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«Scheint mir auch so.«

«Alles klar. Ich melde mich später wieder. «Argrow drückte die» Ende«-Taste, hielt sich aber weiterhin das Telefon ans Ohr und tat, als wäre er in ein Gespräch vertieft. Er setzte sich auf die Tischkante, ging dann auf und ab und warf gelegentlich einen Blick auf die Richter und die Bibliothek. Spicer konnte sich nicht beherrschen und sah verstohlen durch das kleine Fenster in der Tür.»Er telefoniert«, sagte er aufgeregt.

«Was hast du denn gedacht?«fragte Yarber, der gerade das Rundschreiben mit den neuesten Gerichtsentscheidungen studierte.

«Krieg dich wieder ein, Joe Roy«, sagte Beech.»Das Geld ist zusammen mit Trevor verschwunden.«

Es vergingen zwanzig Minuten, die so ereignislos waren wie immer. Während Argrow telefonierte, vertrieben sich die Richter die Zeit. Anfangs warteten sie einfach, doch dann wandten sie sich dringenderen Dingen zu. Sechs Tage waren vergangen, seit Buster mit ihrem Brief geflohen war. Sie hatten nichts von ihm gehört, und das bedeutete, dass alles gut gegangen war. Er hatte den Brief an Konyers in den Briefkasten geworfen und war inzwischen über alle Berge. Der Brief müsste nach etwa drei Tagen in Chevy Chase eingetroffen sein, und Mr. Aaron Lake überlegte jetzt wahrscheinlich verzweifelt, was er tun sollte.

Das Gefängnis hatte sie Geduld gelehrt. Es gab nur einen Termin, der ihnen Sorgen machte. Lake hatte die Nominierung in der Tasche, und das hieß, dass er vielleicht nur bis zur Wahl im November verwundbar war. Wenn er sie gewann, konnten sie ihn vier Jahre lang unter Druck setzen, doch wenn er verlor, würde er, wie alle Verlierer, bald vergessen sein.»Wer spricht heute noch von Dukakis?«hatte Beech gefragt.

Sie hatten nicht vor, bis November zu warten. Geduld war schön und gut, aber hier ging es um ihre Freilassung- Lake war ihre einzige Chance, freizukommen, und zwar mit so viel Geld, dass sie ein angenehmes Leben führen konnten.

Sie wollten eine Woche warten und dann den nächsten Brief an AI Konyers in Chevy Chase schicken. Wie sie ihn hinausschmuggeln sollten, wussten sie zwar noch nicht, aber ihnen würde schon etwas einfallen. Link, der Wärter am Empfang, den Trevor monatelang geschmiert hatte, war ihr erstes Ziel.

Argrows Telefon eröffnete eine neue Möglichkeit.»Wenn er uns das Ding benutzen lässt«, sagte Spicer,»können wir Lake anrufen. Oder sein Wahlkampf-Hauptquartier, sein Büro im Kongress — jede verdammte Nummer, die wir über die Auskunft kriegen können. Wir hinterlassen die Nachricht, dass Ricky aus der Drogenklinik sich unbedingt mit Mr. Lake treffen will. Das wird ihm eine Heidenangst machen.«

«Aber Argrow — oder jedenfalls sein Bruder — sieht auf der Rechnung, wer mit dem Apparat angerufen worden ist«, gab Yarber zu bedenken.

«Na und? Wir bezahlen ihm die Gebühren. Dann weiß er eben, dass wir Lake angerufen haben — und wenn schon. Im Augenblick versucht alle Welt, ihn anzurufen. Argrow hat keine Ahnung, warum wir mit Lake sprechen wollten.«

Es war eine hervorragende Idee. Sie durchdachten sie von allen Seiten. Ricky konnte von der Drogenklinik aus anrufen und Nachrichten hinterlassen — Spicer konnte dasselbe tun. Der arme Lake würde nicht mehr aus noch ein wissen.

Der arme Lake. Er bekam das Geld schneller, als er es zählen konnte.

Nach einer Stunde kam Argrow aus dem Besprechungszimmer und verkündete, er sei ein gutes Stück weitergekommen.»Ich muss jetzt eine Stunde warten und dann noch ein paar Anrufe machen«, sagte er.»Gehen wir doch erst mal Mittag essen.«

Sie waren begierig, ihr Gespräch fortzusetzen, und taten das bei Hamburgern und Salat.

DREIUNDDREISSIG

Jayne hielt sich an Mr. Lakes genaue Anweisungen und fuhr allein nach Chevy Chase. Sie fand das Einkaufszentrum an der Western Avenue und parkte vor der Mailbox-America-Filiale. Mit Mr. Lakes Schlüssel öffnete sie das Postfach, entnahm ihm acht Reklamesendungen und legte sie in eine Mappe. Es waren keine persönlichen Briefe dabei. Dann ging sie zum Schalter und sagte dem Angestellten, sie wolle den Mietvertrag im Auftrag ihres Chefs Mr. AI Konyers kündigen.

Der Angestellte gab etwas in den Computer ein. Das Postfach war vor etwa sieben Monaten von einem Aaron L. Lake auf den Namen AI Konyers gemietet worden. Er hatte die Miete für zwölf Monate im Voraus bezahlt — es war also kein Rechnungsbetrag mehr offen.

«Ist das der Typ, der Präsident werden will?«fragte der Angestellte, als er ihr das Formular zuschob.»Ja«, sagte sie und unterschrieb hinter dem Kreuz.

«Keine Nachsendeadresse?«

«Nein.«

Sie ging, die Mappe unter dem Arm, hinaus und fuhr zurück in die Innenstadt. Keinen Augenblick hatte sie an Lakes Geschichte gezweifelt, er habe das Postfach gemietet, um Machenschaften im Pentagon aufzudecken. Seine Gründe gingen sie nichts an, und sie hatte ohnehin keine Zeit, viele Fragen zu stellen. Lake hielt seine Mitarbeiter achtzehn Stunden am Tag auf Trab, und es gab weit Wichtigeres als gemietete Postfächer. Er erwartete sie im Hauptquartier, wo er, was selten genug vorkam, abseits und für sich allein saß. Die Büros und Korridore ringsum wimmelten von allen möglichen Assistenten, die hin und her eilten, als stünde ein Kriegsausbruch unmittelbar bevor. Lake genoss seine augenblickliche Ruhe. Jayne reichte ihm die Mappe und ließ ihn allein.

Lake zählte acht Reklamesendungen: Taco-Heimdienst, Telefongesellschaft, Autowaschanlage, Gutscheine für dies und das. Kein Brief von Ricky. Das Postfach war ohne Hinterlassung einer Nachsendeadresse gekündigt worden. Der arme Junge würde einen anderen finden müssen, der ihm beim Start in ein neues Leben half. Lake schob die Reklamesendungen und die Kündigungsbestätigung in einen kleinen Shredder, der unter seinem Schreibtisch stand, lehnte sich zurück und genoss diesen Augenblick. Er trug nur wenig Ballast mit sich herum und hatte in seinem Leben nicht viele Fehler gemacht. An Ricky zu schreiben war ausgesprochen dumm gewesen, doch er war heil aus dieser Sache herausgekommen. Was für ein Glück!

Er lächelte, er kicherte beinahe in sich hinein. Dann sprang er auf, nahm sein Jackett und rief seine Begleiter zusammen. Der Kandidat hatte wichtige Besprechungen, und anschließend war er mit

einigen Rüstungslieferanten zum Mittagessen verabredet.

Ach, was für ein Glück!

Im Besprechungszimmer der Bibliothek, in der seine neuen Freunde wie schläfrige Wärter Wache hielten, hantierte Argrow so lange mit seinem Telefon, bis sie überzeugt waren, dass er all seine Kontakte zu der dunklen, trüben Welt der Geldwäsche nutzte. Zwei Stunden lang ging er, das Telefon ans Ohr gepresst, auf und ab wie ein hektischer Börsenmakler und sprach hinein. Schließlich kam er aus dem Zimmer.

«Gute Nachrichten«, verkündete er mit einem erschöpften Lächeln.

Sie sahen ihn erwartungsvoll an.

«Es ist noch da«, sagte er.

Und dann kam die große Frage, deren Antwort darüber entscheiden würde, ab Argrow ein Betrüger oder ein Experte war.

«Wie viel?«sagte Spicer.

«Hundertneunzigtausend und ein bisschen Kleingeld«, sagte er, und sie atmeten gemeinsam auf.

Spicer lächelte. Beech blickte zu Boden. Yarber sah Argrow mit einem fragenden, aber erfreuten Stirnrunzeln an.

Laut ihren Unterlagen sollte der Kontostand 189000 Dollar betragen, zuzüglich der mageren Zinsen, die die Bank zahlte.

«Er hat’s nicht geklaut«, murmelte Beech, und alle drei dachten mit Wärme an ihren toten Anwalt zurück, der auf einmal nicht mehr der Schurke war, für den sie ihn gehalten hatten.

«Ich frage mich, warum«, sagte Spicer halblaut.

«Jedenfalls ist es immer noch da«, sagte Argrow.»Ihr müsst eine Menge Beratungen gemacht haben.«