«Aber Sie bezahlen die Rechnungen, oder?«sagte die Tante.
«Nein, das hat Trevor immer selbst getan.«
«Also hören Sie, junger Mann, die wollen sechshundert Dollar, um ihn von Jamaika nach Hause zu fliegen.«
«Warum war er überhaupt in Jamaika?«fiel Mrs. Carson ihr ins Wort.
«Er wollte dort einen Kurzurlaub machen.«
«Und sie hat keine sechshundert Dollar«, fuhr Heien fort.
«Doch, hab ich wohl.«
«Na ja, es ist ein bisschen Bargeld da«, sagte Chap. Die Tante sah gleich viel zufriedener aus.
«Wie viel?«fragte sie.
«Etwas über neunhundert Dollar. Trevor hatte immer eine ziemlich große Portokasse.«
«Geben Sie sie mir«, verlangte Tante Heien.
«Dürfen wir das denn?«fragte Mrs. Carson.
«Sie sollten das Geld lieber nehmen«, sagte Chap ernst.»Sonst geht es in den Nachlass ein, und das würde bedeuten, dass das Finanzamt es kassiert.«
«Was geht außerdem in den Nachlass ein?«wollte Heien wissen.
«Das alles«, sagte Chap, während er zum Empfangstisch ging, und machte eine ausladende Gebärde. Er nahm einen zerknitterten, mit vielen kleinen und großen Geldscheinen voll gestopften Briefumschlag aus einer Schublade, der vor wenigen Minuten vom Haus gegenüber hierher gebracht worden war. Er reichte den Umschlag Heien, die ihn ihm aus der Hand riss und sich sogleich daran machte, das Geld zu zählen.
«Neunhundertzwanzig und ein bisschen Kleingeld«, sagte Chap.
«Bei welcher Bank hatte er sein Konto?«fragte Heien.
«Ich habe keine Ahnung. Wie ich schon sagte: Er war in Geldangelegenheiten sehr eigen. «Und das war nicht gelogen. Trevor hatte die 900 000 Dollar von den Bahamas auf die Bermudas überwiesen, und dort verlor sich die Spur. Das Geld befand sich jetzt auf irgendeinem Nummernkonto, über das nur Trevor Carson verfügen konnte. Man wusste, dass er nach Grand Cayman hatte fahren wollen, doch die Banken dort waren berühmt für ihre Diskretion. Zwei Tage intensiver Recherchen hatten nichts zutage gebracht. Der Mörder hatte Trevors Brieftasche und Zimmerschlüssel an sich genommen, und noch während die Polizei mit der Spurensicherung am Tatort beschäftigt gewesen war, hatte er das Hotelzimmer gründlich durchsucht. In einer Schublade hatte er 8000 Dollar in bar
gefunden, aber auf weitere Hinweise war er nicht gestoßen. Niemand wusste, wohin Trevor das Geld verschoben hatte.
In Langley war man zu der Erkenntnis gelangt, dass Trevor aus irgendeinem Grund den Verdacht gehabt hatte, er werde beschattet: Der größte Teil des Bargelds war verschwunden — möglicherweise in einem Bankschließfach auf den Bahamas deponiert —, und er hatte das Hotelzimmer nicht im Voraus reserviert, sondern war einfach zur Rezeption gegangen und hatte in bar für eine Übernachtung bezahlt.
Jemand, der auf der Flucht war und einer Summe von 900 000 Dollar von einer Insel zur anderen folgte, musste doch irgendwo Unterlagen über seine Bankverbindungen haben. Bei Trevor fand sich nichts dergleichen.
Während Trevors Tante das einzige Geld zählte, das aus seinem Nachlass zu erwarten war, dachte Chap an das Vermögen, das irgendwo in der Karibik verschollen war.
«Was sollen wir jetzt tun?«fragte Mrs. Carson.
Chap zuckte die Schultern und sagte:»Ich nehme an, Sie werden ihn beerdigen müssen.«
«Können Sie uns helfen?«
«Eigentlich nicht. Ich-«
«Sollen wir ihn nach Scranton bringen lassen?«fragte Heien.
«Das liegt bei Ihnen.«
«Wie viel würde das kosten?«
«Ich habe keine Ahnung. So etwas habe ich noch nie gemacht.«
«Aber alle seine Freunde leben hier«, sagte Trevors Mutter und tupfte ihre Augen mit einem Taschentuch ab.
«Er ist vor langer Zeit von Scranton hierher gezogen«, sagte Heien und sah hierhin und dorthin, als sei diesem Umzug eine lange Geschichte vorausgegangen. Was zweifellos der Fall war, dachte Chap.
«Seine Freunde hier in Neptune Beach wollen sicher eine Gedenkfeier veranstalten«, sagte Mrs. Carson.
«Es ist bereits eine geplant«, bestätigte Chap.
«Tatsächlich?«fragte sie erfreut.
«Ja, für morgen um vier Uhr.«
«Wo?«
«Bei Pete's. Das ist nur ein paar Blocks von hier entfernt.«
«Bei Pete's?«sagte Heien.
«Das ist so eine Art Restaurant.«
«In einem Restaurant? Warum nicht in einer Kirche?«
«Ich glaube, er war kein Kirchgänger.«
«In seiner Kindheit schon«, sagte seine Mutter wie zur Verteidigung.
Zum Gedenken an Trevor würde die Happy Hour bereits um vier Uhr beginnen und bis Mitternacht dauern, und Trevors Lieblingsbier würde nur 5 °Cent pro Flasche kosten.
«Sollten wir hingehen?«fragte Heien. Sie hatte dabei kein gutes Gefühl.
«Lieber nicht.«
«Warum nicht?«fragte Mrs. Carson.
«Es könnte ein bisschen laut werden. Lauter Anwälte und Richter, Sie wissen schon. «Er sah die Tante stirnrunzelnd an, und sie begriff.
Sie erkundigten sich nach Beerdigungsinstituten und Grabstellen, und Chap stellte fest, dass er immer tiefer in ihre Probleme hineingezogen wurde. Die CIA hatte Trevor getötet. Sollte sie nun auch für ein ordentliches Begräbnis sorgen?
Klockner war nicht dieser Ansicht.
Nachdem die Damen gegangen waren, entfernten Chap und Wes die letzten Kameras, Mikrofone, Telefonwanzen und Antennen. Anschließend räumten sie auf, und als sie zum letzten Mal die Tür abschlössen, war Trevors Kanzlei so ordentlich wie nie zuvor.
Die Hälfte von Klockners Team hatte bereits die Stadt verlassen. Die andere Hälfte stand für Argrow bereit. Man wartete.
Als die Fälscher in Langley mit Argrows Gerichtsakte fertig waren, wurde sie in einen Pappkarton gelegt und mit drei Agenten an Bord eines kleinen Jets nach Jacksonville geflogen. Die Unterlagen enthielten unter anderem die einundfünfzig Seiten umfassende Anklageschrift, die einer Grand Jury in Dade County vorgelegen hatte, eine Korrespondenzmappe mit Briefen der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers, einen dicken Ordner mit Anträgen und vorgerichtlichen Gesuchen, Aktennotizen für die Beweiserhebung, eine Liste von Zeugen und Zusammenfassungen ihrer Aussagen, Informationen für den Prozessanwalt, das Protokoll der Geschworenenüberprüfung, eine Zusammenfassung des Verhandlungsverlaufs, psychologische Gutachten und schließlich das Urteil sowie die Urteilsbegründung. Das Ganze war einigermaßen ordentlich, jedoch nicht so ordentlich, dass es Misstrauen hätte wecken können. Es gab unscharfe Kopien, hier und da fehlte eine Seite, und Heftklammern waren ausgerissen — kleine Tupfer Realität, die die fleißigen Mitarbeiter der Abteilung Dokumente eingefügt hatten, um der Akte Authentizität zu verleihen. Den größten Teil würden Beech und Yarber ohnehin nicht brauchen, doch der schiere Umfang war beeindruckend. Selbst der Pappkarton war alt und abgegriffen. Jack Argrow, ein Bruder des Häftlings Wilson Argrow, überbrachte die Akte nach Trumble. Er war Anwalt in Boca Raton, Florida, und hatte eine Kopie seiner Zulassung im Staat Florida per Fax an den zuständigen Beamten in Trumble geschickt. Sein Name stand jetzt auf der Liste der Rechtsanwälte, die ein Besuchsrecht hatten.
Jack Argrow war Roger Lyter. Er hatte ein Jurastudium in Texas absolviert und arbeitete seit dreizehn Jahren für die CIA. Wilson Argrow, dessen wirklicher Name Kenny Sands war, hatte er noch nie in seinem Leben gesehen. Die beiden schüttelten sich die Hände und begrüßten einander, während Link den Pappkarton, der auf dem Tisch stand, misstrauisch beäugte.
«Was ist da drin?«wollte er wissen.
«Meine Gerichtsakte«, sagte Wilson.
«Papierkram«, sagte Jack.
Link hob den Deckel ab und blätterte flüchtig in den Unterlagen. Die Überprüfung war nach wenigen Sekunden beendet, und er verließ den Raum.
Wilson schob ein Blatt Papier über den Tisch und sagte:»Das ist die Erklärung. Überweis das Geld an die Bank in Panama und bring mir die schriftliche Bestätigung, damit ich sie ihnen zeigen kann.«