»Wir sind fast da«, sagte Melamori und zog leicht an meinem Lochimantel. »Hier ist die Höhle, aber ich kann ihn nicht wie gestern rufen.«
»Wir stehen am Höhleneingang«, sagte ich zu Juffin.
»Keine Sorge. Jetzt, wo ihr Sir Zwachta dabeihabt, wird alles gutgehen. Achtet aber darauf, ihm auf Schritt und Tritt zu folgen. Und bedenkt, dass er kein guter Kämpfer ist.«
»Ich auch nicht. Und damit Ende.«
»Einen schönen Ausflug wünsche ich euch! Ende und over!«
Ich schüttelte den Kopf. Manche Sprüche meines Chefs sollte man unbedingt aufschreiben.
»Was hat er gesagt?«, fragte Melamori besorgt.
Sie hockte neben einem großen, moosbedeckten Stein, und Sir Zwachta musterte mit Kennerblick den Höhleneingang.
»Er meint, wir haben Glück. Dschifa ist gerade schwach, und wir sollen ihn sofort fangen. Morgen früh ist es wieder viel schwerer.«
»Also los«, sagte Melamori und wandte sich an den Förster. »Kennen Sie diesen Eingang?«
»Ich kenne alle Eingänge.«
»Gut. Melamori, du gehst als Erste, ich folge dir, und Sie, Sir Zwachta, passen auf, dass wir uns nicht verlaufen.«
Melamori ging forschen Schrittes in die Höhle, und ich blieb ihr auf den Fersen. Das schwere Atmen in meinem Rücken bewies mir, dass der Förster den Anschluss nicht verloren hatte.
Auf allen vieren zu kriechen stimuliert die Fantasie. Ich kam auf die Idee, mit Melamori in den Hades geraten zu sein. Die ihr hier eingeht, lasst alle Hoffnung fahren!, dachte ich und übertrug, was bei Dante über dem Eingang zur Hölle steht, kurzerhand in die griechische Unterwelt.
Verstohlen sah ich mich nach unserem Begleiter um. Seine Augen leuchteten im Dunkeln wie Kerzen, und sein Gesicht schien mir älter und größer als bei normaler Beleuchtung.
»Sie sehen aus wie Charon!«, rief ich begeistert.
Es war zwar dumm, Sir Zwachta mit mythologischen Gestalten zu kommen, die ihm ganz unbekannt waren, doch ich war von der Atmosphäre wie berauscht und konnte noch nicht ahnen, wie richtig ich lag.
»Warum nennen Sie mich so?«, fragte der Förster misstrauisch.
»Weil Sie uns in die Unterwelt führen.«
Was hätte ich sonst sagen sollen?
»Verstehe«, sagte der eigenartige Zwachta ungerührt.
Ich lächelte und dachte: Was verstehst du schon!
Der Gang wurde größer, und wir konnten einigermaßen aufrecht gehen.
»Weiter hinten wird es noch bequemer«, versprach Zwachta.
»Hoffentlich«, murmelte ich und schlug mir den Staub von den Händen.
Seltsamerweise fiel es mir leicht, Melamori zu folgen, obwohl es finster war. Kann ich wirklich im Dunkeln sehen?, fragte ich mich erstaunt.
Melamori ging energisch voraus. Ich war etwas beunruhigt, weil unsere Toten sicher einige Überraschungen für uns geplant hatten.
»Melamori, sind wir den beiden schon nah?«
»Noch nicht so ganz, aber sie sind stehen geblieben - das spüre ich. Vielleicht hecken sie etwas aus ... Womöglich aber hat sich Dschifas Befinden deutlich verschlechtert, und es geht ihm so lausig wie mir heute Morgen.«
»Sei vorsichtig. Das gefällt mir überhaupt nicht.«
»Wer Dschifa zum Leben erweckt hat, muss wirklich ein mächtiger Magister sein«, meinte Melamori versonnen. »Aber das macht nichts. Du spuckst ihn an, und alles wird gut.«
»Hoffentlich. Hauptsache, sie greifen nicht vorher an.«
»Das ist egal«, meinte Melamori achselzuckend. »Du weißt noch nicht, wie gut ich kämpfen kann.«
»Ich kann's mir vorstellen.«
Wir bogen erst nach links, dann nach rechts ab und gerieten bald in ein wahres Labyrinth. Arglos drehte ich mich zu unserem Begleiter um. »Ist es wirklich kein Problem, den Rückweg zu finden?«
»Warum? Wollen Sie schon umkehren?«
»Das ist nur so eine allgemeine Frage.«
»Wir schaffen das schon, keine Sorge«, meinte Sir Zwachta und winkte ab.
Wir bogen mal nach links, mal nach rechts ab. Melamori und Sir Zwachta sagten keinen Ton. Ich hatte längst die Orientierung verloren und lief Melamori nur noch hinterher.
»Wir sind nah dran«, sagte sie plötzlich. »Max, brems mich. Ich bin so aufgeregt, dass ich mich kaum noch unter Kontrolle habe. Und das, obwohl ich mich wirklich beherrschen sollte. Ich glaube, die zwei sind kampfbereit - sie jedenfalls ist es garantiert.«
»Sie?« Ich war frappiert, erwischte Melamori aber noch am Ellbogen und konnte sie zurückhalten. Gereizt versuchte sie, mich abzuschütteln.
»Danke, du bist sehr fürsorglich. Aber warum erstaunt es dich, dass ich von einer Frau rede? Frauen können in so einer Lage ausgesprochen gefährlich sein.«
»Warum?«
»In Stresssituationen können Frauen kräftig zulangen.«
»Wir werden sehen, wer vor Angst das größere Chaos stiftet - die fremde Lady oder wir«, sagte ich und kicherte nervös. »Ist sie wenigstens hübsch? Vielleicht kann ich die Gunst der Stunde nutzen und meinem Privatleben endlich eine glückliche Wendung geben.«
»Dafür hättest du keinen günstigeren Moment finden können«, meinte Melamori sarkastisch. »Ihre Schönheit kannst du gleich selbst in Augenschein nehmen.«
Trotz meiner Bemühungen, sie aufzuhalten, beschleunigte Melamori ihre Schritte noch mehr. Als ich versuchte, sie mit Gewalt zu bremsen, stieß sie mir den Ellbogen in den Bauch.
»Langsam, meine Liebe. Du hast mich selbst gebeten, dich zu bremsen.«
»Ich bin nicht deine Liebe«, rief Melamori verärgert.
»Also gut, meine Böse«, gab ich zurück.
Melamori musste lachen und hielt an.
»Entschuldige, ich hab wohl etwas übertrieben, aber das passiert mir mitunter.«
»Schon gut. Willst du dich nicht hinter meinem breiten Rücken verstecken? Ich glaube, es ist bald so weit, dass ich meine giftige Spucke einsetzen kann.«
»Lass uns nebeneinander gehen«, schlug Melamori vor. »Wenn Lonely-Lokley nicht dabei ist, weiß man nie, wer vorgehen soll.«
»Ja, seine Gegenwart löst viele Probleme«, pflichtete ich ihr bei. »Schade, dass er nicht da ist.«
»Wir schaffen das auch so«, rief sie und reckte das Kinn.
Sie klinkte sich bei mir ein, und wir gingen weiter, um uns mit einem Pärchen zu treffen, das nicht weniger seltsam war als wir.
Mir blieb keine Zeit, um zu begreifen, was mir widerfuhr. Ich spürte einen jähen Schlag am Hals, hörte ein unangenehmes Knirschen und hatte den Eindruck, eine Verbrennung liege mir wie ein Schal um den Hals. Mir stockte der Atem, und ich wäre fast zu Boden gegangen. Dann machte ich vorsichtig einen kleinen Schritt nach vorn.
Alles war so schnell vorbei, wie es gekommen war. Mir lief ein Schauer über den Rücken, aber das war nur eine Schutzreaktion auf den Stress, den ich gerade erlitten hatte. Am Hals spürte ich nur mehr einen stumpfen Schmerz.
Melamori schrie auf, ließ meine Hand los und versteckte sich hinter einer Biegung. Ich folgte ihr.
Hinter der Kurve war es erstaunlicherweise nicht mehr so dunkel, und ich sah, was ich sehen sollte: den nackten Fuß von Lady Melamori, der nach dem Bauch einer Unbekannten trat. Die Hände der Fremden schimmerten ein wenig, und auch Lady Melamoris Kopf war von einer schwachen Aureole umgeben.
Ich erstarrte vor Angst. Ohne Genaueres sagen zu können, spürte ich intuitiv, dass etwas Schlimmes geschah.
Dann lag die Fremde am Boden. Unsere Verfolgungsmeisterin konnte wirklich gut kämpfen. Und sie behielt ihre Aureole. Ich schrie und schnippte dabei mit den Fingern, ohne nachzudenken. Ein tödlicher Kugelblitz fuhr in die Unbekannte. Ich konnte es nicht erklären, doch ich wusste, dass ich Melamoris Leben nur so zu retten vermochte.
Der grüne Kugelblitz hatte die Unbekannte am Kopf getroffen, und sie sah mich mit kühlem Hass an. Ich muss gestehen, dass ich ihren Blick als erotisch empfand. Doch im nächsten Moment war er leer und wie ausgelöscht. Die hübsche Frau streckte die Hände aus, die ihre Aureole längst verloren hatten.
»So ist's gut«, sagte ich. »Interessante Experimente muss man zu Ende führen und schauen, was herauskommt.«