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«Er hat einen Fehler begangen. Er dachte, er wäre schlau, und wahrscheinlich ist er das auch. Aber irgendwie ist diese Karte an Carol in den falschen Umschlag geraten.«

«Ihr müsst den großen Zusammenhang sehen«, sagte Beech.»Die Nominierung ist ihm sicher. Er hat gerade in einer landesweit ausgestrahlten Sendung seinen einzigen Konkurrenten fertig gemacht und ist endlich davon überzeugt, dass sein Name im November auf dem Wahlzettel stehen wird. Aber er hat ein Geheimnis. Er hat Ricky, und er denkt seit Wochen darüber nach, was er mit ihm machen soll. Der Junge wird demnächst entlassen und will sich mit ihm treffen und so weiter. Lake spürt den Druck von beiden Seiten: Da ist einerseits Ricky und andererseits die Erkenntnis, dass er, Aaron Lake, möglicherweise Präsident werden wird. Also beschließt er, Ricky abzuservieren. Er schreibt einen Brief, und die Chancen, dass irgendetwas schief geht, stehen eins zu einer Million — aber dann gerät das Flugzeug in Brand. Lake macht einen kleinen Fehler, aber dieser Fehler verwandelt sich in ein Monster.«

«Und er weiß es nicht«, fügte Yarber hinzu.»Noch nicht.«

Beechs Theorie klang überzeugend. In der lastenden Stille ihres kleinen Zimmers betrachteten sie sie von allen Seiten. Die Tragweite ihrer Entdeckung ließ sie verstummen. Die Stunden vergingen, und langsam begriffen sie. Die nächste große Frage betraf die beunruhigende Tatsache, dass jemand Einblick in ihre Post genommen hatte. "Wer? Warum sollte irgendjemand so etwas tun? Und wie hatte er die Briefe abgefangen? Das Rätsel erschien ihnen unlösbar.

Wieder erwogen sie die Theorie, es müsse sich um jemanden handeln, der Lake sehr nahe stand — ein Assistent vielleicht, der Zugang zu privaten Unterlagen hatte und über die Briefe gestolpert war. Möglicherweise wollte er Lake vor Ricky beschützen, indem er sich mit dem Ziel, die Beziehung eines Tages irgendwie zu beenden, in den Briefwechsel einmischte.

Doch letztlich wussten sie zu wenig, um sich ein genaues Bild machen zu können. Sie kratzten sich am Kopf, kauten an den Fingernägeln und mussten schließlich zugeben, dass es wohl besser war, alles noch einmal zu überschlafen. So lange sie sich mehr Fragen als Antworten gegenübersahen, konnten sie keine konkreten Pläne machen.

Sie schliefen nur wenig. Unrasiert und mit geröteten Augen kamen sie kurz nach sechs Uhr morgens

wieder zusammen und tranken dampfenden schwarzen Kaffee aus Styroporbechern. Sie verschlossen die Tür, holten die Briefe hervor, legten sie wie am Tag zuvor nebeneinander auf den Tisch und dachten nach.

«Ich finde, wir sollten rausfinden, wer das Postfach in Chevy Chase gemietet hat«, sagte Spicer.»Das ist leicht, sicher und geht meist ganz schnell. Trevor hat das bisher fast immer hingekriegt. Wenn wir wissen, wem das Ding gehört, haben wir eine Antwort auf viele Fragen.«

«Schwer zu glauben, dass jemand wie Aaron Lake ein Postfach mietet, um sich solche Briefe schicken zu lassen«, sagte Beech.

«Er ist nicht mehr derselbe Aaron Lake«, sagte Yarber.»Als er das Postfach gemietet und den Briefwechsel mit Ricky angefangen hat, war er bloß Abgeordneter, einer von 435. Kaum einer hatte je von ihm gehört. Aber das hat sich jetzt gründlich geändert.«

«Und das ist genau der Grund, warum er versucht, diesen Briefwechsel zu beenden«, ergänzte Spicer.»Er ist in einer völlig anderen Situation, denn er hat auf einmal viel mehr zu verlieren.«

Der erste Schritt musste also sein, Trevor damit zu beauftragen, den Mieter des Postfachs in Chevy Chase zu ermitteln.

Der zweite Schritt war schon schwieriger. Sie machten sich Sorgen, Aaron Lake — sie nahmen an, dass AI Konyers in Wirklichkeit Lake war — könnte das Versehen bemerkt haben. Ihm standen zweistellige Millionenbeträge zur Verfügung (eine Tatsache, die ihnen durchaus bewusst war), und er würde mit Leichtigkeit einen Teil davon einsetzen können, um Ricky aufzuspüren. Angesichts des enormen Einsatzes, der auf dem Spiel stand, konnte Lake, falls er seinen Fehler bemerkte, alles Mögliche tun, um Ricky zu neutralisieren.

Und so diskutierten sie, ob sie ihm einen Brief schreiben sollten, in dem Ricky AI anflehte, ihn nicht einfach fallen zu lassen. Ricky brauchte seine Freundschaft, seine väterliche Unterstützung, und so weiter. Damit würden sie den Eindruck erwecken, dass alles ganz normal war. Lake würde den Brief lesen und sich fragen, was eigentlich aus dieser verdammten Karte an Carol geworden war.

Doch sie kamen zu dem Schluss, dass es unklug wäre, einen solchen Brief zu schreiben, denn irgendjemand las ihre Post, und solange sie nicht wussten, wer es war, konnten sie keinen weiteren Kontakt mit AI riskieren.

Sie tranken ihren Kaffee aus und gingen zur Cafeteria. Sie aßen allein, Müsli und Obst und Joghurt — gesundes Zeug, denn nun erwartete sie ein Leben in Freiheit. Danach drehten sie in gemächlichem Tempo vier zigarettenlose Runden um die Aschenbahn, kehrten in ihr Besprechungszimmer zurück und versanken für den Rest des Morgens in tiefe Gedanken.

Armer Lake. Er eilte mit fünfzig Leuten im Schlepptau von einem Bundesstaat zum anderen, war stets in Zeitdruck, und ein Dutzend Assistenten flüsterte ihm unablässig Ratschläge und Anweisungen ins Ohr. Er hatte keine Zeit, einen klaren Gedanken zu fassen.

Die Richter dagegen konnten den ganzen Tag, Stunde um Stunde damit verbringen, Pläne zu schmieden und bis ins Kleinste zu durchdenken. Es war ein ungleicher Kampf.

SECHSUNDZWANZIG

In Trumble gab es zwei Arten von Telefonen: überwachte und nicht überwachte. Theoretisch saßen

bei allen Gesprächen, die von überwachten Apparaten aus geführt wurden, kleine Heinzelmännchen in der Leitung, die nichts anderes taten, als sich unzählige Stunden sinnlosen Geplauders anzuhören. In Wirklichkeit wurde nur knapp die Hälfte der Gespräche aufgezeichnet, und etwa fünf Prozent wurden tatsächlich von irgendwelchen Gefängnisangestellten überwacht. Nicht einmal die Regierung verfügte über so viele Heinzelmännchen, wie nötig gewesen wären, um alle Gespräche abzuhören.

Drogendealer hatten auf überwachten Leitungen Geschäfte abgewickelt. Mafiabosse hatten Morde an Rivalen in Auftrag gegeben. Die Chancen, erwischt zu werden, waren gering.

Die Zahl der nicht überwachten Apparate war kleiner. Es gab eine gesetzliche Vorschrift, der zufolge diese nicht angezapft werden durften, denn sie waren für Gespräche mit Anwälten reserviert. In der Nähe dieser Telefone war jedoch immer ein Wärter postiert.

Als Spicer schließlich an der Reihe war, entfernte sich der Wärter diskret.

«Anwaltskanzlei«, lautete die unwirsche Begrüßung aus der Freiheit.

«Hier ist Joe Roy Spicer. Ich rufe aus dem Gefängnis in Trumble an und muss Trevor sprechen.«

«Der schläft.«

Es war halb zwei nachmittags.»Dann wecken Sie den Mistkerl gefälligst!«knurrte Spicer.

«Einen Augenblick.«

«Würden Sie sich bitte beeilen? Ich spreche von einem Gefängnisapparat aus.«

Joe Roy Spicer sah sich um und fragte sich — nicht zum ersten Mal —, was für einen Anwalt sie da eigentlich an Land gezogen hatten.

«Warum rufst du mich an?«waren Trevors erste Worte.

«Das wirst du schon noch erfahren. Setz deinen Arsch in Bewegung, und mach dich an die Arbeit. Du musst etwas erledigen, und zwar schnell.«

Inzwischen herrschte in dem Haus gegenüber der Kanzlei hektische Aktivität. Es war der erste Anruf aus Trumble.

«Worum geht's?«

«Wir müssen herauskriegen, wer der Mieter eines bestimmten Postfachs ist. Es eilt. Und wir wollen, dass du die Aktion überwachst. Du bleibst dort, bis alles geklärt ist.«

«Warum ich?«

«Weil wir es dir sagen. Das könnte der dickste Fisch überhaupt sein.«

«Und wo ist dieses Postfach?«