»Max, frag sie nach ihrem Anführer«, sagte Melamori und brachte mich damit wieder auf den Teppich. »Diese Leute haben keine Spur und keine Ahnung. Ich hab hier die Spur von jemand anderem gefunden und glaube, es wird nicht so leicht, ihn zu besiegen. Ich hab ihn gerufen, aber er kommt nicht, und ich weiß nicht, warum.«
»Du hast Recht, Melamori. Du bist sehr klug.« Dann wandte ich mich den Toten zu. »Wo ist Dschifa?«
»Unten«, sagten sie. »Man hat ihn gerufen, aber er will nicht kommen. Er hat uns geschickt, damit wir Ordnung machen.«
Die ganze Zeit erschienen neue Tote, denn ich schickte Kugelblitz für Kugelblitz in die Höhle. Die Ankömmlinge waren wirklich bewundernswert flink.
»Max«, hörte ich Melamori wieder. »Der Chef der Bande kommt gleich. Das höre ich. Er ist viel stärker als alle anderen. Sei bitte vorsichtig!«
»Keine Sorge, ich bin stets auf der Hut«, gab ich zurück.
»Was? Wollen Sie behaupten, dass Sie immer Obacht geben?«, hörte ich Leutnant Kamschi hinter mir fragen. Dann kicherte er nervös.
Mit großen, funkelnden Augen verfolgte er jede meiner Bewegungen.
»Meine Adler«, wandte ich mich an meine toten Beschützer. »Ihr müsst Dschifa unbedingt von mir fernhalten.«
»Wir stehen Euch zu Diensten, Herr«, hörte ich die Soldaten meines Totenheers enthusiastisch rufen.
Ich seufzte. Offenbar war ich doch bei einem Picknick gelandet. Es geht eben nichts über nette Gesellschaft.
»Es sind wieder neue Leute gekommen, aber Dschifa ist noch immer nicht darunter«, hörte ich die Toten fleißig rufen.
Ich schnippte erneut mit den Fingern, und meine Armee wuchs wiederum. Wenn die Armen gewusst hätten, wie stockübel mir bei ihrem Geflüster wurde!
Ein paar Minuten vergingen. Schließlich spürte ich, dass sich wieder etwas änderte. Traurige Erleichterung machte sich in mir breit. Endlich würde etwas Neues passieren.
»Steht ihr auf meiner Seite, Engel des Hades?«, fragte ich die Toten.
»Wir stehen Euch zu Diensten, Herr!«, bekräftigten sie.
»Fangt Dschifa und bringt ihn her. Ich muss ihn sehen. Und vergesst bitte nicht, dass ihr nun auf mich hört, nicht mehr auf ihn.«
»Alles klar, Herr.«
Ich hörte Kampfgeräusche, stumpfe Schläge und ab und an Schimpfworte. Plötzlich tauchte ein prächtiges Gesicht zu meinen Füßen auf. Vor langer Zeit musste dieser Mensch ein Adonis gewesen sein, doch weder die Jahrhunderte noch die tiefen Falten oder die auffällige Narbe hatten seine Schönheit ganz vernichten können. So einen Mann wollte man eher fotografieren als gefangen nehmen. Seine hübschen blonden Locken wehten im Wind, und seine blauen Augen musterten mich verwegen.
All seine ehemaligen toten Freunde hatten ihn nun im Griff, aber ich war mir nicht sicher, wie viel Kraft sie noch hatten. Schnell schnippte ich mit den Fingern meiner Linken, und ein Kugelblitz traf Dschifa an der Nasenwurzel, dort also, wo seine Narbe ansetzte. Doch mein Blitz zerstob in tausend Funken, und Dschifa blieb völlig unbehelligt. Ich wollte keine Zeit mit Staunen verlieren und spuckte ihm sofort ins Gesicht. Wiederum passierte nichts - als wäre mein Todesmantel nur ein Theaterkostüm. Hätte ich früher keine Erfolge gehabt, hätte ich mich jetzt komplett unfähig gefühlt.
Der Rothaarige lächelte böse.
»Du bist ein lausiger Magier, Fremdling«, sagte er mit unerwartet heller, fast jungenhafter Stimme. »Vielleicht bist du etwas besser als ich, aber mich schützt der Zauberspruch eines großen Meisters.«
»Er hat Recht«, sagte Melamori. »Er kann selber nicht zaubern, genießt aber den Schutz einer sehr angesehenen Persönlichkeit. Ihm kann nichts etwas anhaben, und ich weiß jetzt, warum es so schwer war, auf seine Spur zu treten.«
»Was soll man in so einem Fall tun, Unvergessliche?«, fragte ich erschöpft. »Soll ich meine toten Untertanen bitten, ihn weiter festzuhalten, und zu Juffin rasen? Immerhin wäre ich mit dem A-Mobil rasch wieder da. Oder hast du einen anderen Vorschlag?«
»Natürlich«, sagte Melamori. »Deine treuen Knechte sollten sich mit unseren Polizisten zusammentun und Dschifa fesseln. Gegen ein solides Seil hilft kein magischer Schutz. So bringen wir ihn nach Echo, wo Juffin sich um ihn kümmern kann.«
»Meine Herren«, wandte ich mich an die Polizisten, »wir brauchen ein solides Seil. Habt ihr so was dabei?«
»Wir haben Gurte«, sagte Hauptmann Schichola und zog seinen Waffengurt ab. »Macht es wie ich, Leute«, befahl er dann. »Wir wickeln Dschifa wie ein Baby.«
»Braucht ihr Hilfe?«, fragte ich meine toten Verehrer.
»Ja, Herr«, sagten sie traurig. »Dringend. Wir können Dschifa zwar halten, aber Eure Leute müssen ihn fesseln. Wir sind dazu zu schwach.«
»Ihr seid tote Puppen«, kommentierte Dschifa verächtlich und schaute mich eher leidend als grausam an. »Fremdling, nimm nie Tote als Freunde. Schlechten Zauberern wie uns beiden nutzen sie gar nichts.«
Ich wandte den Blick von Dschifa ab und fragte die Polizisten: »Was stiert ihr so? Meine Jungs brauchen Hilfe. Habt ihr nicht gehört? Das ist keine leichte Zusammenarbeit, ich weiß, aber wenn sich ihr Oberhaupt befreit, wird es noch schwieriger. Du brauchst das Gesicht nicht zu verziehen, Melamori, du hast deinen Anteil geleistet. Aber der Rest soll jetzt bitte endlich loslegen.«
»Vielen Dank, Max«, lächelte Melamori bitter. »Nett von dir. Und schön, wie souverän du hier die Kommandos gibst. Leider sind deine bleichen Schönlinge nicht zum Ansehen.«
Die Polizisten teilten offenbar diese Meinung, denn sie wollten nicht in die Senke springen.
»Habt ihr euch überanstrengt?«, fragte jemand.
Sündige Magister, das war ja mein Chronist. Den hatte ich total vergessen. Inzwischen stand er ganz vorne.
»Max, ich helfe unseren tollen Polizisten. Ich bin noch nicht müde.«
»Mach das, aber rasch.« Ich hatte weder Zeit noch Kraft, Ande zu sagen, wie tapfer er war, hoffte aber, es stünde in meinem Gesicht geschrieben.
Der rundliche Journalist sammelte die Gurte der Polizisten ein und sprang dann unerwartet Grazie in die Senke. Nach ein paar Sekunden kommandierte er meine toten Helfer schon tapfer. Dschifa knirschte mit den Zähnen und schimpfte so großartig, dass ich vor Neid grün wurde. Dann wandte ich mich erwartungsvoll an die Polizisten. Leutnant Kamschi nahm auch ein paar Gurte und sprang zu Ande Pu hinunter. Schichola folgte seinem Beispiel, und dann schlossen sich auch ein paar andere an.
»Vergesst nicht, ihn zu knebeln. Diese Schimpfworte solltet ihr besser nicht hören.«
Keine fünf Minuten später war Dschifa geknebelt und in einen echten Lederkokon verpackt. Den Magistern sei Dank: Nun war er endlich still. Mit vereinten Kräften zogen die Polizisten und meine toten Helfer den Räuberhauptmann aus der Senke und legten ihn zu meinen Füßen. Die Toten tummelten sich in meiner Nähe, und Ande Pu, der so stolz wirkte wie ein Denkmal Gurigs VII., musterte sie aus den Augenwinkeln.
»Dein Piratenopa wäre jetzt stolz auf dich, mein Freund«, sagte ich zu ihm und wandte mich an die Polizisten, die sich die Hände im Gras säuberten. »Das war's schon, Leute. Wir haben alle Füchse aus Mahagon gefangen. Ihr könnt mit ihnen machen, was ihr wollt. Ich hab keine Kraft mehr.«
Genüsslich warf ich mich ins Gras, schaute in den hellen Morgenhimmel und sah einen einzelnen Vogel über den Baumkronen fliegen. Ich hatte den Eindruck, ihn so sehr zu lieben wie noch niemanden auf der Welt.
Plötzlich vernahm ich Geräusche. Ich wandte den Kopf, um zu sehen, was los war, hatte aber nur bunte Flecke vor den Augen. Ringsum standen Polizisten und klatschten, wie man einen Piloten nach gefährlichem Manöver bejubelt.
»Ja«, flüsterte ich. »Stimmt. Ich bin ein tapferer Kerl. Und ich hatte irgendwo eine Flasche Kachar-Balsam. Weiß jemand, wo sie ist?«
»In deiner Manteltasche, Max«, sagte Melamori. »Brauchst du eine Stärkung?«
»Ja«, meinte ich, zog die Flasche heraus und nahm einen großen Schluck. Weil mir das zu wenig war, nahm ich noch einen. Die bunten Flecke vor den Augen verschwanden langsam, und die Welt ringsum sah wieder aus wie sonst.