Ein plötzliches Klopfen an der Tür ließ sie zusammenzucken. Zwei Wärter sahen durch das Fenster. Argrow raffte die Kopien zusammen und stopfte sie in die Tasche.»Dann ist also alles klar?«
Sie nickten und schüttelten ihm die Hand.
«Gut«, sagte er.»Und nicht vergessen: Ihr müsst überrascht sein.«
Sie folgten den Wärtern zum Büro des Direktors, wo sie von zwei sehr streng dreinblickenden Männern erwartet wurden. Der eine war vom Justizministerium, der andere von der Strafvollzugsbehörde. Der Gefängnisdirektor stellte sie einander vor, ohne die Namen zu verwechseln, und reichte den drei Richtern je ein Papier. Es waren die Originale der Dokumente, die Argrow ihnen soeben gezeigt hatte.
«Meine Herren«, sagte der Direktor so dramatisch, wie er konnte,»der Präsident der Vereinigten Staaten hat Sie begnadigt. «Er lächelte herzlich, als wäre er persönlich für diese gute Nachricht verantwortlich.
Sie starrten auf die Gnadenerlasse. Noch immer waren sie vollkommen verwirrt, und tausend Fragen gingen ihnen durch den Kopf. Die größte davon war: Wie hatte Argrow es geschafft, dem Direktor zuvorzukommen und ihnen diese Dokumente zu zeigen, bevor Broon sie ihnen aushändigte?
«Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, stammelte Spicer, und die beiden anderen murmelten etwas Ähnliches.
Der Mann vom Justizministerium sagte:»Der Präsident hat Ihre Fälle überprüft und ist zu dem Schluss gekommen, dass Sie lange genug im Gefängnis gesessen haben. Er findet, dass Sie Ihrem Land und Ihren Mitbürgern besser dienen können, indem Sie wieder zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft werden.«
Sie starrten ihn ausdruckslos an. Wusste dieser Trottel nicht, dass sie neue Identitäten erhalten und sich für mindestens zwei Jahre von ihrem Land und ihren Mitbürgern fern halten würden? Was wurde hier eigentlich gespielt?
Und warum begnadigte sie der Präsident, wenn sie doch genug gegen Aaron Lake in der Hand hatten, um Aaron Lake, den aussichtsreichsten Konkurrenten des Vizepräsidenten, zu vernichten? Es war doch Lake, der sie zum Schweigen bringen wollte, und nicht der Präsident, oder?
Wie hatte Lake den Präsidenten überreden können, sie zu begnadigen?
Wie hatte Lake den Präsidenten überreden können, in diesem Stadium des Wahlkampfs irgendetwas zu unternehmen?
Sie umklammerten die Gnadenerlasse und saßen sprachlos und mit ausdruckslosen Gesichtern da, während ihnen diese Fragen durch den Kopf gingen.
Der Mann von der Strafvollzugsbehörde sagte:»Sie sollten sich geehrt fühlen. Begnadigungen werden sehr selten gewährt.«
Yarber nickte, während er sich fragte: Wer erwartet uns da draußen?
«Ich glaube, wir müssen diese Nachricht erst noch verarbeiten«, sagte Beech.
Sie waren die ersten Häftlinge in Trumble, die für so wichtig erachtet wurden, dass der Präsident persönlich beschlossen hatte, sie zu begnadigen. Der Direktor war stolz auf sie, wusste aber nicht recht, wie man diesen Augenblick feiern sollte.»Wann möchten Sie uns verlassen?«fragte er, als könnten sie den Wunsch haben, noch ein wenig zu bleiben.
«Sofort«, sagte Spicer.
«Gut. Wir werden Sie nach Jacksonville bringen.«
«Nein, danke. Wir lassen uns abholen.«»Na schön. Es gibt noch ein bisschen Papierkram zu erledigen.«
«Dann wollen wir das möglichst schnell hinter uns bringen«, sagte Spicer.
Jeder erhielt eine Reisetasche, um seine persönliche Habe einzupacken. Als sie rasch, im Gleichschritt und dicht beieinander, gefolgt von einem Wärter, über den Hof gingen, sagte Beech leise:»Wer hat uns diese verdammte Begnadigung verschafft?«
«Jedenfalls nicht Lake«, sagte Yarber kaum hörbar.
«Natürlich nicht Lake«, sagte Beech.»Der Präsident würde Lake keine Bitte erfüllen.«
Sie beschleunigten ihre Schritte.
«Aber was macht das schon?«fragte Spicer.
«Es ergibt einfach keinen Sinn«, sagte Yarber.
«Und was willst du jetzt tun?«sagte Spicer, ohne ihn anzusehen.»Noch ein paar Tage hier bleiben und über alles nachdenken? Und dann, wenn du endlich rausgefunden hast, wer die Begnadigung veranlasst hat, nimmst du sie vielleicht an? Du musst verrückt sein.«
«Es steckt irgendjemand anders dahinter«, sagte Beech.
«Na und? Dann liebe ich eben diesen Jemand«, antwortete Spicer.»Ich hab jedenfalls nicht vor, hier zu bleiben und lange Fragen zu stellen.«
Sie packten eilig ihre Sachen ein und nahmen sich nicht die Zeit, sich von irgendjemandem zu verabschieden. Die meisten ihrer Freunde waren ohnehin irgendwo auf dem Gelände.
Sie wollten draußen sein, bevor der Traum vorbei war oder der Präsident es sich anders überlegte. Um 11 Uhr 15 gingen sie durch die große Tür des Verwaltungsgebäudes ins Freie, durch dieselbe Tür, durch die sie vor Jahren das Gefängnis betreten hatten. Auf dem heißen Vorplatz warteten sie darauf, abgeholt zu werden. Keiner der drei sah zurück.
Im Kleinbus saßen Wes und Chap, die allerdings andere Namen angaben — sie hatten so viele.
Joe Roy Spicer legte sich auf eine der Rückbänke und bedeckte die Augen mit einem Unterarm. Er war entschlossen, erst hinauszusehen, wenn sie weit vom Gefängnis entfernt waren. Er wollte weinen, und er wollte schreien, aber er war wie betäubt vor Freude, vor reiner, klarer Freude, und er schämte sich ihrer nicht. Er bedeckte seine Augen, und auf seinem Gesicht lag ein verklärtes Lächeln. Er wollte ein Bier und eine Frau, am liebsten seine Frau. Er würde sie bald anrufen. Der Wagen hatte sich in Bewegung gesetzt.
Die Plötzlichkeit ihrer Entlassung verwirrte sie. Die meisten Häftlinge zählten die Tage und wussten daher einigermaßen genau, wann es so weit sein würde. Sie wussten, was sie tun würden und wer auf sie warten würde.
Doch die Richter wussten nur sehr wenig. Und das Wenige, das sie wussten, konnten sie nicht so recht glauben. Die Begnadigungen waren eine Falle. Das Geld war nur ein Köder. Sie wurden an einen Ort gebracht, wo man sie ermorden würde, genau wie Trevor. Jeden Augenblick konnte der Wagen anhalten. Die beiden Typen auf den Vordersitzen würden ihre Taschen durchsuchen, die Briefe finden und sie am Straßenrand erschießen.
Vielleicht. Im Augenblick jedoch vermissten sie die Sicherheit, die Trumble ihnen geboten hatte,
nicht.
Finn Yarber saß hinter dem Fahrer und sah auf die Straße vor ihnen. Er hielt den Gnadenerlass in der Hand, bereit, ihn jedem zu zeigen, der sie anhalten würde, um ihnen zu sagen, dass der Traum vorbei sei. Neben ihm saß Hatlee Beech, der nach einigen Minuten zu weinen begann — nicht laut, sondern mit fest geschlossenen Augen und zitternden Lippen.
Er hatte allen Grund zu weinen. Er hätte noch beinahe achteinhalb Jahre abzusitzen gehabt, und für ihn bedeutete diese Begnadigung mehr als für seine beiden Kollegen zusammen.
Niemand sagte etwas. Als sie sich der Stadt näherten, wurden die Straßen breiter und der Verkehr dichter. Die drei betrachteten alles mit großer Neugier. Menschen saßen in ihren Wagen und fuhren herum. Über ihnen flogen Flugzeuge. Auf dem Fluss waren Schiffe unterwegs. Alles war wieder normal.
Sie krochen im Stau den Atlantic Boulevard entlang, und die drei genossen jeden Augenblick. Es war heiß, Touristen liefen umher, Frauen mit langen, sonnengebräunten Beinen. Sie sahen Fischrestaurants und Bars, deren Schilder kühles Bier und billige Austern anpriesen. Die Straße endete am Strand, und der Wagen hielt unter dem Vordach des Sea Turtle Inn. Die Richter folgten einem der Männer durch die Eingangshalle, wo sie der eine oder andere neugierige Blick traf, weil sie noch immer die gleiche Kleidung trugen. In der vierten Etage traten sie aus dem Aufzug, und Chap sagte:»Ihre Zimmer sind diese drei hier. «Er zeigte den Korridor entlang.»Mr. Argrow möchte so schnell wie möglich mit Ihnen sprechen.«