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Auf der langen, mit weißem Tuch gedeckten Tafel liefen emsige Wichtel umher, halb Mensch halb Tier und kaum größer als eine Hand und servierten auf silbernen Tabletts erlesene Speisen. Manche, denen Gräser und Blumen aus dem Rücken wuchsen, bildeten lebende Tafelbouquets und tanzten in nie enden wollendem Reigen. Andere Geschöpfe hatten die Körper von schönen Jungfern, doch wuchsen ihnen Schmetterlingsoder Libellenflügel aus dem Rücken. Auch sie waren nicht größer als die Elle eines Zwergs. Mit durchscheinenden Amphoren flogen sie über die Köpfe der Tafelnden und trugen Sorge dafür, daß sich niemals einer der Weinbecher leerte. Wieder andere schwenkten silberne Ampeln, aus denen der Duft kostbaren Räucherwerks zur Decke der Festhalle emporstieg.

Erschöpft von einem stundenlangen Gelage und doch nicht müde genug, um Schlaf finden zu können, streckte sich Alrik in seinem weichen Bett. Ein solches Schloß konnten nur Götter geschaffen haben. Alles hier war vollkommener als das Beste, das er jemals in seinen Träumen gesehen hatte, und bald würde ihn die Herrin über all diese Pracht wieder besuchen, so wie sie es in jeder Nacht tat.

Wieder bestaunte der junge Ritter die Rüstung, die ihm seine Göttin geschenkt hatte. Ein wunderbarer, vergoldeter Plattenpanzer, geschmückt mit Rosen aus schwarzem Stahl, dazu ein Schwert, so leicht wie eine Feder und doch so stark, daß es durch Eisen fuhr wie durch Daunen. Und der Bogen, der dort an der Wand lehnte. Sooft er mit ihm auch geschossen hatte, nicht einmal verfehlte sein Pfeil das Ziel.

Ein Geräusch riß Alrik aus seinen Träumen. Ein Schatten war durch das Fenster geflogen. Er erhob sich vom Bett und fand unter einem Tisch einen Pfeil. Ein Stück Birkenrinde war um den Schaft gewickelt und mit einem Lederbändchen festgezurrt. Was mochte das sein? Wieder einer der Scherze seiner Geliebten?

Neugierig löste er das Band. Fahrige Buchstaben waren mit Ruß auf die Rinde gemalt.

»Habt Ihr Euch vergessen?

Wie konnte die Fee Euch so blenden?

Ihr suchtet Euren Prinzen

und Eure Freunde bangen um Euch.

Und was tut Ihr?

Vertändelt kostbare Zeit

und vergeßt, was Euch einst lieb und teuer war!

Verlaßt das Schloß,

solange Ihr noch könnt,

denn wenn die Fee Eurer überdrüssig ist,

werdet Ihr nur mehr ein gebrochener,

alter Mann sein.

Lebt Euer Leben

und nicht den Traum einer anderen!

Ich erwarte Euch am Waldrand.«

ANDRA

Die Botschaft erinnerte Alrik an einen Traum, den er vor langer Zeit geträumt und fast vergessen hatte. Dort gab es eine Andra. Sie hatte ihn vor einer Gefahr gerettet. Achtlos warf er die Rinde beiseite und schritt zum Fenster, um in die Nacht zu spähen. Der Waldrand war mehr als eine Meile entfernt. Er würde Andra suchen. Alrik drehte sich zu seinen Waffen um. Sollte er etwas mitnehmen? Das meiste würde ihn nur beim Klettern behindern. So steckte er nur einen Dolch in seinen Gürtel. Die leichte Kleidung, die er trug, war für diesen Ausflug ideal. Ein dünnes Seidenhemd und eine dunkle Lederhose, dazu Stiefel aus fein gegerbtem Wildleder. Wieder drehte er sich zum Fenster.

Der Ritter hatte das unbestimmte Gefühl, daß er nicht durch das Tor des Schlosses gehen sollte, um Andra zu besuchen. Seine Göttin würde es ihm verwehren. Er blickte am Efeu hinunter, das bis zu den Zinnen des Turmes wuchs, in dem sich sein Schlafgemach befand. Ob es ihn tragen würde? Falls nicht, konnte er schlimmstenfalls in den Wassergraben stürzen. Vorsichtig kletterte er über den Sims aus dem Fenster und tastete mit dem Fuß nach Halt.

Wie eine Ewigkeit kam es ihm vor, bis er endlich wieder festen Boden unter den Füßen verspürte. Manchmal war es ihm während des Kletterns so erschienen, als würde der Turm in den Himmel wachsen und er könne niemals sicheren Grund erreichen.

Dann tauchte er lautlos ins Wasser ein und durchschwamm mit kräftigen Zügen den breiten Schloßgraben. Wieder war ihm so, als würde ihn etwas zurückhalten. Sollte es tatsächlich eine unsichtbare Macht geben, die ihn im Bann hielt? Etwas anderes als die Liebe zur Schloßherrin?

Die Botschaft hatte ihn verunsichert. Doch das würde sich schnell klären. Wahrscheinlich wäre er schon in weniger als einer Stunde zurück und würde den Rest der Nacht mit seiner göttlichen Geliebten verbringen. Auf den Zinnen sah er das Leuchten einer Fackel. Ein Wächter drehte seine Runde auf dem Wehrgang. Alrik hielt die Luft an und tauchte. Warum war er nur so sicher, daß man ihm zürnen würde, wenn die Wachen seinen kurzen Ausflug zu Andra bemerkten?

Aber er wäre lange vor Sonnenaufgang zurück!

Als Alrik an der anderen Seite des Grabens aus dem Wasser tauchte und sich umdrehte, war der Wächter verschwunden.

Er hatte den Waldrand schon fast erreicht, als im Schloß ein Horn geblasen wurde. Nur Augenblicke später löste sich eine Reiterin vom Waldrand. Eine junge Frau mit braunem Haar. Es war jene Andra, die ihm einst im Traum begegnet war und nun auf unerklärliche Weise Gestalt angenommen hatte, um ihm diese rätselhafte Botschaft zu schicken. Sie ritt einen braunen Hengst, dessen Zaumzeug Flammenzungen aus gelbem Satin schmückten.

»Muß ich Euch eigentlich immer retten, Ritter? Los, schwingt Euch hinter mir in den Sattel. Wir werden einen guten Vorsprung brauchen, wenn wir zu zweit auf meinem Braunen ein Rennen gegen Elfenpferde gewinnen wollen.«

Als sie in den Wald hineinritten, hörte Alrik, wie die schwere Zugbrücke des Schlosses heruntergelassen wurde und wenig später den dumpfen Donnerschlag der Hufe galoppierender Pferde.

»Der Vater meines Braunen war ein Centaur, von ihm hat er Kraft und Ausdauer geerbt«, schrie Andra und duckte sich mit ihrem Kopf in die dichte Mähne des Pferdes.

Alrik war verunsichert, ob das alles Traum oder Wirklichkeit war. Der scharfe Wind im Gesicht, die wilde Jagd durch den nachtschwarzen Wald, das alles erschien ihm so real, und doch konnte es nicht sein. Centauren gab es nur im Märchen. Und wie hatte Andra die schöne Fremde genannt? Eine Fee?

Zumindest war es keine böse Fee, schließlich hatte sie ihm das Leben gerettet. Das alles verwirrte den Ritter zutiefst. Er wünschte sich ins belagerte Greifenfurt zurück. Dort waren die Dinge klar und einfach gewesen. Oder war auch das ein Traum?

Sie mußten schon Stunden durch den Wald geritten sein und waren in ein Gebirge gekommen, als Andra ihren Braunen endlich zügelte.

»Ich glaube, wir haben sie abgehängt«, sagte sie und schwang sich aus dem Sattel. Dann musterte sie Alrik kritisch.

»Ich will Euch ja nicht zu nahe treten, Herr Ritter, aber in dem, was Ihr tragt, seht Ihr aus wie ein höfischer Lustknabe.«

Alrik wurde zornig. »Was bildet Ihr Euch eigentlich ein? Entreißt mich meinen Gastgebern, reitet wie besessen mit mir durch die Nacht ... Seit ich Euch das erste Mal getroffen habe, jagt ein Problem das andere. Besteht Euer Leben eigentlich nur aus Fluchten.«

»Das alles wäre nicht nötig gewesen, Ritter, wenn Ihr Wort gehalten hättet. Wir waren verabredet. Wollten wir uns nicht bei Ornaval, dem Sohn Serleens treffen? Dort habe ich über eine Woche auf Euch gewartet.« Alrik konnte sich dunkel an eine Verabredung erinnern. Immer mehr Dinge, die er vergessen oder für Träume gehalten hatte, kehrten in seine Erinnerung zurück. Deutlich standen die Tage in Greifenfurt wieder vor seinem Auge. Er hatte eine Aufgabe! Und plötzlich konnte er sich wieder an die nächtliche Szene im Hafen erinnern. Marcian wollte ihn zurückhalten, doch er bestand darauf, zum Prinzen zu gehen und ihn um Hilfe für die Stadt zu bitten.

»Bei allen Dämonen der Niederhölle, was mache ich hier!« schrie Alrik auf. »Ich habe meine Freunde verraten! Wie lange bin ich schon hier? Eine Woche? Einen Monat? Ein Jahr?«

»Ihr seid sechs Wochen im Schloß von Leriella gewesen.«

Alrik erbleichte. Sechs Wochen. Vielleicht war Greifenfurt schon längst gefallen. Sie brauchten dringend Hilfe, und er vertändelte seine Zeit mit schönen Frauen.

»Regt Euch nicht auf, Ritter. Sechs Wochen hier sind nicht mehr als drei Tage in Eurer Welt.« Andra nahm ihren Braunen am Zügel und führte das Pferd einen Berghang hinauf.