Schließlich erhob sich der Zwerg und kam auf ihn zu. »So, mein Junge. Du bist also Alrik von Blautann und vom Berg. Die Geschichte, wie du deinen Prinzen gerettet hast, hat man sogar in dieser Welt schon zu hören bekommen. Mir scheint, du bist ein Ritter vom rechten Schlag. Nicht so ein eitler Höfling, wie man sie immer öfter trifft. Glaube mir, nur deshalb tue ich dir den Gefallen, um den Andra mich gebeten hat. Du weißt ja wohl, daß es nicht die Art der Zwerge ist, etwas zu verschenken.« Alrik war verlegen, als Linosch ihm auf die Schulter klopfte.
»Du brauchst jetzt nichts zu sagen. Komm, steh auf. Andra hat mir erzählt, wie du den Orks bei Greifenfurt das Fell gegerbt hast. Du sollst ein gutes Schwert von mir bekommen, damit du diese Arbeit fortsetzen kannst.« Der Zwerg packte Alrik bei der Hand und führte ihn in eine angrenzende Höhle, in der prächtige Waffen und Rüstungen gehortet waren.
»Schau dich ruhig um, Junge. Hier findest du alles, was man im Kriege brauchen kann. Mustere die Waffen, und ich werde dich bei deiner Wahl beraten.« Dann drehte sich der Zwerg zu Andra um. »Du weißt gar nicht, was du mir für eine Freude gemacht hast. Endlich kann ich eine alte Familientradition fortführen. Schon mein Urahn Olbar Steinhauer hat bei Greifenfurt gegen die Orks gekämpft. Damals nannten die Menschen ihre Stadt aber noch Saljeth. Olbar zog mit Ramoxosch III., dem ersten und bislang einzigen Zwergenkönig, der ein Kriegsbündnis mit Elfen einging, um den Menschen im Norden der Koschberge zu helfen, die aus eigener Kraft das Joch der Orks nicht mehr abwerfen konnten. Aber ich erzähle zuviel. So ist das, wenn ein einsamer alter Zwerg mal Besuch bekommt.«
Linosch schneuzte sich und drehte sich um.
Alrik hatte inzwischen die Waffen gemustert. Mit dem, was der Zwerg hier hortete, hätte man mit Leichtigkeit eine ganze Schwadron ausrüsten können. Prüfend wog der Ritter ein Schwert in der Hand.
»Schöne Waffe, nicht wahr. Komm, nimm sie dir, und schau dich jetzt nach einer Rüstung um.« Die Stimme Linoschs klang ein wenig gepreßt, fast so, als fiele es ihm doch nicht so leicht, seine Schmiedearbeiten zu verschenken, wie er zunächst beteuert hatte.
Alrik brauchte nicht lange zu suchen. In einer Ecke stand ein prächtiger, stahlschimmernder Plattenpanzer. Der Panzer war hervorragend gearbeitet. Zwei sich aufbäumende Einhörner schmückten seine Brustplatte. Armund Beinzeug waren mit stilisierten Blumen geschmückt. Der Ritter hörte, wie Andra und der Zwerg miteinander tuschelten.
Alrik wollte gerade die Rüstung anprobieren, als der Zwerg meinte: »Nein, mein Junge. Laß das da mal stehen. Nicht, daß ich dir das gute Stück nicht gönnen würde, aber Andra meint, die würde euch auf eurer weiten Reise nur behindern.«
»Na schön.« Der Ritter blickte finster zu der Jägerin hinüber. »Und was schwebt Euch vor. Sucht Ihr doch was aus. Seit ich Euch kenne, maßt Ihr Euch an, meine Entscheidungen zu fällen. Mit mir vorher mal ein Wort zu reden liegt Euch fern. Also, sucht aus!«
»Seht, wir müssen von diesem Berg auch wieder herunterkommen. In einer Ritterrüstung wäre das unmöglich. Außerdem würde eine schwere Rüstung uns auf der weiteren Reise behindern. Mein Brauner hat schon genug an uns zweien zu tragen. Da brauchen wir nicht noch all das Blech.« Der Zwerg räusperte sich leise und murmelte: »Blech ... das werd' ich mir merken. Kein Respekt vor solidem Handwerk.« Dann fügte er lauter hinzu. »Sucht Euch aus, was Ihr braucht. Ich geh nach nebenan ans Feuer.« »Nun, ich warte auf Eure Entscheidung.« Alrik hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sich breitbeinig vor der Rüstung aufgebaut.
»Ihr seid mir doch nicht etwa böse?« Andra lächelte kokett. Alrik antwortete nicht.
»Findet Ihr nicht auch, daß wir die Förmlichkeiten bleiben lassen sollten?« Die Jägerin stand nun unmittelbar vor dem Ritter. »Habe ich dir eigentlich schon gesagt, daß du außerordentlich gut aussiehst ...« Das kam Alrik vertraut vor. Langsam begann er dem Glauben zu schenken.
»... wenn ich daran denke, wie Leriella dich verführt hat, kommt mir die kalte Wut.« Andra strich ihm über die Schultern. »Du gehörst nicht in die Hände einer Frau, die kein wirkliches Feuer hat.«
Alrik war ernsthaft irritiert. Andra verhielt sich im Augenblick nicht sehr viel anders als die Fee, die sie so sehr verdammt hatte. Außerdem mißfiel ihm die Art, wie sie die Dinge in die Hand nahm. Er war es gewohnt, seine Entscheidungen selber zu treffen, und bislang hatte immer er die Frauen verführt und nicht umgekehrt. Selbst Leriella hatte sich an diese einfachen Anstandsregeln gehalten. Sie hatte ihm zwar gezeigt, daß sie ihn wollte, doch er war letztlich derjenige gewesen, der Zeit und Ort bestimmte.
»Du solltest diesen Flitterkram ablegen.« Andra nestelte an seinem Seidenhemd herum. Alrik ergriff ihren Arm. »Nicht so schnell, meine Schöne. Was stellst du dir eigentlich vor? Hinten in der Ecke liegen Felle. Dort haben wir es gemütlicher.«
»Fang jetzt keine Minnespiele an. Ich bin nicht die Frau, die endlos angebetet werden möchte, bevor irgend etwas passiert.«
»Und was ist mit Linosch?«
Andra hatte ihn zu den Fellen herübergezogen und sein Hemd endgültig abgestreift.
»Vergiß den Zwerg. Er denkt, daß wir uns erst einmal ausgiebig zanken. Der schaut hier so schnell nicht wieder herein ... und deine Stiefel zieh dir gefälligst selber aus! Ich bin nicht dein Knecht!«
Alrik war noch immer verwirrt, aber dann entschloß er sich dazu, erst morgen darüber nachzudenken, ob er jetzt einen Fehler machte.
6
Alrik war hellwach.. Warum mußte ihm das passieren? Andra lag neben ihm. Verschlafen öffnete sie die Augen und blinzelte ihn an. Was für eine Frau, dachte der Ritter und liebkoste sie sanft. Wenn sie nur nicht so ...
Andra sprang von ihrem gemeinsamen Lager auf. Was für ein Körper! Im flackernd gelben Licht der Öllampe, die die Höhle beleuchtete, erschien ihr Körper wie aus rotem Gold modelliert.
Wäre sie nur nicht so kühl. Und jetzt ... Ohne ein Wort war sie aus dem ›Bett‹ gesprungen und kleidete sich an. Wo waren ihr Feuer und ihre Leidenschaft? Stahl konnte nicht kälter sein als sie.
Erst als Andra sich vollständig angekleidet hatte, wandte sie sich um, und ihre ersten Worte waren so nüchtern und emotionslos, als habe die letzte Nacht gar nicht stattgefunden. »Nun, Alrik, ich glaube, du brauchst eine Rüstung, in der man gut laufen kann. — Das hier ist mir schon gestern abend ins Auge gestochen.«
Mit Schwung warf sie ihm ein feinmaschiges Kettenhemd herüber. »Vielleicht solltest du dir dazu noch ein paar Armoder Beinschienen suchen. Das müßte reichen. Frag doch Linosch, ob er vielleicht noch ein paar alte Kleider von meinem Vater hat. Du solltest wirklich nicht mehr in diesem Fummel herumlaufen.«
Was für romantischer Unsinn die Minne doch war. Langsam setzte Alrik sich auf. Ein Ritter und ein schönes Mädchen in einer einsamen Höhle. Was hätte ein Bänkelsänger aus dieser Situation nicht alles machen können ... Und was geschah? Kein Wort der Liebe. Kein Kuß. Kein ...
»Träum nicht herum, Alrik! Wir sollten hier schnellstens verschwinden. Ich geh schon mal nach nebenan und frag Linosch, ob er uns noch was zu essen mitgeben kann.« Noch bevor er etwas erwidern konnte, war die Jägerin durch einen engen Durchschlupf in die Nachbarhöhle verschwunden.
Alrik wühlte in dem Fellhaufen herum, in dem sie übernachtet hatten. Dunkel erinnerte er sich dort am Vorabend einige Kleidungsstücke gesehen zu haben. Schließlich fand er einen braunen Waffenrock und eine lederne Hose. Beides war sehr eng. Was für ein Mann wohl Andras Vaters gewesen war? Jedenfalls konnte er nicht sehr muskulös gewesen sein, denn die Lederhose kniff erbärmlich.
Unter dem Kettenhemd behielt Alrik Leriellas Seidenhemd an. Der Ritter lächelte versonnen. Wenn die Jägerin wüßte, daß die Fee dieses Hemd einst getragen hatte. Schade, daß das schwere Kettenhemd es vermutlich schnell zerreißen würde.