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Vasil Bykaú

Die eigenen Leute

«Nein!», sagte sie und schlug mit der Ofengabel auf den Fußboden. «Wagt's euch ja nicht!»

Die beiden saßen am Tisch und tauschten Blicke. Der Ältere, der hochaufgeschossene, hagere, jünglingshaft unbeholfene Ales, zog eine finstere Miene und bockte, während über das noch kindliche, aufgedunsene Gesicht des fünfzehnjährigen Siomka Widerspenstigkeit und Wut huschten.

«Wir gehen doch!»

«Versucht's nur! Versucht's nur, ihr Milchgesichter! Solche Hirngespinste, ihr Rotznasen, elende! Ich werde euch schon eure Partisanen zeigen!»

Das war eine Drohung, aber aus ihr klangen nicht Stärke und Selbstbewusstsein, sondern solche Hilflosigkeit, dass die Mutter aufschluchzte und mit der Ofengabel auf die Jungen losging.

Sie hätten fortlaufen sollen, wie sie das bisher immer getan hatten Aber jetzt rührten sie sich nicht von der Stelle und brachten sie dadurch völlig aus der Fassung. Siomka hob nur den Arm, sie drosch einige Male auf ihn ein, ohne darauf zu achten, wohin sie traf, und dann versetzte sie Ales einen Schlag. Er nahm diesen Schlag hin. Sein finsteres, schmales Gesicht zeigte nur steinerne Gleichgültigkeit. Er zuckte nicht einmal zusammen, sondern presste die Lippen nur noch fester aufeinander, und ihr wurde klar, es war alles umsonst.

Vergebens ihr ganzer Zorn, ihr Schimpfen, ihr verspäteter Versuch, die Herrschaft über die Jungen zurückzugewinnen. Verzweiflung zwang sie auf einmal in die Knie, sie warf die Ofengabel beiseite und trat hinaus auf den Flur.

Einige quälende Augenblicke lang stand sie hilflos und gekränkt an der Truhe, völlig außerstande, zu begreifen, warum die Burschen so widerspenstig waren in ihrem offensichtlich gefährlichen Vorhaben.

Sie verstand und rechtfertigte es sogar, wenn Erwachsene das taten, Angehörige versprengter Truppenteile oder ihre eigenen Männer. Aber was an diesem Gemetzel konnte ihre halbwüchsigen Burschen locken, die doch fast noch Kinder waren? Was würden sie im Walde anderes tun als auf unsinnige Weise ums Leben kommen? Wie der, der vor einer Woche die ganze Nacht bis zum Mittag in seinem blutigen Soldatenhemd am Dorfrand gelegen hatte. Ein junges, hübsches Kerlchen, den die Deutschen aus dem Hinterhalt erschossen hatten! So würden sie dann auch herumliegen, unbekannte Leute würden sie schreckenerfüllt ansehen, besoffene Polizisten würden sie mit ihren eisenbeschlagenen Schuhen vor sich her rollen, und an ihren nackten Füßen würden gierige Frühjahrsfliegen emsig hin und her laufen,

Nein, das durfte nicht sein! Genügt schon, dass der Vater so frühzeitig sein Leben hingegeben hat. Aber die beiden hatten, Gott sei Dank, noch eine Mutter! Die kann ihren sicheren Untergang nicht zulassen! Ihr war natürlich bekannt, wer sie zu dieser unheilvollen Sache angestachelt hatte. Sie wird ihn finden und nicht ein einziges Haar an seinem schmucken blonden Haarschopf lassen! Mit unerwarteter Entschlossenheit lief sie von der Truhe weg, hinaus auf den Hof, kam aber gleich wieder zurück, lief im Flur hin und her, suchte etwas, um damit die Tür zu verriegeln, und da sie nichts Passendes fand, riss sie einen Tragegurt vom Haken. Voll rachgieriger und bösartiger Freude versperrte sie die Tür zur Hütte mit dem Tragegurt und stürzte auf die Straße. Im Laufen rückte sie sich ihr Kopftuch zurecht, unterließ es aber, die Tränen abzuwischen, die ihr noch immer über die Wangen liefen.

Sie rannte die Straße hinunter, dass die Hühner an den Zäunen erschrocken auseinanderstoben, wirbelte mit ihren nackten Füßen Staub auf, während ihr der Kopf dröhnte vor zornigen Worten, hervorgebracht von dem kränkenden Unrecht, das ihr als Mutter angetan werden sollte. Sie wird diesem Jachim sagen, dass er ein Mörder ist, ein erbarmungsloser Unmensch! Sie wird ihn fragen, was er eigentlich will von diesen grünen Jungen. Soll er selber gehen, wohin er will, ihretwegen zu den Partisanen oder auch zur Polizei oder sogar dem Teufel zwischen die Zähne kriechen. Aber nicht mit ihren Jungen! Er muss ihnen sagen, dass er sie nicht mitnimmt, Wenn nicht, schlägt sie ihm alle Pfannenstiele auf seinem Schädel kaputt; das ganze Dorf soll's sehen.

Wutentbrannt riss sie die Tür zu einer alten, schiefen Kate auf, ohne sie wieder hinter sich zu schließen, danach öffnete sie eine zweite Tür. Die Kühle des Lehmfußbodens und menschenleere Stille schlugen ihr entgegen. Sie zerrte die Decke von einer Gestalt, die hinter dem Ofen lag. Aus einem Haufen alter Sachen richtete sich der weißhaarige Schädel des alten Lukasch auf, und seine halbblinden, erloschenen Augen blinzelten sie greisenhaft an.

«Wo ist euer Anführer?»

«Meinst du den Jachim? Wer weiß? Heute fragen doch die Kinder ihre Eltern nicht mehr».

«Hat er heute nacht hier geschlafen?»

«Weiß ich nicht. Hab nichts gehört».

Natürlich, was sollte dieser fast blinde, gottverlassene alte Mann auch schon wissen? Offensichtlich war es doch nicht so einfach, an Jachim heranzukommen. Sie spürte, ihr ganzer Zorn würde nutzlos verrauchen. Doch es musste etwas geschehen! Sie weinte nicht mehr. Nur ein wilder Schmerz presste qualvoll ihre Brust zusammen, und während sie, an den Ofen gelehnt, tief Luft holte, um ihrer Herr zu werden, stöhnte Lukasch schicksalsergeben in der Ofenecke, gepeinigt von seinem eigenen Siechtum.

Und sie gibt sie nicht her! Es sind ihre Kinder, und sie ist die Mutter, und sie lässt es nicht zu, dass sie in den sicheren Tod gehen! Lieber will sie sterben, um sie von ihrem unsinnigen Vorhaben abzubringen. Aber ihre Kinder bewahrt sie vor dem Tode!

Die ganze Zeit ging sie fast im Laufschritt, durch das Dorf, vorbei an den Scheunen, den Ställen, den Speichern, die ihr alle seit der Kindheit so vertraut waren, dann über den Anger mit seinem jungen Frühlingsgras, entlang an dem mit erstem Frühlingsgrün so frisch und lustig geschmückten kleinen Graben. Wie an eine letzte Rettungsmöglichkeit klammerte sie sich jetzt an den Gedanken, zu Drozd zu gehen, der in dem unweit gelegenen Städtchen wohnte. Zwar war er seit dem Winter bei der Polizei, tat wichtig und streng, wie ein Chef, aber sie kannte doch seine Mutter und ihn seit frühester Kindheit! Immerhin war er ein entfernter Verwandter von ihr und nicht irgendwer Fremdes. Sie wird ihm erzählen von ihrem Kummer, und er muss ihr beistehen! Als Mann und — was das Wichtigste bei den jetzigen Zeiten war — als Vertreter der Obrigkeit. Soll er den Jungen einen Schreck einjagen und sie ein paar Tage ins Spritzenhaus sperren, soll er sie sogar einige Zeit ins Gefängnis stecken. Nur damit sie nicht in den Wald gehen und sie auf ihre alten Tage allein lassen.

Sie hatte nur Angst, dass Drozd fortgefahren sein könnte, dass er zu tun hätte, ihr nicht helfen würde und ihr dadurch die letzte Möglichkeit nahm, die Jungen zurückzuhalten. Die Sonne stand schon niedrig und verschwand langsam hinter einer breiten Wolke über dem Walde. Sie wusste, das war die Zeit, da kamen die Angestellten in der Stadt vom Dienst und erledigten ihre Angelegenheiten. Zwar dachte sie mit Schrecken daran, dass sie nichts bei sich hatte. Immerhin müsste sie ihm eine kleine Aufmerksamkeit bringen und auch ein Fläschchen Branntwein. Aber darum sollte er sich keine Sorgen machen, Hauptsache, er half ihr.

Er war zu Hause. Das sah sie sofort, als sie von der Hauptstraße in die schmale Gasse einbog, in der sein schmuckes Häuschen mit den Kirschbäumen zu beiden Seiten und dem Schilfrohr davor stand. Aus den beiden geöffneten Fenstern drang laute Musik, und hinter den Blumentöpfen auf dem Fenstersims bewegte sich eine Männerschulter mit Achselstücken.

Sie rückte noch einmal ihr Kopftuch zurecht, wischte sich mit ihren schwielenharten Händen verstohlen die Augen aus und stieg so leise wie möglich die Treppe hinauf. Die Tür zur Wohnung war offen. Drozd saß auf der Bank und wandte ihr gleich sein rasiertes Gesicht mit der großen Nase darin zu. In seinem Blick standen Verwunderung und Erstaunen.

«Was willst denn du, Tantchen?»

Dass er sie nach Bauernart Tantchen nannte, machte ihr Mut, und unter seinem strengen und ihr sogar bösartig erscheinenden Blick trat sie von der Schwelle auf den Läuter und sagte: «Ich hab mit dir zu reden, Piatrovitsch».