»Du lebst ja noch!«, rief Melamori verblüfft.
Sie saß auf dem Boden und hielt sich den Kopf, sah ansonsten aber ganz gut aus.
Ich wollte etwas sagen, konnte aber keinen Ton herausbringen, sondern musterte die unverletzte Melamori nur schweigend und mit breitem Lächeln. Sie reagierte darauf mit einem erstaunten Blick.
Ein kräftiger Stoß streckte mich jäh zu Boden. Und ich Dummkopf hatte gedacht, die Gefahr sei ausgestanden!
Zum Glück hatte ich keine Schmerzen - und das, obwohl mein Zustand einer Agonie ähnelte. Ich konnte nur stumpf auf dem Boden sitzen und interessiert die Löcher meines Mantels betrachten. Und ich sah, dass er blutig war ... Sündige Magister! Über meine Finger rann der mir so teure Kachar-Balsam. Verletzt war ich aber nur leicht.
»Flau ab, du totes Gespenst«, sagte Melamori und packte Dschifa mit einer Kraft, die ich ihr nicht zugetraut hatte. »Max, er hat dich mit einem Babum beschossen! Ich hab alles Mögliche erwartet, aber das nicht.«
»Was kann man von einem Räuber schon erwarten?«
»Da hast du Recht - von einem Räuber und einer Schönheit. Was hast du eigentlich mit ihr gemacht, Max?«
»Das weiß ich nicht genau. Schauen wir sie uns mal an.«
Als Vorsichtsmaßnahme schnippte ich allerdings zunächst mit den Fingern, und ein grüner Blitz schlug in Dschifas Kopf ein. Ich wollte ihn nicht umbringen, ehe er meine vielen Fragen beantwortet hatte. Prompt wurde der Räuber weich und rief: »Ich stehe Euch zu Diensten, Herr.«
Melamori sah uns begeistert an.
»Das war's. Deine Schutzmechanismen greifen nicht mehr«, sagte ich boshaft zu Dschifa. »Und das, obwohl du so ein Spektakel veranstaltet hast. Jetzt bleib hier sitzen.« Dann wandte ich mich an die Fremde: -Wie geht es Ihnen, gnädige Frau? Ich hoffe, Sie fühlen sich schlecht.«
»Max, was hast du getan?«, fragte Melamori geradezu hysterisch und beugte sich über unser unglückliches Opfer.
»Ich hab doch gesagt, dass ich es nicht genau weiß.«
Als ich allerdings das Werk meiner Hände sah, zuckte ich zusammen. Auf dem Boden lag ein zierlicher, in einen schwarzen Lochimantel gehüllter Frauenkörper, doch er hatte den Kopf eines Vogels. Der halb geöffnete Schnabel wirkte traurig.
»So was hab ich noch nie gesehen«, flüsterte Melamori. »Wie hast du das nur geschafft?«
»Ich hab damit nichts zu tun. Sie hat sich selbst verzaubert«, sagte ich. »Aber könntest du mal schauen, was mit meinem Hals los ist? Er tut höllisch weh.«
»Das ist eine Verbrennung«, sagte Melamori und schüttelte mitfühlend den Kopf. »Die ist zwar unangenehm, aber nicht schlimm. Wenn man bedenkt, dass du enthauptet werden solltest ... Ich weiß nicht, ob dir klar ist, dass man mit dem Dünnen Tod auf dich gezielt hat. Hast du schon davon gehört?«
Ich schüttelte den Kopf und sagte: »Was soll das sein?«
»Eine Stahlplatte, die so dünn wie ein Haar ist. Sie findet ihr Opfer von selbst. Man benötigt also keine Kenntnisse, um sie einzusetzen. Sie trennt nur den Kopf vom Rumpf - andere Körperteile interessieren sie nicht. In der Ordensepoche war sie eine beliebte, wenn auch seltene Waffe, da ihre Herstellung viel Geheimwissen erfordert. Als ich den Blitz an deinem Hals sah, war ich vor Schreck ganz außer mir. Gut, dass dir nichts passiert ist«, sagte sie und weinte fast.
»Da bin ich ganz deiner Meinung«, erklärte ich mit voller Überzeugung und betastete meinen schmerzenden Hals. »Ich bin der glücklichste Mensch im All!«
Jetzt erst begriff ich nämlich, was geschehen war, und hätte bei der Vorstellung, mein Kopf läge ein paar Meter von meinem Körper entfernt, beinahe geschluchzt.
»Weißt du«, fuhr ich fort, »als ich aus dem Haus ging, hab ich mir mein Amulett um den Hals gebunden - das Armband des Großen Magisters vom Orden des Geheimen Krauts. Juffin hat mir das kostbare Stück geschenkt, als ich aus Kettari zurückkam. Er hat mir empfohlen, mit dem Armband zu schlafen, und ich dachte mir, ich sollte es mir umbinden, bevor wir losziehen, damit ich es in der Hektik der Verfolgung nicht vergesse.«
»Bist du etwa stolzer Besitzer des Armbands des Großen Magisters Chana?«, fragte Melamori und schüttelte erstaunt den Kopf. »Max, du bist ein Glückspilz. Nur dieses Amulett schützt vor dem Dünnen Tod!«
»Den Namen dieses Magisters höre ich zum ersten Mal.«
»Den kennt ohnehin kaum noch jemand. Weißt du, der Orden des Geheimen Krauts war für seine Amulette bekannt. Doch Magister Chana verlor plötzlich alles Interesse an seiner Arbeit und verschwand, ohne dass man wüsste, wohin. Aber warum soll ich dir darüber Vorträge halten? Frag besser Melifaro - seine Familie steht dem Orden des Geheimen Krauts sehr nah.«
»Das mach ich. Sag mal, wo ist eigentlich unser lieber Sir Zwachta?«
»Vielleicht ist er geflohen«, meinte Melamori lachend.
Nach kurzem Zögern schloss ich mich an. Wir saßen beide neben der Leiche mit dem Vogelkopf, und unser Lachen hatte eine erstaunlich befreiende Wirkung.
»Weißt du«, sagte ich, »vielleicht sollten wir an die frische Luft gehen.«
»Mit Vergnügen. Aber ruf erst deinen treuen Knecht.«
»Dschifa, komm und zeig uns den kürzesten Weg zurück.«
»Ja, Herr.«
Dschifa ging schnurstracks durch die Höhle, und ich half Lady Melamori beim Aufstehen. Sie warf einen letzten Blick auf die Tote.
»Wer mag das gewesen sein? Sie kommt mir bekannt vor.«
»Wer war diese Frau?«, fragte ich meinen treuen Vasallen.
»Lady Tana Kurajsa, mein Herr.«
»Natürlich! Die Schwester von Magister Atwa!«, rief Melamori. »Er hat sie in diese Sache verwickelt! Schweinerei!«
»Wer hat wen in diese Sache gezogen, Dschifa?«, fragte ich interessiert. »Erzähl uns, wie es war.«
»Lady Tana war in mich verliebt. Wir waren einige Zeit zusammen, aber unsere Beziehung spielte für mich keine große Rolle. Nachdem mir meine Räuberbande genommen war, zwang Lady Tana ihren Bruder, mich von den Toten zu erwecken. Das hat anfangs nicht besonders gut geklappt, und ich ähnelte eher einer leblosen Puppe. Aber Lady Tana hat hartnäckig an mir gearbeitet, bis ich wieder ganz der Alte war. Doch sie hat mich nur aus Eigennutz von den Toten erwecken lassen und verlangt, dass ich ausschließlich für sie da sein solle. Ich dagegen sehnte mich nach meinem früheren Leben und wollte in den Wald von Mahagon zurück. Doch meine neue Bande enttäuschte mich. Die Räuber waren dumm, und die Atmosphäre von damals wollte sich nicht mehr einstellen. Das war für mich das Schlimmste ... Wollt Ihr mich nun endgültig umbringen, Herr?«
»Natürlich. Was könnte ich sonst noch mit dir machen?«
»Das ist gut«, sagte er und nickte dankbar.
Wir gingen lange durch Höhlen und Gänge und mussten wieder auf alle viere, ehe wir nach draußen kamen.
Dort war es dunkel, kalt und feucht. Während unseres Höhlenbesuchs hatte es im Wald von Mahagon stark geregnet.
Wir zitterten vor Kälte. Nur Dschifa machte das Wetter nichts aus.
»Führ uns zu unserem A-Mobil«, befahl ich. »Ich hab warme Sachen dabei. Die brauch ich jetzt.«
Wir folgten ihm. Nasse Zweige schlugen uns ins Gesicht, und wir traten ständig in große Pfützen.
»Ich hab mich bei Juffin gemeldet«, sagte Melamori und versuchte, ihr Zähneklappern zu unterdrücken. »Ich hab ihm erzählt, dass es uns gutgeht, und ihn gefragt, ob wir Dschifa mitbringen sollen. Das brauchen wir nicht.«
»Was hat er auch in Echo zu suchen? Soll er doch in seinem Wald sterben, in dem er schon mal gestorben ist.«
Dschifa blieb bei einem moosbedeckten Stein stehen.
»Wir sind da«, sagte er. »Könnt Ihr mich nun umbringen?«
»Hab noch einen Moment Geduld. Führ uns bitte erst zu unserem A-Mobil. Weißt du; wo wir es stehen gelassen haben?«
»Ja«, sagte Dschifa und ging weiter.
»Hast du alles von ihm erfahren, was du wissen wolltest?«, fragte Melamori.
»Gut, dass du mich daran erinnerst«, meinte ich und wandte mich an Dschifa: »Wo habt ihr eigentlich das Diebesgut versteckt?«