Ich stieß erneut einen Pfiff aus. An dieser Universität studiert man im Schnitt sechzig Jahre. Wahnsinn! Aber ich sagte nichts dazu, und der Buriwuch fuhr fort.
»Nach seinem glänzenden Examen hatte Ande Pu kein Problem, einen interessanten Posten bei Hofe zu bekommen.«
Offenbar hat Pu mich also nicht angelogen, dachte ich.
»Im Jahre 68 der Epoche des Gesetzbuchs wurde Ande Pu wegen des Ausplauderns von Interna des Königshofs verurteilt. Er verlor seine Rentenansprüche und darf nie wieder bei Hofe eingestellt werden. In diese Angelegenheit war auch ein Reporter namens Kuom Manio von der Zeitung Trubel von Echo verwickelt, für den die Angelegenheit aber straffrei ausging. Seit dem Jahre 68 lebt Ande Pu in dem Haus, das er von seinen Großeltern geerbt hat. Er hat keine feste Anstellung und hat sich bis zum Jahre 88 mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser gehalten. Dann hat er wegen seiner Schulden die Hälfte des Hauses an die Familie Pela abtreten müssen. Ab und zu schreibt er Artikel für die Königliche Stimme und ist ein paar Mal wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet worden. Er ist keiner größeren Verbrechen verdächtig. Das war's«, sagte der Buriwuch und wandte sich an Lukfi: »Sei so lieb und gib mir ein paar Nüsse.«
»Vielen Dank, Schpusch«, sagte ich und stand auf. »Ich kann deine Informationen ergänzen. Welchen Tag haben wir heute?«
»Den 113.«, antwortete Sir Lukfi.
»Natürlich ... Am 113. Tag des 116. Jahres wurde Ande Pu auf Anweisung des Chefredakteurs Rogro Schill bei der Zeitung Königliche Stimme als Reporter eingestellt. Das ist das Neueste über ihn, und ich habe für diese Anstellung gesorgt. Nochmals vielen Dank, Sir Lukfi. Besuchen Sie mich doch am Abend mal auf eine Tasse Kamra. Wenn man Sie nicht ausdrücklich einlädt, kommen Sie ja nie vorbei.«
»Vielen Dank, Sir Max«, sagte Lukfi lächelnd. »Aber Sie könnten auch mal bei mir und meiner Frau Warischa vorbeisehen. Es heißt, ihr Wirtshaus Der dicke Mann in der Kurve sei eins der besten in Echo. Ich würde die Küche meiner Frau nicht loben, wenn ich nicht von ihrer Kochkunst überzeugt wäre.«
»Das weiß ich doch, Sir Lukfi. Und ich hätte Sie längst besuchen sollen. Wie unhöflich von mir. Übrigens sind wir inzwischen Nachbarn. Ich wohne jetzt nämlich auch in der Neustadt. Wenn ich aus dem Wald von Mahagon zurück bin, besuche ich Sie sicher bald.«
»Machen Sie dort Urlaub?«, fragte Lukfi höflich.
»Ja, aber ich gehe dort auch auf die Jagd - in Begleitung von Lady Melamori und von zwölf Männern unserer Stadtpolizei.«
»Sie haben wirklich ein interessantes Leben!«, rief er.
Mit diesen netten Floskeln verabschiedeten wir uns.
Kurz darauf ging ich mit Sir Juffin essen und erzählte ihm etwa eine Stunde lang von Ande Pu. Mein Chef mochte die Geschichte, ohne dass mir klar geworden wäre, ob er eher an meinem Erzählen oder an Andes Biografie Gefallen fand.
Dann ging Juffin heim, und ich kehrte ins Haus an der Brücke zurück. Im Büro stieß ich auf Lonely-Lokley. Er ging unruhig auf und ab. Seine Miene war ungerührt wie immer, seine Hände steckten in großen Handschuhen, und sein schneeweißer Lochimantel schleifte über den Boden.
Das war ein hübscher Anblick, und ich schüttelte bewundernd den Kopf.
»Wo warst du, Schürf? Ich hab dich seit Tagen nicht gesehen.«
»Wo werde ich wohl gewesen sein?«, fragte Lonely-Lokley achselzuckend. »Ich hab im Büro gesessen und gearbeitet. Du bist es doch, der durch die ganze Stadt tigert. Mir ist sogar zu Ohren gekommen, dass du General Bubuta besucht hast. Willst du etwa auch in den Wald von Mahagon fahren?«
»Ja, das weißt du doch.«
»Aber ich weiß nicht, was du tun wirst, wenn plötzlich der tote Dschifa auftaucht. Willst du ihn anspucken? Ich an deiner Stelle wäre damit vorsichtig, denn das wirkt nur bei Lebenden. Hast du eine Idee, wie du ihn besiegen kannst?«
»Nein. Eigentlich wollte ich, dass du mit der Polizei losziehst, aber Hauptmann Schichola meinte, er würde sich sicherer fühlen, wenn ich seine Truppe begleitete. Und auch Juffin hatte keine Einwände gegen meinen Einsatz.«
»Kunststück! Er will schließlich, dass du etwas Neues lernst. Aber ich hab da so eine Vorahnung. Deshalb wollte ich dich unbedingt noch vor deiner Abreise sprechen. Komm mit in mein Büro. Dort zeig ich dir einen Trick. Vielleicht lernst du ihn ja schnell - bei dir weiß man nie.«
»Gerne. Ich liebe Zaubertricks.«
Schürf schüttelte den Kopf und murmelte etwas in sich hinein. Dann gingen wir in sein Büro.
Das Arbeitszimmer von Sir Schürf ist ziemlich seltsam. Es ist groß und fast leer. Nur hinten in der Ecke stehen sein Schreibtisch und ein ungewöhnlich unbequemer Stuhl.
»Setz dich«, sagte Schürf und zeigte auf den Boden.
Lonely-Lokley zog die mir gut bekannte löchrige Tasse aus der Manteltasche und holte eine kleine Keramikflasche aus dem Schreibtisch. Dann überlegte er kurz und gab mir die Tasse.
»Halt mal, Max. In Kettari hast du aus dieser Tasse trinken können. Also klappt es hier auch.«
Gehorsam nahm ich die Tasse, und Schürf schenkte mir ein wenig dunkle Flüssigkeit ein. Aus den Löchern floss kein einziger Tropfen. Das brachte mich erneut zum Staunen.
»Das ist ganz normaler Wein, Max, aber ich hoffe, sein hohes Alter und meine löchrige Tasse zusammen bewirken das richtige Resultat. Obwohl man bei dir ja nichts mit Sicherheit sagen kann. Jetzt trink, aber rasch.«
Ich tat, wie mir geheißen. Der Wein schmeckte seltsam - er war etwas zu stark und etwas zu trocken. Na ja, an mir ist eben kein Weinkenner verloren gegangen.
Lonely-Lokley zog erst seine überdimensionierten Handschuhschoner, dann die berühmt-berüchtigten todbringenden Handschuhe aus, ging zum Schreibtisch, tat beide Paare in eine Schachtel und wandte sich wieder an mich.
»Siehst du die?«, fragte er und hielt mir seine zum Schnippen bereite Linke unter die Nase. »Jetzt mach einfach so!«, fuhr er fort und schnippte kaum merklich, aber laut. Ein kleiner Kugelblitz erschien auf seiner Handfläche, rollte durchs Zimmer und zersprang an der Wand in tausend Funken.
»Jetzt du!«, befahl er. »Denk nicht darüber nach, wie ich das geschafft haben mag, sondern tu es einfach!«
Der alte Wein aus der löcherigen Tasse machte ein Wunderkind aus mir, und ich konnte es Lonely-Lokley schon beim ersten Versuch nachtun. Mein Kugelblitz war allerdings grün und nicht blau wie der von Sir Schürf.
»So was sehe ich zum ersten Mal«, sagte er und schien fast erstaunt. »Das klappt schon ganz gut. Dein tödlicher Kugelblitz allerdings sieht etwas anders aus als meiner.«
»Du weißt doch, dass bei mir nicht alles ist wie bei anderen. Kann dieser Blitz eigentlich töten?«
»Und ob! Ich hoffe, davon überzeugst du dich bald selbst. Der tote Dschifa war eigentlich kein Magister, sondern nur ein mittelmäßiger Zauberer, und ich denke, du kannst ihn überlisten. Wenn du zurückkommst, erzähl mir bitte genau, wie der Blitz bei dir funktioniert hat. Ich hab den Eindruck, im Zaubern bist du ein Naturtalent. Gut, Max - ab und zu habe ich seltsame Vorahnungen, aber das bedeutet nicht immer etwas Böses. Doch geh bitte kein Risiko ein.«
»Einverstanden«, sagte ich nickend. Offen gesagt machten mir Schurfs Worte etwas Angst. »Juffin hat aber keine schlechten Vorahnungen, oder?«
»Wenn ja, würde er dich sicher nicht fahren lassen.«
Ich kehrte in mein Büro zurück und setzte mich gemütlich in meinen Sessel. Ich hatte keine Lust, über die Vorahnungen von Sir Schürf nachzudenken. Dafür hatte ich Appetit auf Kamra.
Als ich mir gerade die zweite Tasse eingeschenkt hatte, stand ein Bote in der Tür. Er war erschrocken, wie es alle Boten sind, die mit mir zu tun haben.
»Sir Max, ein seltsamer Mensch möchte mit Ihnen reden. Er steht vor dem Gebäude und will partout nicht reinkommen. Was soll ich tun?«
»Handelt es sich um einen rundlichen Herrn in dickem Lochimantel?«
»Ja, Sir.«
Der arme Bote hielt mich nun sicher für einen Hellseher.