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Innerhalb einer Stunde war die Sparrow geisterhaft langsam auf ihrem Kurs nach Nordwest, alle Segel gesetzt, und ließ ihr Schwesterschiff immer weiter achteraus.

Der Wind frischte langsam auf, und als die ersten Sterne über den Masten erschienen, hatten sie schon fast fünfzig Meilen zurückgelegt. Zurück auf demselben Kurs, auf dem sie in der vergangenen Nacht mit solcher Eile versucht hatten, Colquhoun zu treffen.

Aber da war nichts zu machen, und einige freuten sich sogar innerlich, daß ihnen die beschwerliche Fahrt durch die Sandbänke erspart blieb.

Auf dem Achterdeck lehnte sich Leutnant Graves gegen die Reling, halb beobachtete er die lose flappenden Segel, halb hörte er dem Ächzen des Steuers zu oder den Stimmen der Seeleute auf Wache. Er dachte an sein Zuhause in Chatham und an die Neuigkeiten, die er mit einem seltenen Brief aus England erhalten hatte. Seine Familie war keine Seefahrerfamilie. Sein Vater besaß einen kleinen, aber gutgehenden Gemüseladen, dort waren Graves und seine Schwester geboren und aufgewachsen. Seine Mutter, eine kränkliche Frau, war ein Jahr, bevor die Sparrow auslief, gestorben, und in den letzten Jahren hatte sein Vater offensichtlich zu trinken begonnen. Das Geschäft war verschuldet, und seine Schwester hatte, wahrscheinlich aus Verzweiflung, einen verarmten Leutnant der Armeegarnison geheiratet.

Sie hatte in ihrem Brief um Geld gebeten, nicht für sich selbst, sondern um ihren Vater nicht in den Schuldturm zu bringen. Graves hatte alles geschickt, was er besaß, und das war wenig genug. Sein Anteil am Prisengeld der Sparrow würde natürlich viel helfen, aber so lange er keine neuen Informationen von zu Hause erhalten hatte, war er nicht geneigt, es zu überweisen; schließlich hatte er es sich hart erarbeitet. Wenn er doch nur besser für die Gepflogenheiten der Marine geformt worden wäre! Wie zum Beispiel der Kapitän, dessen Seefahrerfamilie und berühmte Ahnen ihn von Männern wie ihm trennten. Oder sogar Tyrell, der aller Autorität gegenüber so gleichgültig war, obwohl er sich dies weiß Gott nicht leisten konnte. Er konnte sich genau erinnern, wie Tyrells Schwester an Bord gekommen war. Sie waren in Kingston, Jamaika, gewesen, wo sie bei Freunden gelebt hatte, um abzuwarten, bis die Schwierigkeiten, wie sie es nannte, in Amerika vorüber seien. Ein lebhaftes, lebendiges Mädchen, ohne die gleichgültige Einstellung Tyrells. Graves war sie wie eine Art Engel erschienen, die Erfüllung all seiner Träume. Sie kam aus einer alteingesessenen und wohlhabenden Familie, und als seine Frau hätte sie ihm die Chance gegeben, sich zu verbessern, seinen rechtmäßigen Platz in der Welt zu finden, anstatt unsicher und vorsichtig zu bleiben. Tyrell hatte seine Absichten klar erkannt, sie jedoch weder unterstützt noch sich offen dagegen ausgesprochen. Dann hatte diese kleine Närrin einen Streit mit Kapitän Ransome wegen eines Mannes angefangen, der bestraft werden sollte. Graves konnte sich nicht mehr erinnern, ob die Bestrafung gerechtfertigt war oder nicht, es machte ihm auch nichts aus. Ransome war sehr schlau vorgegangen und hatte seinen beträchtlichen Charme benutzt, um den Widerstand des Mädchens zu brechen, seine eigenen Chancen zunichte zu machen und sie ihrem Bruder völlig zu entfremden. Aber Graves machte immer noch Tyrell verantwortlich, haßte ihn, wenn er an sie dachte und wie sie ausgesehen hatte, als Ransome sie schließlich in Antigua an Land gesetzt hatte.

Er umklammerte die Reling, bis der Schmerz ihn wieder beruhigte. Wo sie wohl war? Jemand hatte gesagt, sie sei wieder nach Amerika gesegelt, andere erwähnten einen vorüberfahrenden Indienfahrer nach Trinidad. Ob sie wohl jemals an ihn dachte? Ärgerlich mit sich selbst, daß er nach so langer Zeit noch zu hoffen wagte, drehte er sich um. Warum konnte er nie zufrieden sein, wenn es am nötigsten war? Vielleicht war er zu lange in diesem verdammten Gemüseladen gewesen, hatte seinen Vater über Qualität reden hören, hatte gesehen, wie er sich vor Kunden verbeugte und erniedrigte, deren unbezahlte Rechnungen größer waren als seine eigenen Schulden.

Die Sorge um seine Schwester, seine eigene Unsicherheit, hatten auch auf andere Weise ihren Tribut gefordert. Er hatte es nach dem Gefecht mit der Bonaventure gefühlt, obwohl er mit den geretteten Passagieren an Bord der Sparrow gewesen war. Angenommen, der Kapitän hätte es nicht geschafft, sie lange genug zu entern, um seinen verrückten Plan auszuführen? Hätte er die Kraft gehabt, die Sparrow gegen seine Befehle zu wenden und Bolitho und seine Männer zu retten? Wenn nicht Buckle und einige andere gewesen wären, bezweifelte er sehr, ob er es getan hätte, selbst als die beiden miteinander verbundenen Schiffe in Flammen aufgingen. Sie hatten die große Rauchwolke selbst am Horizont gesehen.

Und später, als sie bei den anderen Prisen längsseits gegangen waren und mit Freibeutern Schüsse wechselten, hatte er gefühlt, daß sich Furcht in seinem Innern breitmachte wie eine schleichende Krankheit. Niemand hatte es bemerkt. Bis jetzt. Er schüttelte sich und ging nach Luv hinüber, versuchte, in der kühlen Brise einen klaren Kopf zu bekommen.

Die beiden Fähnriche standen an den Leewanten, und Bethune sagte ruhig:»Mr. Graves scheint sich Sorgen zu machen.»

Der neue Fähnrich, Fowler, ignorierte den Kommentar.»Hör mal…«Er lispelte, was noch stärker hervortrat, wenn er versuchte, vor seinen Vorgesetzten unschuldig zu erscheinen. Jetzt merkte man es kaum.»Ich muß morgen das Deckscheuern überwachen.»

Bethune beobachtete den Leutnant.»Ich weiß. Du bist an der Reihe.»

Fowler zeigte lächelnd seine kleinen Zähne.»Tu du es für mich. Wenn wir wieder zur Flotte zurückkehren, werde ich mit dem Admiral sprechen.»

Bethune starrte ihn an.»Meinetwegen?«»Vielleicht.»

Bethunes Dankbarkeit war mitleiderregend.»Oh, wenn ich nur… «Er nickte.»Ja, ich werde mich um die Arbeiten kümmern. Wenn ich sonst noch etwas tun kann.»

Der junge Mann betrachtete ihn kalt.»Ich werde es dich wissen lassen.»

Überall auf dem Schiff gab die Mannschaft ihren Hoffnungen und Träumen auf ihre eigene Art Ausdruck.

In seiner Kajüte saß Tyrell auf seiner Seekiste und massierte sein verwundetes Bein, während jenseits des Schotts Bolitho den Brief an seinen Vater beendete. In der schwach erleuchteten Offiziersmesse döste Dalkeith über einem Glas Rum und hörte Buckle zu, der wieder einmal eine Geschichte von der einen oder anderen Frau aus Bristol erzählte, während der junge Heyward ihm mit geschlossenen Augen lauschte. Ganz vorn am Bug lehnte Yule, der Feuerwerker, mit von Wind und Gischt zerzaustem Haar, eine Flasche zwischen den Knien; seine verwirrten Gedanken galten Tilby und den guten Zeiten, die sie zusammen erlebt hatten. Ganz unten in den Laderäumen, im Licht einer Laterne an der niedrigen Decke, inspizierte Lock, der Zahlmeister, eine Kiste Zitronen. Er prüfte jede einzelne wie ein Räuber sein Beute, während er Notizen in ein Heft machte.

Und mit ihrer fahlen Leinwand beschützte die Sparrow sie alle, ungeachtet ihrer verschiedenen Sorgen und Freuden, gleichgültig sogar der See gegenüber. Denn sie brauchte keinen von ihnen und schien zufrieden.

Sobald Bolitho das Achterdeck betrat, bemerkte er, daß der Wind sich gegen sie wandte, und zwar rasch. Er hatte tief geschlafen, als ein Steuermannsmaat in die Kajüte gekommen war, um ihm zu melden, daß Leutnant Heyward um seinen Rat ersuche.

Die mittlere Wache war erst halb vorbei, und die Sterne schienen sehr hell über den Ausgucks, aber als er mit bloßen Füßen unhörbar über die feuchten Planken eilte, hörte er die Topsegel heftig schlagen, fast schien es ihm eine Antwort auf das Ächzen der Stagen und Wanten zu sein.

Buckle stand neben dem Steuer, wie er selbst trug auch er nur seine Kniehosen; ein Beweis, wenn das noch nötig war, daß Heyward erst dann Hilfe geholt hatte, als es schon fast zu spät war.