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Das Grammophon am Tischende verstummte, jemand drehte an einer blitzenden Kurbel, und ein paar Männer starrten sie höchst aufmerksam an. Sie wurde etwas verlegen unter diesen Blicken und wusste nicht recht, wie sie ihr Anliegen, das doch so einfach und verständlich war, vorbringen sollte. Irgendwo im Unterbewusstsein flackerte für einen Augenblick ein unangenehmes Gefühl, ja sogar Bedauern auf, hierhergekommen zu sein, aber einen anderen Ausweg hatte sie ja schließlich nicht!

«Ich will mich mit dir beraten. Meine Söhne…»

«Was ist mit deinen Söhnen? Sprich deutlicher».

Krampfhaft suchte sie nach Worten, um so schnell und so einleuchtend wie möglich zu erklären, was sie hierhergeführt hatte.

«Na, rede schon, sprich, hab keine Angst. Wir sind hier ganz unter uns».

«Meine Söhne… haben was Schlimmes vor».

«Was denn, haben sie sich heimlich mit den Banditen getroffen?»

Die Männer am Tisch schienen einer wie der andere zusammenzufahren und wandten sich ihr zu. Drozd aber sprang entschlossen auf, schwer und gewichtig stand er vor ihr in seinem blauen Unterhemd, und die Bretter im Fußboden knarrten unter ihm.

«Na, rede!»

In dem klaren Bewusstsein, dass sie sich jetzt zu dem Wichtigsten entschließen mußte, weswegen sie hierhergekommen war, schrie sie fast: «Piatrovitsch, mein lieber guter Piatrovitsch, ich bitte dich, tu ihnen nichts zuleide… Mach ihnen nur ein bisschen Angst. Aber straf sie nicht. Sie sind doch noch jung, noch richtige Milchgesichter, der älteste war doch im September erst achtzehn. Die verstehen doch kaum…»

«Aha! So, so. Na ja, verstehe. Wo sind sie jetzt?»

«Zu Hause. Ich hab sie eingesperrt».

«Eingesperrt? Ausgezeichnet, Tantchen. Gehen wir!»

Er zog sich hastig seine Polizeiuniform über und riss die Flinte von der Wand. Die anderen erhoben sich ebenfalls; es wurde eng im Zimmer. Sie trat beiseite. In ihrem Innersten hatte sich etwas zusammengezogen und war erschlafft, und während sich Drozd den breiten Polizistengürtel umband, flehte sie, die Fäuste an die Brust gepresst: «Piatrovitsch, Söhnchen, aber dass ihr im guten…»

«Machen wir. Auf ganz feine Art! Barsuk, nimm das Seil!»

Sie traten hinaus auf den Hof, und damit es schneller ging, liefen sie über die Felder. Die Sonne hatte sich hinter einer Wolke versteckt. Der abgeerntete nackte graue Acker machte einen sehnsüchtig-finsteren Eindruck. Noch konnte man sehen, und ganz still war es.

Hier im Freien vermochte sie die Männer besser zu erkennen. Außer Drozd waren da noch zwei in deutschen Uniformen und Feldmützen, während der eine, der hinten ging, eine Ziviljacke und graue Baumwollhosen trug. Den im Zivil glaubte sie zu kennen. Sie lief etwas vor und fragte ihn: «Sie kommen mir so bekannt vor. Sind Sie nicht aus Salessie?»

«Bin ich, Mütterchen», erwiderte er mit liefer Bass-Stimme, ging aber nicht weiter darauf ein. Sie betrachtete sich die anderen zwei, ihre starren, glattgeschorenen Nacken. Aber das waren ja Fremde.

Sie gingen über die Anhöhe, die Heuwiese und streiften die Weidenbüsche am Bach. Auf dem Moorfeld führte der Hinkefuß Prakaptschuk, ein Alter aus ihrem Dorf, den Pflug. Er ließ das Pferd halten und betrachtete aus der Ferne lange Zeit die Frau und die vier Polizisten mit ihren Flinten. Sie sagte nichts zu ihm, erwiderte nicht einmal seinen Gruß und ging vorüber, merkte jedoch sofort auf, als sie die erhöhte Aufmerksamkeit des Mannes spürte, den sie kannte. Aber sie konnte dieses unangenehme Schreckgefühl gleich wieder unterdrücken. Sollen sie den Burschen ruhig einen Denkzettel verpassen! Umbringen werden sie sie ja nicht. Haben ja den Deutschen noch nichts getan. Wozu sie also ernstlich strafen?

Die ganze Zeit, auf dem Felde und auf dem Anger, war sie den Männern hinterher gelaufen. Erst als sie den Hof betraten, am Brunnen, ließ Drozd sie vorangehen und gab ihr sogar einen leichten Stupsen, als wie: Geh, wir kommen nach. Mit gewohnten Schritten und flink wie immer trat sie auf die breite, flache Steinplatte, dann auf die Schwelle, und da gewahrte sie auf einmal, dass der Tragegurt nichts genutzt hatte. Er lag auf der Erde, und das Haus stand offen. Aber gleich erblickte sie Siomka, und sie bemerkte einen Ausdruck von Schrecken, ja sogar von Entsetzen in seinem noch kindlichen Gesicht Der Junge stand über den Kübel gebeugt, in dem sie immer Fleisch und Wurst aufbewahrt hielt, und hatte ein Stück Speck in der Hand. Zu seinen Füßen erblickte sie eine kleine Tasche. Da war ihr sofort alles klar, und sie schmunzelte kurz in sich hinein.

Im gleichen Augenblick schrie Siomka auf, ließ den Speck fallen, zog den Kopf ein und stürzte zur Tür, im Laufen seine Mutter heftig beiseite stoßend. Von hinten schrie jemand, es war wohl Drozd oder jemand anders, und dann krachten ohrenbetäubend ein, zwei, drei Schüsse. In ihr erschlaffte alles, sie wankte, konnte sich aber noch aufrecht halten, und als sie spürte, dass etwas unwahrscheinlich und unnötig Schreckliches geschehen sein musste, lief sie aus dem Flur.

«Söhnchen! Söhnchen! Bleib stehen!»

Sie stürzte zu dem Polizisten in der grauen deutschen Feldmütze, der mit seinem Karabiner am Zaun stand.

Er ließ das Gewehr sinken, fluchte, stieß die Frau rücksichtslos beiseite und stieg über eine Zaunstange in den Garten. Sie hatte ihn nicht verstanden. Sie verstand überhaupt nichts von dem, was hier vor sich ging. Siomka war nirgends zu sehen, und erst als der Polizist breitbeinig quer durch den frisch geeggten Garten stakste, gewahrte sie den Kopf ihres Sohnes, seine Schultern und die zur Seite gestreckten Arme. Unbeweglich lag er auf dem modrigen Boden, drei Schritte nur vom Kirschbaum entfernt, der jetzt in üppiger Blüte stand.

Da schrie sie auf und stürzte nieder auf den staubigen Hof. Das Bewusstsein einer entsetzlichen Ungerechtigkeit raubte ihr alle Sinne. Sie war nicht mehr in der Lage, zu begreifen, wie alles geschehen sein konnte. Sie schlug mit dem Kopf gegen die harte Erde, die festgetrampelt war wie ein Dreschboden, hämmerte darauf mit ihren unweiblich großen Fäusten und verging völlig in einer fast tierischen, irrsinnigen Verzweiflung angesichts dieser nicht wiedergutzumachenden Untat. Eine Stimme, die bekannte und gleichzeitig doch so veränderte Stimme ihres ältesten Sohnes, riss sie aus diesem Zustand.

«Lakaien, käufliche!»

Immer noch am Boden liegend, hob sie den Kopf und sah durch einen Tränenschleier, wie Drozd und noch zwei Polizisten ihren Sohn aus dem Flur zerrten, seine Arme gewaltsam auf dem Rücken verdrehten, um sie mit dem Seil zusammenzubinden, das sie mitgebracht hatten.

«Ihr Otterngezücht! Auch für euch findet sich noch ein Strick!»

«Sei ruhig, Grünschnabel!»

Der Polizist mit den grauen Hosen stieß ihn kurz und heftig mit dem Knie in den Bauch, Ales schwankte, fiel aber nicht, und sie, die schon völlig die Gewalt über sich verloren hatte, schrie: «Söhnchen!»

Er sah nicht einmal hin zu ihr. Sein Gesicht war voll Zorn und Härte. Er stieß mit dem einen Fuß, an dem er noch einen Schuh hatte, durch die Luft und trat den Polizisten.

«Nieder mit Hitler!»

«Ja, so. Du Grünschnabel!»

Drozd versetzte ihm einen mächtigen Schlag mit dem Gewehrkolben, und Ales fiel mit seinen gefesselten Armen schwerfällig auf die Steinplatte an der Schwelle. Die Alte sprang auf ihren entfernten Verwandten zu, packte seine Füße, die in dreckigen, ungeputzten Schuhen steckten, und versuchte, ihn daran zu hindern, ihren Sohn zu schlagen. Aber diese Füße stießen und schleuderten sie beiseite. Sie überschlug sich und schluchzte laut auf vor Schmerz.

«Ja, so. Du Grünschnabel!» sagte Drozd. «An die Wand mit ihm».

Die zwei anderen rissen ihren Sohn mit roher Gewalt an den gefesselten Armen, schleuderten ihn gegen die geborstenen Mauerbalken, und Drozd richtete seinen Karabiner auf ihn. Sie schnellte erneut hoch, stürzte zu ihrem Sohn, aber da krachte es bereits ohrenzerreißend über ihrem Kopf. Völlig unnatürlich und erschreckend reckte Ales seinen Körper, sein Mund verzerrte sich, und hilflos sank sein Kinn auf die Brust. Sein Rücken glitt die Wand hinunter, und in dieser unverständlich gekrümmten Pose erstarrte er am Mauersockel.