«Das sage ich Ihnen, wenn ich das Geld habe. Und wer ist Ihr Klient?«
«Welcher? Wie viele Leute haben Sie denn an der Angel?«
«Ricky war in letzter Zeit ziemlich fleißig. Ich schätze, so um die zwanzig.«
«Und wie viele haben Sie erpresst?«
«Zwei oder drei. Es ist ein übles Geschäft.«
«Wie sind Sie da hineingeraten?«
«Ich bin Rickys Anwalt. Er ist sehr intelligent, er langweilt sich sehr, und irgendwie hat er sich diesen Plan ausgedacht, um reiche Typen zu erpressen, die ihre wahren Neigungen verbergen wollen. Und wider besseres Wissen hab ich mitgemacht.«
«Ist er selbst schwul?«fragte Wes. Er kannte die Namen von Beechs Enkeln. Er wusste, welche Blutgruppe Yarber hatte. Er kannte den Namen des Geliebten, den Spicers Frau in Mississippi hatte.
«Nein«, sagte Trevor.
«Dann ist er ein Psychopath.«
«Nein, er ist ein netter Kerl. Und wer ist Ihr Klient?«
«AI Konyers.«
Trevor nickte und versuchte, sich zu erinnern, wie viele Briefe von Ricky an AI durch seine Hände gegangen waren.»So ein Zufall. Ich wollte gerade nach Washington fahren, um rauszukriegen, wer sich hinter diesem Namen verbirgt. AI Konyers ist natürlich nicht sein wirklicher Name.«
«Natürlich nicht.«
«Kennen Sie seinen wirklichen Namen?«
«Nein. Wir sind von seinen Leuten angeheuert worden.«»Interessant. Dann kennt also keiner von uns AI Konyers.«
«Genau. Und dabei wird es auch bleiben.«
Trevor zeigte auf eine Tankstelle.»Halten Sie mal kurz — ich brauche ein Bier.«
Wes wartete in der Nähe der Zapfsäulen. Man hatte sich darauf geeinigt, Trevors Trinkgewohnheiten erst anzusprechen, wenn man ihm das Geld übergeben und er ihnen alles gesagt hatte. Wes und Chap würden ein Vertrauensverhältnis aufbauen und ihn dann sanft zu mehr Nüchternheit drängen. Das Letzte, was sie brauchten, war ein Trevor, der sich allabendlich in Pete's Bar and Grill betrank und zu viel redete.
Chap erwartete sie in einem identischen Mietwagen vor einem Waschsalon acht Kilometer südlich von Ponte Vedra Beach. Er übergab Trevor einen schmalen, billigen Aktenkoffer und sagte:»Es ist alles da drin. Hunderttausend Dollar. Wir sehen uns dann in der Kanzlei.«
Trevor hörte kaum, was er sagte. Er öffnete den Aktenkoffer und begann, das Geld zu zählen. Wes wendete den Wagen und fuhr in Richtung Norden. Es waren zehn Bündel ä 10000 Dollar in 100-Dollar-Scheinen.
Trevor klappte den Koffer zu und wechselte die Seiten.
SIEBENUNDZWANZIG
Chaps erste Aufgabe als Trevors Gehilfe bestand darin, den Empfangstisch aufzuräumen und alle weiblichen Spuren zu tilgen. Er packte Jans Sachen in einen Pappkarton: Lippenstift, Nagelfeilen, Schokoriegel mit Erdnussfüllung, diverse Liebesromane mit pornografischen Passagen. Dabei stieß er auch auf einen Umschlag mit etwas über 80 Dollar, den sein neuer Boss mit der Begründung, das sei die Portokasse, einsteckte.
Chap wickelte Jans Bilderrahmen in alte Zeitungen und legte sie zusammen mit den zerbrechlichen Kleinigkeiten, wie man sie auf den meisten Schreibtischen von Sekretärinnen findet, vorsichtig in eine zweite Schachtel. Dann kopierte er den Terminkalender, so dass man wusste, wer wann erscheinen würde. Der Besucherverkehr würde sich in Grenzen halten, was ihn nicht erstaunte. Weit und breit kein einziger Gerichtstermin. Zwei Kanzleitermine in dieser und zwei in der nächsten Woche, dann nichts mehr. Während Chap den Terminkalender studierte, wurde deutlich, dass Trevor ungefähr zu der Zeit, als das Geld von Quince Garbe eingegangen war, sein Arbeitspensum noch einmal verringert hatte.
Sie wussten, dass Trevor in den letzten Wochen mehr gespielt und vermutlich auch mehr getrunken hatte. Jan hatte ihren Freundinnen am Telefon des Öfteren erzählt, dass Trevor mehr Zeit bei Pete's als in der Kanzlei verbrachte. Chap schuf Ordnung auf dem Schreibtisch, wischte Staub, saugte den Fußboden und warf alte Magazine weg. Gelegentlich läutete das Telefon. Da es zu seinem Job gehörte, Anrufe entgegenzunehmen, blieb er in der Nähe des Apparats. Die meisten waren für Jan, und er erklärte höflich, sie arbeite nicht mehr in der Kanzlei. Die meisten Anrufer schienen das für eine gute Nachricht zu halten.
Früh am Morgen erschien ein als Schreiner verkleideter Agent, um die Vordertür zu reparieren.
Trevor staunte über Chaps Tüchtigkeit.»Wie haben Sie so schnell einen Handwerker aufgetrieben?«fragte er.
«Man muss bloß im Branchenbuch nachsehen.«
Ein anderer Agent, der sich als Schlosser ausgab, wechselte sämtliche Schlösser im Haus aus.
Die Vereinbarung sah vor, dass Trevor in den nächsten dreißig Tagen keine neue Mandanten annehmen würde. Er hatte sich so lange und vehement dagegen gewehrt, als hätte er einen Ruf als Prominentenanwalt zu verlieren. Wenn man an all die Leute dachte, die ihn vielleicht brauchen würden! Doch Wes und Chap wussten, wie wenig er im vergangenen Monat getan hatte, und bestanden darauf, bis er schließlich nachgab. Sie wollten die Kanzlei für sich haben. Chap rief die Mandanten an, die bereits einen Termin hatten, und erklärte ihnen, Mr. Carson habe an dem entsprechenden Tag einen Gerichtstermin. Im Augenblick sei es sehr schwierig, einen neuen Termin zu vereinbaren, doch er werde sie anrufen, sobald Mr. Carson nicht mehr so stark in Anspruch genommen sei.
«Ich dachte, er ist nie bei Gericht«, sagte einer von ihnen.
«Manchmal schon«, sagte Chap.»Es ist ein wirklich großer Fall.«
Als die Mandantenliste so weit wie möglich reduziert war, blieb nur noch ein Fall, der ein persönliches Gespräch in der Kanzlei erforderte: Es ging um Unterhaltszahlungen für ein Kind, und Trevor vertrat die Mutter nun schon seit drei Jahren. Er konnte ihren Fall nicht einfach abgeben.
Jan kam vorbei, um ihrem Ärger Luft zu machen, und hatte eine Art Freund mitgebracht, einen drahtigen jungen Mann mit einem Spitzbärtchen, Polyesterhose, weißem Hemd und Krawatte. Chap nahm an, dass er Gebrauchtwagen verkaufte. Er hätte Trevor mit Leichtigkeit verprügeln können, doch Chap war für ihn eine Nummer zu groß.
«Ich will mit Trevor sprechen«, sagte Jan und musterte ihren aufgeräumten ehemaligen Schreibtisch.»Tut mir leid, er ist in einer Besprechung.«
«Wer sind Sie überhaupt?«
«Sein neuer Anwaltsgehilfe.«
«Ich gebe Ihnen einen guten Rat: Lassen Sie sich Ihr Gehalt im Voraus zahlen.«
«Danke. Ihre Sachen sind in den beiden Kartons da drüben«, sagte er.
Sie bemerkte, dass der Zeitschriftenständer aufgeräumt, der Papierkorb geleert, das Mobiliar geputzt war. Es lag ein antiseptischer Geruch in der Luft, als hätte man den Platz, wo sie einst gesessen hatte, desinfiziert. Sie wurde hier nicht mehr gebraucht.
«Sagen Sie Trevor, dass er mir noch 1000 Dollar Gehalt schuldet.«
«Werde ich tun«, antwortete Chap.»Sonst noch was?«
«Ja. Dieser neue Mandant, der gestern gekommen ist. Yates Newman. Sagen Sie Trevor, dass ich in den Zeitungen nachgelesen habe. In den letzten zwei Wochen hat es auf der 1-95 keine tödlichen Unfälle gegeben. Und es stand auch nirgends was davon, dass eine Frau namens Newman ums Leben gekommen ist. Irgendwas ist da faul.«
«Danke. Ich werd's ihm sagen.«
Sie sah sich noch ein letztes Mal um und grinste schief, als sie die reparierte Tür sah. Ihr Freund
starrte Chap an, als wollte er doch noch auf ihn losgehen und ihm das Genick brechen, ließ es aber bei einem Blick bewenden. Die beiden gingen hinaus, ohne etwas zu zerbrechen. Jeder trug einen Karton zum Wagen.
Chap sah ihnen nach und bereitete sich dann auf die Nervenprobe vor, die ihn in der Mittagspause erwartete.
Das gestrige Abendessen hatten sie in der Nähe eingenommen, in einem gut besuchten neuen Fischrestaurant, das zwei Blocks vom Sea Turtle Inn entfernt lag. Die Höhe der Preise stand in keinem Verhältnis zur Größe der Portionen, und eben das war der Grund, warum Trevor, der neueste Millionär von Jacksonville, darauf bestanden hatte, dorthin zu gehen. Der Abend ging natürlich auf ihn, und er scheute keine Kosten. Nach den ersten Martinis war er betrunken und wusste nicht mehr, was er bestellt hatte. Wes und Chap erklärten ihm, ihr Auftraggeber erlaube ihnen keinen Alkohol. Sie tranken Mineralwasser und sorgten dafür, dass sein Weinglas immer gefüllt war.