»Vielen Dank, Sir Max«, sagte Leutnant Kamschi. »Gut, dass Sie diesen peinlichen Auftritt beendet haben.«
»Das musste ich doch. Ihr seid so tapfere Kerle, und der da ... Wenn noch mal so was passiert, sagt mir bitte Bescheid. Ich werde dann mit ihm unter vier Augen sprechen.«
••Ich freue mich, dich zu sehen, Max.«
Eine hoch gewachsene, schneeweiße Silhouette erschien am Ende des Flurs: Sir Schürf persönlich! Erfreut drehte ich mich zu ihm um.
»Ich habe dir Gäste mitgebracht, mein Freund«, sagte ich und wies schuldbewusst auf all die putzmunteren Toten.
»Können wir jetzt gehen?«, fragte Kamschi.
»Natürlich. Vielen Dank für das nette Abenteuer. Ich werde Sie auf dem Laufenden halten.«
»Aber Sie werden nicht viel ausrichten können«, meinte Kamschi. »Diese Sache hat etwas mit einem der alten Orden zu tun, wenn ich die Lage richtig einschätze.«
»Kommt Zeit, kommt Rat«, meinte ich. »Wir stellen beim Kleinen Geheimen Suchtrupp leider immer wieder fest, dass fast alles mit allem verbunden ist.«
Die Polizisten verschwanden. Schürf und ich blieben allein zurück - wenn man die Toten nicht mitzählte.
»Anscheinend funktionieren meine grünen Kugelblitze. Gefällt dir, was ich damit bewirkt habe? Mir nicht gerade«, meinte ich und sah Lonely-Lokley finster an. »Sei ein guter Freund, Schürf, und hilf mir.«
»Das sieht sehr interessant aus.«
Er musterte die toten Räuber, die ihrerseits mich anstierten. Er ging sogar ein paar Schritte auf sie zu und kehrte dann zu mir zurück.
»Max, deine tödlichen Kugelblitze sind in Ordnung. Sie sind genauso gefährlich wie meine, aber ... Weißt du, alles hängt von deinen Wünschen ab. An denen musst du noch arbeiten. Du hättest die Räuber leicht umbringen können, wenn du gewollt hättest.«
»Ich soll das nicht gewollt haben? Hältst du mich für ein Weichei? Ich hab einfach nicht darüber nachgedacht. Mir ging es nur darum, am Leben zu bleiben.«
»Das glaub ich dir gern. Weißt du, Max, du bist noch immer der Überzeugung, dass es nicht gut ist, Menschen umzubringen. Das ist für dich eine Art Verbrechen. Darum hast du die Räuber im tiefsten Innern deiner Seele nicht umbringen wollen, sondern dir gewünscht, sie sollen harmlos werden und dir nützlich sein. Und genau das ist geschehen. Du bist wirklich ein praktisch veranlagter Mensch.«
»Da hast du vermutlich Recht. Was soll ich jetzt tun? Auf die Straße gehen und ein paar Passanten umbringen, um mich daran zu gewöhnen?«
»Du wirst dich langsam daran gewöhnen müssen. Mit solchen Sachen sollte man sich aber nicht beeilen. Bist du eigentlich nicht auf die Idee gekommen, dass du all diese hübschen Räuber gar nicht hättest mitbringen müssen?«
»Was hätte ich sonst tun sollen? Ihnen befehlen, im Wald spazieren zu gehen?«
»Hast du immer noch nicht kapiert? Sie befolgen all deine Befehle, Max!«
»Und?«
»Du hättest ihnen einfach befehlen können, im Wald zu sterben. Dadurch hättest du dir und uns die Räuberparade durch Echo erspart. An diesen Umzug werden sich die Bewohner der Stadt noch lange erinnern. Ich verstehe bloß nicht, warum Sir Juffin deine Entscheidung gebilligt hat. Vielleicht sollte das ja ein schrecklicher Witz sein. So was würde zu ihm passen.«
»Moment mal«, sagte ich verwirrt. »Du meinst also,
wenn ich ihnen sage, dass sie sterben sollen, tun sie es auch?«
»Natürlich«, sagte Lonely-Lokley kaltblütig und zuckte die Achseln. »Und je schneller du es tust, desto besser für dich. Ich glaube, es ist nicht richtig, dass diese Toten sich im Flur des Hauses an der Brücke drängeln. Es ist geradezu unmoralisch.«
»Unmoralisch?«, wiederholte ich gereizt. »Du haust ja ganz schön auf die Pauke.«
»Na los, Max«, sagte Lonely-Lokley beharrlich. »Gib deinem Herzen einen Stoß. Es gibt Dinge, die man hinter sich bringen muss.«
»Gut«, sagte ich und wandte mich an die Toten. »Ich befehle euch, euch hinzulegen, zu sterben und zu Staub zu zerfallen. Wiederauferstehung ist strengstens verboten.«
Ich war sicher, dass mein Befehl ohne Reaktion verpuffen würde, doch die Toten legten sich tatsächlich hin und waren Minuten später nur noch Staub. Im Flur war es schmutzig wie nie. Der Boden war von einer dicken Staubschicht bedeckt. Das sah alles andere als gut aus.
I Ich hatte das dringende Bedürfnis, die Linke von Lonely-Lokley zu nehmen. Zum Glück trug er gerade Handschuhe. Das Berühren seiner Hände kommt an sich einem Selbstmord gleich. Auf diesen blöden Gedanken hatte wieder nur ich kommen können.
»Sie sind weg«, sagte ich und kicherte nervös.
»Natürlich. Du hast es ihnen ja befohlen. Hattest du wirklich Zweifel daran, dass es so kommen würde?«
»Zweifel? Ich war sicher, dass ich es nicht schaffe.«
»Seltsam. Hab ich dich je belogen?«
»Nein, aber ... Weißt du, Schürf, was gerade geschehen ist, stimmt einfach nicht mit den Vorstellungen überein, die ich von meinen Fähigkeiten habe.«
»Das ist Unsinn. Wer schätzt seine Fähigkeiten schon richtig ein? Allenfalls Magier, vor allem die großen. Keine Sorge, du schaffst noch ganz andere Dinge.«
»Da wir gerade über meine Fähigkeiten reden: Ich bin heute Morgen aus Versehen auf die Spur von Lady Melamori getreten, und ihr ging es daraufhin schlecht. Dabei hatte ich gar nicht vor, ihr zu nahe zu kommen.«
»Lass uns in mein Büro gehen, Max«, schlug Lonely-Lokley vor. »Es wäre wohl besser, sich dort zu unterhalten und nicht im Korridor. Außerdem kommen gleich Leute zum Saubermachen.«
»Vielleicht können wir zu mir gehen. Das ist näher.«
»Lieber nicht. Weißt du, Sir Juffin betrachtet dein Büro als sein eigenes. Ich würde mich nicht wundern, wenn er dort gerade sitzt.«
Lonely-Lokley schloss die Tür hinter sich und setzte sich auf seinen unbequemen Bürostuhl. Ich hockte mich auf den Boden und lehnte mich an den Tisch.
»Du siehst müde aus, Max. Wie viele tödliche Kugelblitze hast du eigentlich fabrizieren müssen?«
»Mehr als dreißig bestimmt. Ich hab nicht mitgezählt.«
Lonely-Lokley musterte mich.
»Nicht schlecht. Viel mehr als ich dachte. Wie kannst du da überhaupt noch auf den Beinen stehen?«
Ich winkte müde ab.
»Meine Genialität raubt mir den letzten Nerv, Schürf. Ich sehne mich danach, ein paar Tage auszuspannen.«
»Geht's dir nicht gut?«, fragte Lonely-Lokley mitfühlend. »Das ist sicher nichts Ernstes. Das liegt nur daran, dass du dich so angestrengt hast. Morgen geht's dir sicher schon besser, und übermorgen wirst du dich nicht mehr daran erinnern. Glaub mir, du kannst demnächst deine Macht genießen. Aber jetzt erzähl mal, wie du Lady Melamori auf die Spur getreten bist. Hat es sofort geklappt? Hat Sir Juffin es sich anders überlegt und dir einiges beigebracht?«
»Das ist es ja! Gar nichts hat er mir gezeigt!«, rief ich und erzählte Schürf in aller Kürze von meinem unbeabsichtigten Fehltritt.
»Klingt ziemlich ernst«, meinte Lonely-Lokley besorgt. »Bei so ungeheuren Fähigkeiten muss man lernen, sich zu beherrschen. Sonst wird man gemeingefährlich.«
»Was soll ich tun?«, fragte ich zum x-ten Male traurig.
»Was du tun sollst? Zum Beispiel die Atemübungen machen, die ich dir gezeigt habe - allerdings öfter.«
»Das war's schon?«, fragte ich verwirrt.
»Für den Anfang wäre es jedenfalls nicht schlecht. Du denkst doch alle paar Tage an deine Übungen, oder?«
»Na ja, ich denke manchmal öfter, manchmal weniger oft daran«, meinte ich und zuckte schuldbewusst die Achseln.
»Du musst dich zusammenreißen«, sagte Schürf streng. »Es gibt nichts Schlimmeres als Leute, die Macht haben, aber keine Selbstdisziplin. Entschuldige, aber jemand muss dir mitunter eine langweilige Predigt halten. Du musst an dir arbeiten.«
»Du hast ja Recht, Schürf«, seufzte ich. »Es wäre gut, wenn du mir das mehrmals täglich sagtest. Ich glaube, nur so kann man erfolgreich mit mir Zusammenarbeiten.«