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Alrik strich sich nachdenklich übers Kinn. Nüchtern betrachtet, hatte Nyrilla recht. Sollte sie den Orks in die Arme laufen, würden die Schwarzpelze vielleicht erst gar nicht nach ihm suchen. Dann käme wenigstens einer durch.

»Im Namen der Zwölfe, geh!« Mit einer Elfe zu diskutieren war ohnehin sinnlos. Alrik wollte ihr noch einmal freundschaftlich auf die Schulter klopfen, doch Nyrilla wich vor ihm zurück. Ohne ein weiteres Wort drehte sich die Elfe um und lief Richtung Norden wieder flußaufwärts.

Alrik hoffte, daß sie Glück haben würde, denn die Aufgabe, die Marcian ihr und Arthag zugedacht hatte, war vielleicht noch wichtiger als seine eigene. Auf den Tempelstelen in Xorlosch war angeblich die Geschichte Deres niedergeschrieben, und das war mit Sicherheit der einzige Ort, wo man herausfinden könnte, warum die Schwarzpelze vor langer Zeit Greifenfurt besetzt hatten und sie immer wieder heimsuchten.

Nyrilla war schon mehr als eine halbe Stunde den Fluß hinauf gelaufen, als sie weit vor sich eine Gestalt auf der Böschung stehen sah, die irgend etwas im Fluß zu beobachten schien.

Vorsichtig duckte sich Nyrilla ins hohe Gras. Dort hinten stand ein Ork, daran bestand kein Zweifel. Vielleicht war das eine Falle; ein Köder, um sie anzulocken. Aufmerksam musterte die Elfe die Umgebung. Nirgends war etwas Verdächtiges zu sehen, und außer dem hohen Gras gab es keine Deckung.

Wenn sie noch etwas näher schlich, könnte sie den Ork mit ihrem Bogen niederschießen. Sie war sich sicher, daß Lysandra in dieser Lage nicht einen Augenblick gezögert hätte, doch ihr widerstrebte es, ein intelligentes Wesen so ohne weiteres zu töten. Jetzt begann der Ork die Böschung hinunterzuklettern. Was er wohl unten am Fluß wollte? Dort gab es doch nicht einmal einen Uferstreifen.

Geduckt schlich Nyrilla bis zu der Stelle, an der eben noch ihr Gegner gestanden hatte. Der Fluß hatte im Laufe der Jahrhunderte einen halben Hügel fortgeschwemmt. Vorsichtig kroch sie an den Rand der Böschung und blickte hinunter. Knapp drei Schritte unter ihr kauerte der Ork auf einem flachen Felsen. Er hatte den Bogen von der Schulter genommen und wollte gerade einen Pfeil auf die Sehne legen. Weiter unter ihm lag eine nackte Gestalt auf einer Klippe, die sich aus dem schäumenden Wasser erhob. Es war Arthag!

Hastig zog Nyrilla ihren Bogen von der Schulter und legte einen Pfeil ein. Der Ork zielte unterdessen auf den bewußtlosen Zwerg.

»Laß das bleiben«, zischte die Elfe in der Sprache der Schwarzpelze. Erschrocken fuhr der haarige Kerl herum. Sofort erkannte er, daß er in der schlechteren Lage war und ließ langsam seinen Bogen sinken. Erst jetzt sah Nyrilla das lange, blonde Haar, mit dem sein Köcher geschmückt war. Dieser Mistkerl hatte in diesem Krieg schon getötet, daran konnte kein Zweifel bestehen.

»Leg den Bogen weg«, stieß sie wütend hervor. »Und jetzt klettere langsam wieder herauf und sieh mich dabei an. Dein Messer läßt du besser unten!«

Vorsichtig zog der Ork die Klinge aus ihrer bestickten Lederhülle und legte die Waffe neben den Bogen. Dann begann er die Uferböschung heraufzuklettern, ohne dabei den Blick von der Elfe zu lassen, ganz so, wie es Nyrilla befohlen hatte.

Einen Moment lang zögerte die Elfe. Seit sie den Skalp am Köcher des Orks gesehen hatte, war sie sich nicht mehr so sicher, ob sie ihn gefangennehmen wollte. Dann konzentrierte sie sich auf einen Beherrschungszauber und blickte ihm fest in die Augen.

Zunächst einmal brauchte sie seine Hilfe. Töten könnte sie ihn immer noch! Es war leicht, die einfachen Gedankenvorgänge dieses halben Tiers zu beherrschen. Sie spürte die Angst des Orks. Er erwartete, daß sie ihn töten würde. Er spielte mit dem Gedanken, ihr einen Klumpen Erde ins Gesicht zu schleudern und sie dann zu überwältigen.

Doch kraft ihrer Magie nahm sie ihm die Angst. Sie gaukelte ihm vor, wie sie einmal vor langer Zeit einen ganzen Winter zusammen gejagt hatten und schuf ein Bild, wie sie ihn vor einem verletzten Wollnashorn rettete, das ihn in einer Schlucht in die Enge getrieben hatte. Sie entwarf einen ganzen Bilderbogen hübscher Lügen. Sie spürte, wie sich die Gefühle des Orks änderten. Er glaubte sie jetzt wiederzuerkennen, und Nyrilla entdeckte seinen Namen. Garbaz hieß der haarige Krieger mit den furchteinflößenden Hauern im Kiefer.

Die Elfe streckte ihm die Hand entgegen und half ihm das letzte Stück über die Böschung hinauf. Dann umarmte sie den Ork naserümpfend und ließ einen Schwall freudiger Wiedersehensfloskeln über sich ergehen. Wieder musterte sie Garbaz mit stechendem Blick. Diesmal versuchte sie Arthag in die Erinnerungen des Kriegers einzubringen. Bilder, wie sie den Zwergen schon einmal vor dem Ertrinken gerettet hatten. Doch diesmal fiel es ihr schwerer, und Garbaz glaubte ihr erst nach einer ganzen Weile. Schließlich erhob sich die Elfe und schaute über die Uferböschung auf den Fluß. Noch immer lag der verletzte Zwerg auf dem Felsen inmitten des Stroms. Sie rief Garbaz zu sich und wies hinunter.

»Unser Freund sollte das Wasser meiden. Ihm ist schon wieder ein Unglück widerfahren.«

Garbaz knurrte vor sich hin, als sich die Elfe zu ihm umdrehte. »Traust du dir zu, Arthag dort aus dem Fluß zu holen?«

Der Ork schaute sie mit großen, rollenden Augen an. Steile Falten zeigten sich auf seiner Nase, als er verächtlich herausschnaubte: »Willst du mich beleidigen? Bei Ranagh, ich bin ein Mokalash. In meiner Sippe lernt man das Schwimmen noch vor dem Laufen. Wie kannst du mich so etwas fragen?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, sprang Garbaz vom Steilufer in den Fluß. Mit einigen kräftigen Stößen schwamm er gegen die Strömung an, erreichte den Felsen, klammerte sich daran fest und zog sich schließlich hoch. Besorgt beobachtete Nyrilla, wie der Ork den leblosen Zwerg untersuchte.

Dann löste Garbaz einen langen Lederriemen von seinem Gürtel, zog ihm dem Zwerg unter den Armen durch und knüpfte einen Knoten. Während er Arthag mit Hilfe der ledernen Schlaufe hinter sich herzog, stieg Garbaz wieder ins Wasser. Mühsam kämpfte er sich mit der schweren Last gegen die Strömung. Doch das Wasser trieb die beiden langsam ab. Nachdem eine schiere Ewigkeit vergangen war, gelang es dem Ork, sich doch noch bis zum Steilufer vorzukämpfen. Verzweifelt versuchte er in der lehmigen Erde Halt zu finden. Doch vergebens! Wieder riß ihn die Strömung weiter, während Nyrilla am Ufer entlanglief. Ohne ein Seil war es unmöglich, den Schwimmern zu helfen. Immer häufiger wurden der Ork und seine Last unter Wasser gedrückt. Doch Garbaz gab nicht auf. Statt in Todesangst um Hilfe zu schreien, verhielt er sich sehr merkwürdig. Er stieß in hohen Tönen schrille Pfiffe aus.

Währenddessen überlegte Nyrilla fieberhaft, wie sie verhindern konnte, daß die beiden vor ihren Augen ertranken. Vielleicht sollte sie ihren Bogen nutzen. Wenn sie die Sehne von der Waffe zog und den Bogen herunterhielt, konnte es Garbaz vielleicht gelingen, sich daran festzuklammern. Nyrilla bezweifelte allerdings, daß sie stark genug war, um die beiden aus dem Wasser zu ziehen. Plötzlich ließ sie ein Geräusch herumfahren. Über die Wiese hinter der Böschung kam ein kleines struppiges Pony auf sie zugaloppiert. Mißtrauisch musterte Nyrilla das Gelände. Sollten sich doch noch einige Orks verborgen halten? Wie kam es, daß sie das Tier übersehen hatte?

Unmittelbar neben ihr blieb das kleine Pferdchen stehen. Garbaz rief von unten herauf. »Nimm das Seil! Mach es am Sattel fest und zieh uns heraus. Ich halte nicht mehr lange durch.«

Nyrilla nahm das schwere, aus Gras geflochtene Seil und befestigte es an einem der vier Hörner, die die Ecken des unförmigen Sattels markierten. Dann zog sie das Pony ein Stück hinter sich her, denn die Strömung hatte Arthag und Garbaz noch weiter flußabwärts getrieben.

Dann warf sie das Seil dem Ork zu. Beim dritten Versuch bekam Garbaz schließlich das Tauende zu packen und schlang es sich um den Unterarm. Nyrilla schlug dem Pony auf die Flanken. Schritt für Schritt kämpfte sich das kleine Tier vorwärts und zog die beiden langsam die Klippe hinauf.