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»Warum?«

»Ganz einfach«, antwortete Hartmann. »Falls die Erde am Himmel zu sehen ist, sind wir auf der Vorderseite, falls nicht, ist es die Rückseite. Und auf der Rückseite gab es praktisch keine Basis außer MacDonalds.«

Kyle hob den Kopf und blickte zur Decke. »Was glauben Sie, wie tief wir sind?« fragte er nach einer Weile.

»Keine Ahnung«, antwortete Hartmann. »Kann nicht sehr tief sein. Denken Sie an die Druckschleuse.«

»Die Druckschleuse.« Der skeptische Tonfall in Kyles Stimme war nicht zu überhören. »Dann waren wir schon an der Oberfläche, nicht wahr. Haben Sie die Erde sehen können?«

»Nein.« Die nachfolgende Stille bedrückte ihn. »Es war ein recht großes Fenster, aber das Blickfeld war nach oben ziemlich eingegrenzt. Ich habe nicht mehr gesehen als Sie und Net.«

Kyle starrte ihn mit seinem intakten Auge an. Er konnte es spüren.

»Irgend etwas haben Sie aber gesehen, nicht wahr?« Der Megamann sprach mit einem täuschend gleichmütigen Tonfall. »Es ist mir gleich aufgefallen, als Sie zu uns zurückkamen, um uns die Schleuse zu zeigen. Da ist etwas gewesen, was nicht mehr dort war, als wir hinaussahen, habe ich recht?«

»Ja«, sagte Hartmann widerwillig und sah nach rechts hinüber.

Kyle nickte zufrieden. »Sie haben ausgesehen, als hätten Sie ein Gespenst gesehen.« Hartmann zuckte unwillkürlich zusammen. Der Megamann starrte ihn an. »Was haben Sie gesehen, Hartmann?«

»Vermutlich habe ich eine Halluzination gehabt«, antwortete er wütend. »Oder glauben Sie an Leute, die durch Wände gehen können?«

Kyle antwortete nicht, und als Hartmann zu ihm hinübersah, bemerkte er, daß der andere stumm auf die verschlossene Tür starrte.

»Alles in Ordnung?« brach Hartmann schließlich das Schweigen. »Habe ich irgend etwas Falsches gesagt?«

Kyle schüttelte stumm den Kopf. »Später«, sagte er kurz. »Ich vermute, Sie haben noch einiges mehr zu erzählen, aber vorher müssen wir hier heraus.«

Hartmann warf ihm einen verwirrten Blick zu, verzichtete aber darauf, nach dem Grund für die plötzliche Eile zu fragen. Die Zwischenfälle an der Druckschleuse und später in der Reaktorkammer des Gleiterwracks machten ihm noch immer zu schaffen, und er war froh, daß Kyle zunächst nicht auf einer ausführlichen Antwort bestand. »Irgendwann wird man uns holen«, sagte er laut.

Kyle schüttelte den Kopf. »Darauf möchte ich lieber nicht warten.«

»Dann werden wir Hilfe brauchen«, versetzte er, und der Gedanke löste eine ganze Kette von Erkenntnissen aus.

»Was ist?« fragte Kyle, der den entgeisterten Blick bemerkt hatte.

Hartmann wies mit dem Kopf auf die Ameise, die die ganze Zeit reglos hinter Kyle gestanden hatte. Jetzt wußte er, was ihn die ganze Zeit daran gestört hatte. »Wieso ...« Er wagte es nicht, den Gedanken laut auszusprechen.

Kyle grinste freudlos. »Wieso unser Freund hier noch nicht umgewandelt worden ist?« Kyle drehte den Kopf und versuchte, über die linke Schulter zu blicken. »Sehen Sie genau hin«, sagte er nach einer Weile. »Achten Sie auf den Kopf.«

Hartmann kniff die Augen zusammen und legte die Stirn in Falten. Irgend etwas glitzerte auf dem schwarzen Chitin, wie ein Spinnennetz aus Glas oder Silber. »Da ist etwas«, sagte er und hatte ein seltsames Gefühl dabei, über die Ameisen zu reden, so als seien sie gar nicht anwesend. »Sieht aus wie Drähte.«

»Es ist ein Lebewesen«, erwiderte Kyle. »Ein Parasit, genaugenommen. Der metallische Glanz ist eine Eigenschaft der Membranen. Interferenzfarben.«

»Dieses ... Ding macht sie immun?«

»Es wächst in die Hirnnerven hinein«, sagte Kyle, und seine Stimme klang plötzlich entmutigt. »Normalerweise dauert das Jahre, aber die hier sind implantiert worden und bestehen aus elektronischen Bauteilen.«

»Diese Krieger sind verstümmelt worden«, begriff Hartmann.

»Sie verkrüppeln ihre eigenen Kinder«, sagte Kyle tonlos. Hartmann mußte sich daran erinnern, daß der Megamann ein Jared war, und daß die Jared nichts anderes als herangereifte Moroni-Jungen darstellten. Er betrachtete diese tödlichen Kreaturen als unreife Kinder. Hartmann fragte sich, wie das Jared-Bewußtsein den millionenfachen Mord an den eigenen unwissenden Nachkommen verkraften konnte.

»Ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, wie diese Umwandlung überhaupt zustandekommt?« fragte er nach einer Weile. »Eine Infektion?«

»In gewisser Weise ist es eine Infektion«, antwortete Kyle, wobei sein kontrollierter Tonfall keinen Aufschluß gab, ob er wirklich darüber reden wollte. »In jeder Körperzelle eines Jared sind Proteine vorhanden, die es in einem Moroni-Körper noch nicht gibt. Das Vorhandensein dieser Moleküle verändert das Nervensystem und aktiviert Hirnteile, die vorher nicht aktiv waren.«

»Sinnesorgane?«

»Vor allem Drüsen. Es würde zu lange dauern, alle Schritte der Metamorphose aufzuzählen.«

»Aber es geht so schnell«, meinte Hartmann zweifelnd.

»Es ist eine Kettenreaktion. Eine befallene Zelle steckt ihre Nachbarn an, die wiederum ihre Nachbarn infizieren ... wir haben vielleicht Milliarden Körperzellen, aber hintereinandergereiht sind es nur ein paar hunderttausend davon, und es breitet sich aus wie ein Steppenbrand.«

»Ein Virus?«

»Nein«, antwortete Kyle und atmete tief ein. Anscheinend hatte er Schmerzen. »Man könnte es als infektiöse Proteine bezeichnen.«

»So etwas gibt es nicht«, sagte Hartmann voller Zweifel.

»Nun, es ist nicht gerade häufig«, antwortete Kyle. »Infektiöse Proteine sind wie Viren erst spät in der Evolution entstanden, aber es gibt sie. Bringen Sie eines davon in eine intakte Körperzelle, und wenig später finden sich Myriaden von Kopien davon. Es geht viel schneller als bei einem Virus, weil die Zelle nicht umprogrammiert werden muß. Ein infektiöses Protein ist eine Art Katalysator, es bedient sich der in der Zelle vorhandenen Bruchstücke seiner selbst und veranlaßt sie, sich zu einer Kopie zusammenzusetzen.«

»So, als wenn man einen Magneten in eine Kiste Eisenspäne wirft«, sagte Hartmann nachdenklich.

»Sofern diese Eisenspäne sich wie der Magnet anordnen und selbst magnetisch werden.« Kyles eines Auge war inzwischen völlig zugeschwollen. »Oder stellen Sie sich vor, Sie würden eine programmierte Montagemaschine in einem Ersatzteillager einschließen ... nein, das trifft es nicht. Es gibt wohl keinen vernünftigen Vergleich. Das Protein bedient sich der in der Zelle vorhandenen Baustoffe, um sich zu vervielfältigen.«

»Und woher kommt es?«

»Die einzelnen Bauteile sind ganz gewöhnliche Teile einer lebenden Körperzelle«, erklärte Kyle müde. »Und in jeder Körperzelle setzen sich einzelne Teile spontan zusammen und fallen wieder auseinander. Das Protein ist ziemlich kompliziert, und es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß die Bauteile per Zufall zueinanderfinden, aber jeder Moroni besteht aus Milliarden Zellen, und es gibt Milliarden Moroni ... früher oder später muß es passieren, wenn genug von ihnen da sind. Die Evolution hat sich dieses Mechanismus nur bedient, um den Übergang von Moroni zu Jared einzuleiten. Je mehr Ameisen es gibt, desto unvermeidlicher ist es.«

Hartmann sah nach vorn, auf den Krieger, der vor ihnen stand. Jetzt konnte er auch an dessen Kopf das silbrige Spinnennetz erkennen. »Dieses Ding kann eine solche Infektion nicht aufhalten«, vermutete er.

»Nein«, sagte Kyle, und diesmal konnte Hartmann mühsam unterdrückte Wut in seinem Tonfall erkennen. »Statt dessen zerstört es die Teile des Gehirns, die aus einem Moroni einen Jared und damit zu einem Teil der Gemeinschaft werden lassen.«

»Er ist blind und taub«, begriff Hartmann und dachte an Kyles frühere Erklärungen. Die Jared bewegten sich in einem Meer aus Gerüchen, überlagert mit Geräuschen und eingebettet in die schwachen elektromagnetischen Schwingungen der erwachten Jared-Gehirne, und dieses Gefüge ließ sie zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen, bis sie zu einer Einheit verschmolzen, in der die einzelnen Lebewesen keine Individuen mehr sein konnten. Jede Erinnerung war in jedem Jared vorhanden, aber in keinem von ihnen war sie nach einigen Jahren noch vollständig. Isolierte man einen Jared von seiner Gemeinschaft, so war er wie ein neugeborenes Kind, und er würde im Lauf der Jahre wieder zu einem Individuum werden, das erneut von der Gemeinschaft absorbiert werden konnte, sobald er wieder zurückgelangte in das Gefüge aus Botschaften und Reizen, die Menschen nicht einmal wahrnehmen konnten.