Tarry verschlimmerte die Sache, indem er ständig fragte:
«Wer ist Aaron Lake?«Mit einem Teil seines verbleibenden Geldes ließ er Aufkleber drucken, auf denen diese mittlerweile viel zitierte Frage stand: Wer ist Aaron Lake?
(Es war eine Frage, die auch Teddy sich inzwischen fast stündlich stellte, wenn auch aus anderen Gründen.)
Die Debatte sollte in einem kleinen Lutheranischen College in Pennsylvania stattfinden, das über ein Auditorium mit guter Akustik und Beleuchtung verfügte. Die Zahl der Zuschauer würde begrenzt bleiben. Die Mitarbeiter der gegnerischen Kandidaten stritten sich über die winzigsten Details, doch weil beide eine öffentliche Auseinandersetzung brauchten, einigte man sich schließlich. Bei der Festlegung des genauen Ablaufs wäre es fast zu Handgreiflichkeiten gekommen, doch als alles besprochen und geregelt war, war für jeden etwas dabei. Die Medien durften drei Journalisten auf die Bühne schicken, die beide Kandidaten gezielt befragen sollten. Die Zuschauer bekamen zwanzig Minuten, um unzensierte Fragen zu jedem beliebigen Thema zu stellen. Tarry, der eigentlich Anwalt war, forderte fünf Minuten Redezeit als Einleitung und zehn Minuten für eine Schlusserklärung. Lake wollte eine halbstündige, unmoderierte Diskussion mit Tarry: keine Regeln, kein Schiedsrichter — nur die beiden Kandidaten, die einander Zunder gaben. Das hatte Tarrys Leute hellauf entsetzt, und um ein Haar wäre die Vereinbarung daran gescheitert.
Der Moderator war ein örtlicher Rundfunkjournalist, und als er sagte:»Guten Abend, meine Damen und Herren, und herzlich willkommen zu der ersten und einzigen Debatte zwischen Gouverneur Wendeil Tarry und dem Kongressabgeordneten Aaron Lake«, sahen etwa 18 Millionen Menschen zu.
Tarry trug einen dunkelblauen Anzug, den seine Frau ihm ausgesucht hatte, dazu das übliche hellblaue Hemd und die übliche rot-blau gestreifte Krawatte. Lake trug einen schicken hellbraunen Anzug, ein weißes Hemd mit Haifischkragen und eine Krawatte, in der ein halbes Dutzend Farben vorkamen, vornehmlich aber Rot und Rotbraun. Das Ganze war von einem Modeberater zusammengestellt und auf die Farben des Sets abgestimmt worden. Man hatte Lakes Haar getönt und seine Zähne gebleicht. Er hatte Stunden auf einer Sonnenbank gelegen. Er wirkte frisch und durchtrainiert und schien es eilig zu haben, auf die Bühne zu kommen.
Auch Gouverneur Tarry war ein gut aussehender Mann. Obgleich er nur vier Jahre älter als Lake war, forderte der Wahlkampf von ihm einen schweren Tribut. Seine Augen waren müde und gerötet. Er hatte ein paar Pfund zugenommen, und das zeigte sich vor allem im Gesicht. Bei seiner Einleitung erschienen Schweißperlen auf seiner Stirn und glitzerten im Scheinwerferlicht.
Man war allgemein der Ansicht, dass für Tarry mehr auf dem Spiel stand, weil er bereits so viel verloren hatte. Anfangjanuar hatten so unfehlbare Propheten wie die Redakteure des Time Magazine bereits verkündet, seine Nominierung sei zum Greifen nah. Seit drei Jahren strebte er die
Präsidentschaftskandidatur an. Sein Wahlkampf basierte auf Laufarbeit und Präsenz an der Basis. Jeder Wahlkampfhelfer, jeder Revierleiter in lowa und New Hampshire hatte schon Kaffee mit ihm getrunken. Seine Organisation war perfekt.
Und dann kam Lake mit seinen abgefeimten Werbespots und seiner Beschränkung auf ein einziges Thema.
Tarry brauchte entweder einen beeindruckenden Auftritt oder einen schlimmen Patzer von Lake.
Er bekam weder das eine noch das andere. Man warf eine Münze, und er bekam den Vortritt. Bei seiner Einleitung geriet er ins Schwimmen. Er spazierte unbeholfen auf der Bühne herum und bemühte sich verzweifelt, locker zu wirken, vergaß aber, was auf seinen Notizkärtchen stand. Vor seinem Eintritt in die Politik hatte er zwar eine Anwaltskanzlei gehabt, doch sein Spezialgebiet waren Bürgschaften gewesen. Er vergaß einen Punkt nach dem anderen und kehrte zu seinem bekannten Argument zurück: Mr. Lake will diese Wahl kaufen, weil er nichts zu sagen hat. Tarrys Ton wurde gehässig, während Lake munter lächelte und die Worte an sich abperlen ließ.
Die schwache Eröffnung seines Gegners gab Lake Oberwasser. Sein Selbstvertrauen wuchs. Er blieb hinter seinem Podium, wo er die Notizen in Reichweite hatte. Er sagte, er sei nicht gekommen, um seinen Gegner mit Dreck zu bewerfen. Er respektiere Gouverneur Tarry, doch dieser habe soeben fünf Minuten und elf Sekunden lang kein einziges positives Wort gesagt.
Dann ging er nicht weiter auf Tarry ein, sondern brachte drei Themen zur Sprache, die seiner Meinung nach diskutiert werden müssten: Steuersenkungen, die Reform der Sozialausgaben, der Abbau der negativen Handelsbilanz. Kein Wort über den Verteidigungsetat.
Die erste Frage der Journalisten war an Lake gerichtet und betraf den Haushaltsüberschuss. Was sollte mit diesem Geld geschehen? Es war weniger eine Frage als vielmehr ein freundliches Stichwort, und Lake griff es eifrig auf. Man müsse das soziale Netz retten, war seine Antwort, und dann schilderte er in einer beeindruckenden Zurschaustellung finanzpolitischer Kompetenz, wie dieses Geld eingesetzt werden solle. Ohne einen einzigen Blick in sein Konzept zu werfen, nannte er Zahlen,
Prozentangaben und Prognosen.
Gouverneur Tarrys Antwort lautete einfach: Steuersenkungen. Man solle das Geld den Leuten zurückgeben, die es verdient hätten.
Bei der Befragung durch die Journalisten punktete keiner der Kandidaten besonders. Beide waren gut vorbereitet. Die einzige Überraschung war, dass Lake — der Mann, der das Pentagon mästen wollte — in anderen Themenbereichen so kompetent war. Die Debatte entwickelte sich zu dem üblichen Hin und Her. Die Fragen aus dem Publikum waren durchweg vorhersehbar. Brisant wurde es erst, als die Kandidaten begannen, einander zu befragen. Tarry bekam auch hier den Vortritt, und wie nicht anders zu erwarten fragte er Lake, ob er vorhabe, die Wahl zu kaufen.
«Als Sie noch mehr hatten als alle anderen, hat Ihnen das Geld nicht so viel Kopfzerbrechen bereitet«, gab Lake zurück, und das Publikum war mit einem Mal hellwach.
«Ich hatte keine 50 Millionen Dollar«, sagte Tary.
«Das habe ich auch nicht«, erwiderte Lake.»Es sind eher 60 Millionen, und die Spenden kommen schneller herein, als wir sie zählen können. Hauptsächlich von Arbeitern und Leuten mit mittlerem Einkommen. 81 Prozent der Spender verdienen weniger als 40 000 Dollar im Jahr. Wollen Sie diesen Leuten irgendwelche Vorwürfe machen, Gouverneur Tarry?«
«Die Wahlkampfausgaben der Kandidaten sollten begrenzt werden.«
«Das finde ich auch. Und ich habe bei verschiedenen Abstimmungen im Kongress achtmal für eine solche Begrenzung gestimmt. Sie dagegen sprechen erst von einer Begrenzung, seit Ihnen das Geld ausgegangen ist.«
Gouverneur Tarry sah mit dem erschrockenen Blick eines vom Scheinwerferlicht geblendeten Rehs in die Kamera. Ein paar Lake-Anhänger im Publikum lachten, gerade so laut, dass man sie hören konnte.
Als der Gouverneur in seinen zu großen Notizkarten blätterte, erschienen wieder Schweißperlen auf seiner Stirn. Er war zwar eigentlich kein amtierender Gouverneur, ließ sich aber trotzdem gern so nennen. Vor neun Jahren hatten die Wähler in Indiana ihn nach nur einer Amtszeit wieder nach Hause geschickt, doch diese Information sparte Lake sich für später auf.
Als Nächstes fragte Tarry, warum Lake in seinen vierzehn Jahren als Abgeordneter in vierundfünfzig Fällen für neue Steuern gestimmt habe.
«Ich kann mich nicht an vierundfünfzig Steuerfälle erinnern«, sagte Lake.»Aber einige davon betrafen Alkohol, Tabak und Glücksspiele. Ich habe gegen eine Erhöhung von Einkommensteuern, Körperschaftssteuern, Quellensteuern und Steuern auf Sozialhilfe gestimmt, und ich schäme mich dessen nicht. Aber da wir gerade von Steuern sprechen: In Ihren vier Jahren als Gouverneur von Indiana sind die Steuersätze dort um durchschnittlich sechs Prozent gestiegen. Haben Sie dafür eine Erklärung?«