»Mein Fürst Ornaval entbietet Euch seinen Gruß, Fremde. Er läßt verkünden, daß es seit jeher Sitte in seinem Reich ist, daß jeder, der diese Brücke passieren will, gegen ihn zum Duell anzutreten hat. Wer ins Hörn stößt, verkündet damit seine Bereitschaft zum Kampf! Nun ist mein Herr durch eine Verletzung im Moment nicht in der Lage, eine Lanze zu führen. Deshalb läßt er anfragen, ob Ihr willens seid, statt dessen einen Kämpen seiner Wahl zu akzeptieren, der statt seiner das Duell austragen wird.« »Ich fürchte, wir haben keine Wahl«, flüsterte Andra. »Ich glaube allerdings, daß dies eine günstige Fügung des Schicksals ist, denn Ornaval gilt als bester Ritter unter den Feen und Elfen in diesem Reich.«
»Ich hoffe, du behältst recht«, murmelte Alrik und erwiderte an den Boten gewandt: »Berichte deinem Herrn, daß wir seinen Vorschlag annehmen. Ich bitte allerdings, daß mir ein Teil der Ausrüstung, die zum Lanzenstechen erforderlich ist, von deinem Fürsten gestellt wird, denn wie du selbst sehen kannst, führe ich weder Helm noch Lanze mit mir.«
»Was die Lanzen angeht, so bedient Euch bei denen, die einst Euren gescheiterten Vorgängern gehörten. Alles weitere wird mein Herr entscheiden.« Der Bote wendete sein Pferd und galoppierte zu der Reiterkavalkade zurück, die mittlerweile den Fuß des Felsens erreicht hatte. Dort wurde eine Weile beratschlagt, und schließlich kamen mehrere Feenritter zu den beiden. Einer von ihnen reichte Alrik seinen Helm, während sich ein anderer noch einmal vergewisserte, daß er mit den Bedingungen zum Duell wirklich einverstanden sei. Als Alrik bejahte, winkte der Ritter, dessen Helm er nun trug, zu den anderen Reitern herüber, die darauf langsam bis ans gegenüberliegende Flußufer herankamen.
Ein großer Ritter, der bislang hinter den Bannerträgern verborgen gewesen war, löste sich von der Gruppe und näherte sich der Brücke.
»Darf ich vorstellen, Cromag, Streiter im Dienste Ornavals!« rief einer der Ritter, die den jungen Oberst umgaben. »Reitet auf die Brücke und entblößt Euer Haupt, denn bei uns ist es Sitte, daß sich die Kombatanten vor dem Duell Aug in Auge gegenüberstehen.«
Alrik lenkte seih Pferd zu dem Übergang und löste gleichzeitig mit der linken den ledernen Riemen seines Topfhelms.
Dann betrachtete er sein Gegenüber. Der großgewachsene Ritter stellte sich außerordentlich ungeschickt an. Einen Moment lang schien es fast, als wollte es ihm nicht gelingen, den Riemen zu lösen.
Ein gutes Zeichen, dachte Alrik. Wer so ungeschickt ist, wird wohl kaum ein gefährlicher Gegner sein. Argwöhnisch musterte er den Reiter. Er war in eine schwarze Rüstung gehüllt und trug einen ungewöhnlich großen Helm, der die grimmige Grimasse eines Dämons zeigte.
Die Größe dieses Gegners jagte Alrik Schauer über den Rücken. Schon das Pferd des Mannes übertraf seinen Braunen um fast eine Elle in der Schulterhöhe. Auf seinem schwarzen Fell lag ein seltsam metallischer Glanz, und die Augen des Ungeheuers sprühten vor Boshaftigkeit, als sei es von Dämonen besessen. Doch der Reiter war noch gewaltiger. Alrik schätzte ihn auf fast zwei und einen halben Schritt. So groß wie ein Oger, ging es ihm durch den Kopf. Er dachte an die mächtigen Streitoger, die er schon oft in den Reihen der Orks gesehen hatte. Sie waren zwar plump und langsam, doch meistens reichte es, wenn sie mit ihren Keulen nur ein einziges Mal trafen. Diesen Hieben hielt keine Rüstung stand.
Endlich hob der Mann den Helm, und Alrik erstarrte. Statt eines Menschenkopfes hatte diese unheimliche Kreatur das Haupt eines Ebers.
Der Oberst brachte sein Pferd zum Stehen und versuchte das nervöse Tier zu beruhigen, indem er ihm sanft über den Hals strich. Der Reiter kam näher und senkte dabei seine Lanze.
Alrik schob seinen Schild vor die Brust und musterte verwundert seinen Gegner. Was sollte das? Nach den Regeln hatte ihr Kampf doch noch nicht begonnen.
Krachend stieß das Ungeheuer seine Lanzenspitze gegen den Schild des Ritters. Dann stieß er einen markerschütternden Schrei aus und ließ sein Pferd auf die Hinterbeine steigen.
»Cromag fordert Euch zum Kampf auf Leben und Tod«, erklang hinter ihm die Stimme eines Feenritters.
»Das darfst du nicht annehmen!« schrie Andra verzweifelt. »Wir werden einen anderen Weg finden. Meide den Kampf!«
Herausfordernd blickte der eberköpfige Ritter Alrik an. Einen Augenblick zögerte der Ritter. Würden sie einen anderen Weg suchen, mochte sie das erneut Tage und Wochen kosten. Dafür war es zu spät! Seine Freunde in Greifenfurt brauchten schnell Hilfe. Außerdem würden sie wahrscheinlich Leriella in die Arme reiten, falls sie umkehrten.
Alrik richtete sich auf seinem Braunen auf. »Ich nehme die Herausforderung an. Möge der Bessere gewinnen!«
»Ritter, Ihr habt wirklich Mut«, begrüßte ihn einer der Feenritter, als Alrik die Brücke verließ, um sich seine Lanze zu holen.
»Wenn es Eure Götter wirklich gibt, dann betet nun zu ihnen«, höhnte ein anderer.
Der Oberst setzte seinen Helm auf und wog prüfend die schwere Lanze in seiner Hand. Es war eine gut gearbeitete Waffe aus festem Holz. Andra stand neben ihm. »Ich wünsche dir Glück, mein verrückter Narr.« Sie schluckte, und ihr Lächeln wirkte wie das tote Lachen einer Theatermaske. »Nimm dies«, sagte sie und reichte ihm ein kleines, bunt besticktes Tuch hinauf. »Ich weiß, daß es bei höfischen Turnieren üblich ist, daß der Kämpfer ein Pfand seiner Liebsten mit in den Kampf nimmt. Möge es dir Glück bringen.«
Alrik nahm das Tüchlein und band es sich um den rechten Arm.
Sein Gegner stand am gegenüberliegenden Ende der Brücke. Der Oberst klemmte die Lanze fest unter seine rechte Achsel.
»Für Brin und das Kaiserreich!« rief er lauthals und gab dem Braunen die Sporen. Im gleichen Augenblick preschte auch sein Gegner los.
Der Eberköpfige zielte mit der Lanzenspitze auf sein Herz. Alrik zog Linoschs Schild vor die Brust. »Schütze mich«, flüsterte er mit rauher Stimme, während er den polierten Stahl der Lanzenspitze pfeilschnell auf sich zuschießen sah. Er selbst versuchte, nach dem Kopf des Gegners zu zielen, in der Hoffnung, daß der Aufprall Cromag vielleicht aus dem Sattel werfen würde.
Dann krachte die Lanze des Gegners auf seinen Schild, und obwohl die Waffe zur Seite glitt, preßte ihm der gewaltige Aufprall die Luft aus den Lungen. Seinen Schildarm durchlief eine Welle von Schmerz. Gleichzeitig traf seine Lanze den Helm des Monsters. Die stählerne Spitze schlug eine Spur leuchtender Funken und glitt zur Seite.
Das Ungeheuer hat nicht einmal im Sattel geschwankt, dachte Alrik, während sie einander passierten.
Am Ende der Brücke angelangt, wendete der Oberst sein Pferd. Cromag stand schon bereit und erwartete seinen zweiten Ansturm.
Alrik spürte den metallischen Geschmack von Blut im Mund. Er hatte sich beim Aufschlag der Lanze die Unterlippe durchgebissen.
Viele solcher Runden würde er nicht durchstehen. Sein linker Arm war mittlerweile schon taub vor Schmerzen.
Nun, er würde es in Ehren hinter sich bringen. Sein Leben lang hatte er Praios und Rondra gedient, hatte sich bemüht, ein Vorbild in Gerechtigkeit und Mut zu sein, und so würde er jetzt auch sterben! Alrik gab dem Braunen die Sporen.
Wieder preschten die ungleichen Gegner aufeinander zu. Das Monster grunzte vor Freude, wie es Alrik schien, und richtete seine Lanze wieder auf sein Herz. Der Ritter tat es ihm gleich.
Der Aufprall war entsetzlich. Für einen Moment kämpfte Alrik mit der Ohnmacht.
Die Luft war erfüllt von den sirrenden Splittern seiner Lanze. Er hatte den Ebermann auf der Brust getroffen, doch statt ihn aus dem Sattel zu heben, hatte sich Alriks Lanze gebogen und war schließlich zerbrochen. Mühsam rang der Ritter nach Atem. Dieses Monstrum hatte selbst bei diesem Treffer nicht im Sattel gewankt!
»Gebt mir eine neue Lanze!« rief er den Feenrittern zu, als er erneut das Ende der Brücke erreichte, an dem auch Andra stand. Schweigend reichte man ihm die Waffe.