»Ach«, meinte Melamori und lächelte tückisch. »Sieht das wirklich genauso aus? Das ist ja schrecklich!«
»Gut, macht ihr nur weiter eure Späßchen«, meinte ich. »Ich nehme derweil die Verfolgung auf. Melamori, kannst du mir bitte die Spur zeigen? Vielleicht gelingt es mir ja wieder, jemanden zu schnappen.«
»Welche Spur soll ich dir denn zeigen? Außer der von Dschifa gibt es noch zwei andere.«
»Was? Noch zwei? Na gut, zeig sie mir.«
»Dann komm. Warum trägst du eigentlich noch Schuhe? Ach so, du hast ja eine andere Technik als ich.«
Ich ging zu Melamori, blieb kurz neben ihr stehen und konzentrierte mich auf meine Eindrücke, doch das half nichts.
»Machst du dich über mich lustig?«, fragte ich gereizt.
Melamori schüttelte erstaunt den Kopf. Dann merkte ich, dass ich nicht eine, sondern zwei Spuren fand. Mein linker Fuß stand auf der einen, mein rechter auf der anderen. Was ich nun spürte, ähnelte meiner Vorstellung von Identitätsspaltung. Ich wollte die linke Spur verfolgen, da mich die rechte nicht so anzog und mein Gefühl selten trügt.
»Ich hab sie«, rief ich mit kehliger Stimme, »und zwar beide. Ich glaube, die rechte Spur ist gefährlich und die linke harmlos. Uns interessiert vor allem die gefährliche Spur, fürchte ich.«
»Sie ähneln sich sehr«, stellte Melamori irritiert fest. »Aber ich weiß nicht, warum.«
Sir Juffin schob mich ein wenig beiseite.
»Ihr habt beide Recht«, sagte er und schüttelte nachdenklich den Kopf. »Die Spuren ähneln einander, aber die rechte ist wirklich gefährlicher. Gut, dass ihr zu zweit seid. Max, du übernimmst die linke Spur, und Sie, Lady, nehmen sich die rechte vor. Es sieht so aus, als hätten sich Dschifa und der, der ihn wieder zum Leben erweckt hat, im A-Mobil davongemacht. Kein Wunder - warum sollten sie den weiten Weg auch zu Fuß zurücklegen? Gut, verfolgt sie. Mögen die Dunklen Magister euch beistehen!«
»Komm, Max, gehen wir«, sagte Melamori. »Wir haben schon Zeit genug verloren.«
»Du musstest dich schließlich erholen, Melamori«, meinte Juffin. »Außerdem lass ich mich von Verbrechern nicht hetzen!«
Während die beiden sich noch unterhielten, war ich schon wieder auf der Straße. Mein A-Mobil stand um die Ecke, doch ich hatte größte Lust, mich genau an dieser Stelle ans Steuer zu setzen. Mein Wunsch war so einfach, stark und klar, dass ich mich ihm nicht zu entziehen vermochte.
»Juffin, könnten Sie meinen Wagen herfahren?«, fragte ich per Stummer Rede. »Es hört sich vielleicht verrückt an, aber es geht nicht anders.«
»Aha. Dann sind die beiden offenbar da gestartet, wo du stehst. Du wirst wirklich keine Probleme mit dieser schrecklichen Spur haben. Erstaunlich, wie fest du an ihr hängst.«
Als ich mich umdrehte, stellte ich fest, dass der Wagen bereits neben mir stand. Ich riss die Tür auf, und Juffin schaffte es gerade noch, auf den Beifahrersitz rüberzurücken.
»Mein Leben lang hab ich davon geträumt, jemanden wie dich auf dem Schoß zu haben«, seufzte er gereizt. »Du brennst ja geradezu vor Leidenschaft für diese Karre.«
»Um die Karre geht es nicht. Wissen Sie, Juffin, ich glaube, der Mann, dessen Spur ich verfolge, hat auch am Steuer gesessen. Anders kann ich Ihnen das nicht erklären.«
»Warum solltest du mir etwas erklären? Meinst du, ich wüsste nicht, worum es geht?«, fragte mein Chef achselzuckend.
Dann sprang er auf die Straße, und Melamori setzte sich auf die Rückbank. Ich drehte mich überrascht um und wollte sie schon fragen, warum sie sich nicht neben mich setzte, doch dann begriff ich: Die Person, deren Verfolgung sie aufgenommen hatte, hatte offenbar im Fond des Wagens gesessen. Melamori verstand meinen fragenden Blick und nickte schweigend.
»Wenn Dschifa und sein Magister wirklich in den Wald von Mahagon gefahren sind, braucht ihr einen Ortskundigen«, bemerkte Juffin. »Ich melde mich am besten per Stummer Rede beim dortigen Förster. Sir Zwachta Tschijam ist ein toller Hecht und kennt den Wald wie seine Westentasche. Dschifas Höhle kennt er auch, da er sie nach Beendigung der königlichen Jagd auf eigene Faust jahrelang untersucht hat. Ich glaube, er hat dort sogar allerlei für seinen Haushalt mitgehen lassen, aber dagegen habe ich nichts.«
»Warum halten Sie die beiden Männer für so dumm?«, fragte Melamori. »An ihrer Stelle würde ich aus Uguland fliehen und versuchen, das Vereinigte Königreich zu verlassen.«
»Dschifa kann Uguland nicht verlassen, weil sein Zauber nur hier wirkt. Alles hängt davon ab, wie wichtig dem Meister, der ihn von den Toten auferweckt hat, sein Leben ist. Gut, jetzt fahrt endlich los und meldet euch demnächst per Stummer Rede bei mir.«
»Wollen Sie nicht mitkommen?«, fragte ich erstaunt.
»Das würde ich gern, doch solche Einsätze sollten die beenden, die sie begonnen haben, ohne dass Außenstehende sich einmischen.«
Ich fuhr noch schneller als letztes Mal, hatte aber kein Vergnügen daran, sondern verspürte nur den Wunsch, den zu erwischen, auf dessen Spur ich getreten war. Alles andere spielte keine Rolle. Das Tempo berauschte mich nicht, und den herrlichen Duft der blühenden Bäume bemerkte ich nicht einmal. Auch die Gesellschaft von Lady Melamori besserte meine Laune nicht. Sie saß auf der Rückbank und war so schweigsam und konzentriert wie ich.
Nach einer Stunde spürte ich eine enorme Erleichterung. Unerwartet bremste ich und sah auf die leere Straße vor mir.
»Was ist los, Max?«, fragte Melamori ungeduldig.
»Keine Ahnung. Ich hab einfach das Gefühl, wir sind da. Wo sind die beiden bloß?«
»Jetzt verstehe ich: Der Mann, dessen Spur du folgst, muss eben gestorben sein. Na ja, er hat lange durchgehalten.«
»Ist er wirklich tot?«, fragte ich ungläubig.
»Ich hab dir doch gesagt, dass einem das Herz stehen bleibt, wenn du ihm auf die Spur trittst. Das war absolut wörtlich gemeint. Gut, lass uns die Plätze tauschen. Der Mann, den ich verfolge, ist nämlich noch am Leben«, sagte Lady Melamori und setzte sich ans Steuer.
Sie hatte wirklich gute Aussichten, unsere Tempowette zu gewinnen, denn sie legte mit fünfzig Meilen pro Stunde los. Das ist zwar nicht allzu schnell, aber das Doppelte dessen, was in Echo erlaubt ist.
»Für den Anfang nicht schlecht, oder?«, fragte sie etwas unsicher. »Ich fahre jedenfalls flotter als üblich, oder?«
»Stimmt. Nun brauchst du nur noch etwas mehr Fahrpraxis.«
»Zu rasen ist noch schöner als das Ende einer Spur zu erreichen!«, rief Melamori. »Es ist wirklich unbeschreiblich.«
Sie schwieg und konzentrierte sich auf die Fahrt. Ich setzte mich bequem hin, zündete mir eine Zigarette an und sah aus dem Fenster. Dann meldete ich mich per Stummer Rede bei Juffin.
»Der Mann, dessen Spur ich folge, hat den Löffel abgegeben. Jetzt ruhen alle Hoffnungen auf Lady Melamori.«
»Bei euch geht's ja abenteuerlich zu«, meinte mein Chef. »Alle Achtung! Wenn ihr dahin kommt, wo die zwei ausgestiegen sind, wechsle bitte auf die Spur, die Melamori verfolgt. Dann bleibt demnächst auch Dschifa das Herz stehen, und ihr habt beide unschädlich gemacht.«
»Gut. Hoffentlich gelingt uns das.«
»Ach, übrigens - Zwachta Tschijam erwartet euch dort, wo die Straße in den Wald von Mahagon führt. Die Spur weist doch in diese Richtung, oder?«
»Melamori, fahren wir zum Wald von Mahagon?«, fragte ich.
»Was? Ach so, ja, ja. Sieht ganz so aus.«
»Sie haben es erraten«, sagte ich zu Juffin.
»Na prima. Läuft doch alles wie geschmiert. Also machen wir Schluss. Oder hast du noch eine Frage?«
»Nein«, sagte ich, doch dann fiel mir etwas ein. »Wem gehört eigentlich das Haus gegenüber dem Alten Dorn.«
»Unser Großes Archiv besitzt darüber leider keine allzu aussagekräftigen Informationen. Es gehört der Familie Chita, aber seit einem Jahr ist es an eine Lady namens Brisa Chlon vermietet, die dort allerdings laut Aussage ihrer Nachbarn nie aufgetaucht ist. Es fragt sich also, wer diese Frau ist. In Echo jedenfalls gibt es niemanden mit diesem Namen. Ich habe Melifaro beauftragt, möglichst viel über sie in Erfahrung zu bringen. Aber jetzt Ende.«