»Ende und over«, sagte ich seufzend.
Lady Brisa Chlon, dachte ich. Dieser Name missfiel mir von Anfang an.
Nach einer Stunde tauchte am Straßenrand eine hoch gewachsene Gestalt im dunkelroten Lochimantel auf.
»Sir Zwachta Tschijam, wie ich vermute«, sagte ich zu Lady Melamori. »Wir sollten besser anhalten.«
»Willst du mir den Spaß rauben?«, brummte sie. »Na gut.«
»Steigen Sie bitte ein, aber schnell!«
Das musste ich Sir Zwachta nicht zweimal sagen. Im nächsten Moment saß er neben Melamori auf dem Beifahrersitz, drehte sich um und musterte mich aus Eulenaugen.
»Sind Sie wirklich Zwachta Tschijam?«, fragte ich skeptisch.
Vielleicht war das bloß ein Pilz- oder Beerensammler? Das allerdings würde schlecht zu seinem Gesicht passen.
Er nickte wortlos und inspizierte mich weiter.
»Bist du dir unsicher?«, fragte Melamori. »Vielleicht solltest du dich nächstes Mal erkundigen, ehe du jemanden einsteigen lässt.«
Als unser Mitfahrer Melamoris Stimme hörte, drehte er sich zu ihr um. Jetzt musste sie seine wortlose Musterung über sich ergehen lassen.
»Sie kennen unsere Mission?«, fragte ich, um mit Sir Zwachta ein Gespräch zu beginnen.
Der Mann drehte sich wieder zu mir und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur, dass ich Ihnen die Höhlen der Füchse von Mahagon zeigen soll«, sagte er ruhig. »Und genau das werde ich tun.«
Er schwieg wieder und musterte das Innere meines Wagens. Zwachta Tschijam kannte anscheinend keine Benimmregeln oder kümmerte sich einfach nicht um sie.
Nach ein paar Minuten bog Melamori auf einen schmalen, fast unpassierbaren Weg ab. Wir fuhren noch einige Zeit zwischen dicht stehenden Büschen hindurch und krachten schließlich gegen ein stehen gelassenes A-Mobil, in dem offenbar die Männer gesessen hatten, die wir verfolgten. Der fremde Wagen war nur leicht gebaut und ging beim Aufprall kaputt. Uns hingegen passierte zum Glück nichts.
»Entschuldige, Max-, sagte Lady Melamori verlegen. »Ich hätte rechtzeitig bremsen sollen.«
»So was passiert mitunter«, sagte ich lächelnd. »Kein Grund zur Beunruhigung.«
Der Förster stieg aus, ging ein wenig hin und her und zuckte die Achseln. »Hier gibt es nirgendwo eine Höhle«, sagte er ruhig und setzte sich ins Gras.
»Hier nicht, aber wir werden sie schon finden«, versprach ihm Melamori.
Sie trat von einem Bein aufs andere und schien die Jagd unbedingt fortsetzen zu wollen.
»Juffin hat mich gebeten, auf die Spur zu wechseln, der du folgst. Vielleicht kann ich so auch den zweiten Mann erledigen.«
»Gut. Je schneller wir Dschifa finden, desto besser.«
»Suchen Sie etwa Dschifa Sawancha?«, fragte der Förster erstaunt. »Ich dachte, der ist tot.«
»Natürlich. Das ist ja das Problem«, brummte ich.
Sir Zwachta nickte so vehement, als hätte er plötzlich alles begriffen.
Ich sah zu Melamori. »Na, wo ist die kostbare Spur?«
»Na wo wohl? Unter meinen Füßen! Bist du sicher, Max, dass du sie übernehmen willst? Schließlich hat sie dir von Anfang an nicht gefallen.«
»Nicht gefallen? Ich habe eine ausgewachsene Abneigung gegen diese Spur! Aber Sir Juffin hat mich per Stummer Rede gebeten, ihr nun doch zu folgen.«
»Was ist das da eigentlich für eine Leiche?«, fragte der Förster desinteressiert.
»Wo?«, riefen Melamori und ich wie aus einem Munde.
»Na da«, sagte er und zeigte auf das kaputte A-Mobil.
»Das ist der Mann, den du verfolgt hast, Max. Also musst du ihn dir auch ansehen«, meinte Melamori erleichtert.
Ich stieg aus und ging zum Wagen, in dem ein Toter mittleren Alters saß. »Wer mag das sein, Melamori?«
»Keine Ahnung. Frag doch mal Sir Juffin. Aber eigentlich ist es nicht so wichtig.«
»Wieso nicht? Vielleicht gehört er einem gefährlichen Orden an, und wir müssen uns vorsehen.«
Per Stummer Rede beschrieb ich Juffin die Leiche.
»Hellblondes Haar?«, fragte mein Chef aufgeregt. »Hat er auch ein Muttermal auf der linken Wange?«
Ich sah nach und bestätigte es ihm.
»Du hast also Sir Atwa Kurajsa erwischt, den letzten jüngeren Magister des Ordens der Gitter und Spiegel. Übrigens hat Melifaro noch immer nichts über das merkwürdige gelbe Haus herausgefunden. Ihr seid deutlich effektiver als er.«
»Ich hätte nie gedacht, mal effektiver zu arbeiten als Melifaro.«
»Versuch bitte, auch den zweiten Mann zu erledigen.«
»Wer mag das sein? Haben Sie eine Ahnung?«
»Absolut nicht. In Echo leben so viele Leute, und ständig werden es mehr. Finde ihn einfach. Dann sehen wir ja, wer es ist. Den Förster Zwachta habt ihr getroffen, oder?«
»Ja«, seufzte ich. »Das ist vielleicht eine Marke!«
»Komm her, Max!«, rief Melamori. »Hier ist die Spur.«
Vorsichtig trat ich auf die Stelle, die Melamori nur ungern verlassen hatte.
»Und?«, fragte sie.
»Weißt du, bei mir kommt alles viel später an.«
Ich versuchte, mich auf meine Empfindungen zu konzentrieren. Wie üblich geschah alles ganz plötzlich. Zuerst spürte ich nichts, dann aber trugen mich meine Beine mitten in den Wald, wo es schon dämmrig war. Mein Herz warnte mich erneut, doch ich beschloss, nicht darauf zu hören. Ich lief wie mit Siebenmeilenstiefeln, doch Melamori und der Förster hielten Schritt.
Nach einigen Minuten endete die Verfolgung unvermittelt, und ich wusste wieder nicht, wohin ich mich wenden sollte. Also blieb ich stehen und machte dann halbherzig einen Schritt nach vorn. Kaum hatte ich den Fuß aufgesetzt, konnte ich mich nicht mehr rühren. Die kluge Melamori begriff sofort, was los war, und stieß mich in die Kniekehlen. Meine Füße lösten sich vom Boden, und ich fiel mit einem Seufzer der Erleichterung ins Gras. Ich war am Leben!
»Das hätte mir klar sein müssen«, sagte Melamori schuldbewusst. »Aber ich hab es zu spät durchschaut.«
»Was denn?«
»Dschifa hat den, der ihn von den Toten erweckt hat, huckepack genommen. Das hat ihm offenbar schwer zugesetzt.«
»Das ist gut«, sagte ich und stand auf. Nach der zweiten Landung taten mir allmählich die Knie weh.
»Um diese Jahreszeit wird es im Wald rasch dunkel«, sagte der Förster ungerührt. »Wir sollten uns deshalb beeilen.«
»Uns macht die Dunkelheit nichts aus, aber beeilen können wir uns natürlich«, meinte Melamori. »Wo ist die Spur jetzt?«
Finster musterte sie einen schmalen Waldweg und betrat ihn dann entschlossen. Der Förster und ich folgten ihr. Ich mochte meinen Augen kaum trauen: Noch am Morgen war Lady Melamori schwer ermüdet davon gewesen, am Vortag auf Dschifas Spur getreten zu sein - so ermüdet, dass es weh getan hatte, sie nur anzuschauen. Jetzt hingegen hielt sie sich unglaublich tapfer, und in ihrer Miene standen Ärger und Freude zugleich.
»Hast du dich an Dschifa gewöhnt?«, fragte ich.
»Ich weiß nicht, aber ärgerlich zu sein erleichtert mir die Verfolgung. Und ich finde, Dschifa ist schwächer geworden, deutlich schwächer. Melde dich vielleicht mal per Stummer Rede bei Juffin und erzähl ihm alles. Er sollte Bescheid wissen.«
»Das sollte er.«
Ich berichtete unserem Chef die Neuigkeiten.
»Ihr seid meine tapfersten Mitarbeiter«, meinte er. Juffin lobt seine Leute einfach gern. Ob tapfer oder nicht - seine Komplimente reichen für mindestens ein Jahrhundert. »Ich verstehe langsam, warum es Melamori so leichtfällt,
Dschifas Spur zu folgen«, fuhr er fort. »Weißt du, wann er umgebracht wurde?«
»Vor dreißig Jahren.«
»Nein, Max, ich meine die Tageszeit, zu der es ihn erwischt hat. Es war eine Stunde nach Sonnenuntergang -genau wie jetzt. Versucht, ihn so schnell wie möglich zu stellen, denn morgen früh hat er wieder frische Kraft.«
»Alles klar«, sagte ich und begann zu begreifen. »Hat der Todeszeitpunkt so eine große Bedeutung?«
»Natürlich. Wer von den Toten erweckt wird, schwächelt Tag für Tag zur Todesstunde und kommt danach wieder zu Kräften. Also los.«