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»Sie stand immer auf ihrem Klavier«, sagte Mrs Abernetty.

»Da habe ich gemerkt, dass wir wahrscheinlich nicht die einzigen Opfer eines Einbruchs in dieser Nacht waren. Das hat sich dann auch bestätigt, als Inspektor Jones mit seinen Ermittlungen anfing.«

»Sie können doch meinem Mann nicht die Schuld geben. Er hat nichts Böses getan. Er hat niemandem wehtun wollen.«

»Quälen Sie sich nicht, Mrs Abernetty«, sagte Holmes. »Ich habe mit Ihrer Nachbarin Mrs Webster gesprochen. Sie hält große Stücke auf Sie.«

»Sie ist eine tapfere Frau«, sagte Mrs Abernetty. »Sie ist immer noch sehr unglücklich über den Verlust ihres Mannes im August letzten Jahres. Aber wir werden ja alle nicht jünger. Mit so etwas muss man rechnen.«

»Sie hat uns von Matilda Briggs erzählt.«

Abernetty nickte. »Dann wissen Sie ja, wie viel wir ihr verdanken. Mrs Briggs hat uns lange Jahre hindurch beschäftigt. Emilia« – an dieser Stelle wandte er sich seiner Frau zu – »hat sie während ihrer langen Krankheit gepflegt, und weil sie keine unmittelbare Verwandtschaft hatte, hat sie uns aus Dankbarkeit das Haus vererbt.«

»Gab es da nicht einen Neffen?«

»Er war Colour Sergeant bei den 92nd Highlanders. Er ist in der Schlacht von Kandahar in Südafghanistan gefallen.«

»Das muss ein schwerer Schlag für sie gewesen sein.«

»Sie war natürlich unglücklich. Aber es war nie eine enge Beziehung.«

»Und was war mit dem Rest des Vermögens?«

»Das Geld hat sie der örtlichen Kirche vermacht, für die Armen«, sagte Mrs Abernetty. »Mrs Briggs war sehr gläubig. Sie war Mitglied der Royal Maternity Charity, der Temperance Society, der Society for the Rescue of Young Women und vieler anderer wohltätiger Organisationen.«

Holmes nickte, dann stand er auf und zeigte damit, dass die Unterhaltung beendet war. Ich war überrascht, dass er keine weiteren Fragen hatte und dass er diesmal keinerlei Interesse an der Küchentür oder dem Garten zeigte, aber er hatte ja schon vorab verkündet, dass er sich keine wichtigen Erkenntnisse aus dieser Befragung erhoffte. Erst als wir uns schon verabschiedet hatten, drehte er sich noch einmal zu den beiden alten Leuten um. »Eine letzte Frage noch«, sagte er. »Wissen Sie, wo Ihre Nachbarn sind? Der Buchhalter des Börsenmaklers und seine Familie?«

»Die sind in Torquay«, erwiderte Mrs Abernetty. »Sie besuchen die Mutter von Mr Dunstable.«

Holmes lächelte. »Mrs Abernetty, Sie haben mir genau das gesagt, was ich wissen wollte, und Ihre Worte entsprechen genau dem, was ich erwartet hatte. Ich gratuliere und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.«

Schweigend gingen wir den Hügel hinunter, aber nach einer Weile konnte der Mann von Scotland Yard die Ungewissheit nicht länger ertragen. »Haben Sie eine Lösung für dieses Rätsel, Mr Holmes?«, fragte er heftig. »Drei kleine Porzellanfiguren ohne jeglichen Wert werden aus drei benachbarten Häusern gestohlen. Was soll das für einen Sinn haben? Mir scheint, dass Sie keine Frage gestellt haben, die ich nicht auch schon gestellt habe, und nichts gesehen haben, was ich nicht auch schon bemerkt habe. Ich glaube, ich habe Ihre Zeit verschwendet, als ich Sie hierhergebracht habe.«

»Weit gefehlt, Inspektor Jones. Ich muss noch ein paar Erkundigungen einholen, aber ansonsten könnte die Geschichte nicht klarer sein. Sollen wir uns morgen Vormittag in meinen Räumlichkeiten in der Baker Street treffen? Wäre Ihnen zehn Uhr recht?«

»An mir soll es nicht fehlen.«

»Dann darf ich mich jetzt von Ihnen verabschieden. Watson, wollen wir zu Fuß zum Bahnhof gehen? Ich finde die Luft so viel frischer hier oben. Einen schönen Tag noch, Inspektor Jones. Das ist wirklich ein ganz einzigartiger Fall, und ich danke Ihnen sehr, dass Sie mich darauf hingewiesen haben.«

Mehr sagte er nicht, und Jones sah ebenso verblüfft wie verstört aus, als er zu der Kutsche ging, die auf ihn wartete. Ich muss zugeben, dass ich auch nicht viel schlauer war, aber ich hütete mich, irgendwelche Fragen zu stellen, auf die ich doch keine Antworten kriegen würde. Außerdem wusste ich, dass ich mich noch ein drittes Mal in Folge aus meiner Praxis beurlauben musste, denn es war inzwischen unvorstellbar für mich, womöglich bei der Lösung eines so spannenden Rätsels nicht dabei zu sein, wie es die drei Königinnen bildeten.

Auch ich kehrte also am nächsten Tag um zehn Uhr morgens zurück in die Baker Street und traf Inspektor Jones direkt an der Tür. Wir gingen gemeinsam die Treppe hinauf und stießen auf einen Sherlock Holmes, der im Morgenmantel beim Frühstück saß. »Hallo, Inspektor«, sagte er, als er unserer ansichtig wurde. »Wir haben jetzt einen Namen für den Toten. Er lautet Michael Snowden. Er wurde erst vor drei Tagen aus dem Gefängnis Pentonville entlassen.«

»Welche Vergehen?«

»Erpressung, Körperverletzung, Diebstahl … Ich fürchte, der junge Herr Snowden hat ein Leben geführt, das ebenso zuchtlos wie kurz war. Nun, zumindest hat er wohl nie einen Mord begangen. Das ist ein gewisser Trost.«

»Aber was hat diesen Mann nach Primrose Hill geführt?«

»Er wollte sich holen, was ihm von Rechts wegen gehörte.«

»Drei Porzellanfiguren?«

Holmes lächelte, und da er sein Frühstück beendet hatte, steckte er sich eine Pfeife an und legte das verbrauchte Streichholz vorsichtig in den Eierbecher.

»Nein, er wollte das Haus haben, das seine Tante ihm hinterlassen hatte.«

»Wollen Sie damit sagen, dass er der Neffe von Mrs Briggs war? Mr Holmes – das können Sie doch gar nicht wissen!«, rief Jones.

»Ich brauche das gar nicht zu wissen, Inspektor Jones. Ich habe es deduziert. Wenn alle Hinweise in eine einzige mögliche Richtung deuten, dann können Sie ziemlich sicher sein, dass dort auch die Wahrheit liegt. Michael Snowden war nie Soldat und starb auch nicht in Afghanistan. Das ging aus dem, was uns Mrs Webster erzählt hat, recht deutlich hervor. Sie hat gesagt, Matilda Briggs sei über den Tod ihres Neffen so bestürzt gewesen, dass sie kein einziges Bild von ihm in ihrem Haus hatte. Das erschien mir nicht einmal annähernd glaubwürdig. Wenn er wirklich bei der Armee gedient hätte und für sein Land gestorben wäre, hätte sie das genaue Gegenteil getan. Sie wäre stolz darauf gewesen, die Erinnerung an ihn wachzuhalten. Wenn diese Kirchgängerin und Temperenzlerin dagegen einen Tunichtgut und Kriminellen zum Neffen gehabt hätte …«

»Dann hätte sie keine Skrupel gehabt, so zu tun, als ob er im Ausland gestorben wäre!«, rief ich.

»Genau. Als Soldat oder etwas Vergleichbares. Sehr richtig, Watson! Das war der Grund, weshalb sie kein Bild von ihm bei sich im Haus haben wollte.«

»Trotzdem hat sie den Abernettys das Haus hinterlassen«, beharrte Jones.

»Das jedenfalls behaupten die Abernettys. Aber auch hier hat Mrs Webster – eine hervorragende Zeugin übrigens, mit einem erstaunlichen Blick für Details – eine höchst interessante Bemerkung gemacht. Die Abernettys hätten mit ihrer Arbeitgeberin über das Testament gesprochen, sagte sie, nicht etwa umgekehrt. Es erschien mir ziemlich klar, was da geschehen ist. Mrs Briggs, eine kranke alte Frau, war ihren Hausangestellten, einem intriganten Diener und seiner Ehefrau, hilflos ausgeliefert. Die beiden überredeten sie, ein Testament zu ihren Gunsten aufzusetzen, und das war’s. Sie wollten das Haus, und sie haben es gekriegt. Der Neffe wird nicht bedacht.

Allerdings hat Mrs Briggs ein Gewissen. Im letzten Moment ändert sie ihre Meinung noch einmal. Sie schreibt ihrem Neffen und teilt ihm mit, was passiert ist. Sie drückt den Wunsch aus, dass er das Haus erben soll. Ich habe mit der Gefängnisleitung gesprochen, und man hat mir bestätigt, dass Snowden tatsächlich vor einigen Monaten einen Brief erhielt. Blut ist nun mal dicker als Wasser, heißt es, und vielleicht hoffte seine Tante, dass ihn das Erbe doch noch zu einem besseren Menschen machen würde. Allerdings kann Michael Snowden nicht viel tun, um die Situation zu seinen Gunsten zu verändern. Er sitzt im Gefängnis und muss eine längere Haftstrafe absitzen. Aber sobald er entlassen wird, eilt er zum Haus seiner Tante und stellt die beiden Erbschleicher zur Rede.«