»Und du hast wirklich keine Zigarren mehr?«, fragte Melifaro traurig und seufzte dann: »Armer Apura.«
»Im Moment nicht, aber wenn es nötig werden sollte, kann ich welche organisieren. Wer ist dieser Apura überhaupt?«
»Das weißt du auch noch nicht? Hauptmann Apura Blaki ist nach Schicholas Tod zur Stadtpolizei gekommen. Er ist sehr nett, fast so sympathisch wie der Verstorbene. Er gefällt dir bestimmt. Was für eine tolle Frau ist eigentlich neulich bei der Polizei aufgetaucht? Diese Lady Kekki Tuotli meine ich. Sie ist nicht nur klug (wenn auch nicht ganz so klug wie wir), sondern auch eine Dame, also eisig und unzugänglich. Bubuta schimpft kaum, wenn sie in der Nähe ist. Kannst du dir das vorstellen?«
»Warum nicht? Wie du dich vielleicht erinnerst, haben wir bei ihm zu Hause Ähnliches beobachtet.«
»Den Kerl jedenfalls, der Leutnant Kamschi ersetzt hat, solltest du dir ersparen. Sonst spuckst du ihn gleich tot.«
»Ist er denn so schlimm?«, fragte ich ungläubig.
»Schlimm nicht, eher dumm. Leutnant Tschekta Schach versteht nicht den kleinsten Witz - es sei denn, er macht ihn selbst, aber das passiert zum Glück selten. Er ist ein sehr ernster Mensch und obendrein muskulös, also ein echter Held, und ich vermute, solche Leute kannst du nicht ertragen.«
»Ich kann jeden ertragen - Hauptsache, ich habe nur kurz mit ihm zu tun«, meinte ich und zuckte lächelnd die Achseln. »Furchtbar: Es ist kaum ein Jahr vorbei, und doch hat sich so viel verändert.«
»Es sind immerhin achtundvierzig Tage mehr vergangen als nur ein Jahr«, korrigierte mich Melifaro. »Für jeden Tag deiner Abwesenheit haben wir eine Kerbe gemacht. Das war die ruhigste und heiterste Zeit unseres Lebens. Wenn man schon so eine herrliche Phase genießen durfte, sollte man auch genau wissen, wie lange sie gedauert hat.«
»Von mir aus kannst du noch ein paar Stunden glücklieh sein. Es ist Mittag, und ich muss erst am Abend mit der Arbeit beginnen.«
»Wo gehst du hin? Willst du dir den Bauch vollschlagen? Hast du beim Orden des Siebenzackigen Blatts nichts zu essen bekommen?«
»Wenn du wüsstest, wie geizig diese Ordensleute sind! Kannst du dir vorstellen, dass ich in der ganzen Zeit dort nie etwas zu futtern gekriegt habe?«
Das war übrigens die reine Wahrheit, denn in der Tür zwischen den Welten gibt es keine Verpflegungsmöglichkeit, und so hatte ich stark abgenommen.
»Falls du vorhast, ins Fressfass zu gehen ...«
»Wenn ich das vorgehabt hätte, hätte ich es dir gesagt«, unterbrach ich ihn. »Ich muss nach Hause. Weißt du, was bei mir los ist? In meiner Abwesenheit hat sich ein netter junger Mann bei mir eingenistet
»Ich weiß, wen du meinst - diesen dicken Journalisten. Ein lustiger Kerl ist das.«
Aus Melifaros Mund klang das beinahe wie ein Kompliment.
»Meine Katzen finden ihn auch sehr nett«, pflichtete ich ihm bei. »Die drei waren wirklich glücklich ohne mich. Leider hat er mein ganzes Haus auf den Kopf gestellt. Ich bin zwar kein Ordnungsfanatiker, aber so chaotisch bin ich auch wieder nicht. Ich muss die Wohnung renovieren lassen, denn selbst mit Magie kann ich gegen diese Verwüstung nichts ausrichten. Ich hab Spezialisten beauftragt, die Sir Schürf mir empfohlen hat - ziemlich dunkle Gestalten. Bestimmt waren sie früher Große Magister, aber na ja. Ihr Oberhaupt hat mir versichert, dass sie höchstens zwei Wochen für das ganze Haus brauchen, aber ich hab da meine Zweifel. Ich muss also zu mir nach Hause, ihnen bei der Arbeit etwas auf die Finger sehen und sie mit meinem strengen Blick ein bisschen antreiben. In einer Stunde bin ich wieder da. Wenn du willst, können wir dann ins Fressfass gehen. Was bin ich heute für ein gutmütiger Mensch! Ich staune selbst über mich.«
»Ja, du schwächeist«, meinte Melifaro lächelnd. »Gut, ich lasse dich gehen. Aber sei rechtzeitig zurück.«
»Keine Sorge«, rief ich und verließ schnell das Haus an der Brücke. Allem Anschein nach war es mir gelungen, in einem Gespräch mit ihm ausnahmsweise das letzte Wort zu behalten.
Zu Hause war alles in Ordnung - abgesehen davon, dass Ella und Armstrong beleidigt darüber waren, sich nicht überall austoben zu können, sondern mit meinem Schlafzimmer vorlieb nehmen zu müssen. Mit ihrem weichen Fell hatten sie nichts unter den Handwerkern und all dem Schutt und Schmutz zu suchen.
»Ihr bleibt hier«, sagte ich zu den beiden und schloss die Tür. »Vielleicht sollte ich auch noch euren geliebten Ande Pu zu euch sperren. Ach nein, mit dem werde ich anders fertig. Wenn ich nächstes Mal längere Zeit nicht da bin, werdet ihr bestimmt nicht mehr so viel Chaos anrichten.«
Eigentlich war mir selber klar, dass ich Unsinn redete.
Zwei Stunden später saß ich mit Melifaro im Fressfass. Ich musste unbedingt nachholen, was ich verpasst hatte.
»Wo willst du eigentlich während der Renovierung wohnen? Im Haus an der Brücke?«, fragte mich das Tagesantlitz des Ehrwürdigen Leiters des Kleinen Geheimen Suchtrupps.
»Keine schlechte Idee. Ich hab nämlich den Eindruck, dass es dort ziemlich drunter und drüber geht. Andererseits würdet ihr mich mit eurem ewigen Bestellen von Speis und Trank in diversen Gasthäusern nur stören. Außerdem hab ich noch meine Wohnung in der Straße der alten Münzen. Erinnerst du dich?«
»Wenn du weiter so viel in dich reinstopfst, wirst du dort bald nicht mehr reinpassen. Offen gesagt, frage ich nicht ganz grundlos nach deinem Unterschlupf, denn meine verrückte Familie möchte dich mal wieder sehen. Ich hab versucht, meinen Eltern diese Idee auszureden, aber sie sind nun mal sture Leute vom Land.«
Der Bösewicht Melifaro ließ selbst seine Eltern nicht ungeschoren!
»Ist das eine Einladung?«
»Das ist die letzte Warnung. Du hast ohnehin keine Wahl. Heute Abend fahre ich los und hoffe, meinen älteren Bruder zu treffen.«
»Den Riesen?«
»Du meinst Bachba? Nein, den anderen, Antschifa. Was kann mein älterer Bruder auf den Ozeanen schon unternehmen? Er ist Pirat, vertrimmt seefahrende Händler und ist deshalb unser Familienstolz. Vor ein paar Tagen ist er nach Hause gekommen, und seitdem wird gefeiert.«
»Mit dir könnte ich bis ans Ende der Welt reisen, aber wie du weißt, gibt es noch Sir Juffin. Er hat mich lange nicht gesehen, und ich bezweifle, dass er es schlucken würde, wenn ich gleich wieder verschwände.«
»Das hat er bereits. Er hat sich sogar gefreut, dass meine Gesellschaft dir etwas Ablenkung bringt. Er hat dich wirklich ins Herz geschlossen.«
»Tatsächlich? Ich dachte, er würde mich an meinen Sessel fesseln, damit ich die ganze Zeit arbeite.«
»Keine schlechte Idee. Das schlage ich ihm demnächst vor«, meinte Melifaro und lachte diebisch.
»Na, frönt ihr mal wieder eurer Lieblingsbeschäftigung, Jungs?«, fragte Sir Kofa, der plötzlich hinter meinem Rücken aufgetaucht war. »Ich habe Neuigkeiten - vor allem für dich, Max. Sie werden dir sicher gefallen.«
Ich hatte schon mit neuen Gerüchten über mich gerechnet, da die Bewohner von Echo meine einjährige Abwesenheit sicher unterschiedlich gedeutet und sich weitere Geschichten über mich ausgedacht hatten.
»Keine Sorge«, kicherte Kofa. »Über dich ist nichts Neues im Umlauf. Du bist in Echo zwar eine wichtige Person, aber auch ohne dich passiert mancherlei.«
»Den Magistern sei Dank! Was ist denn geschehen?«
»Vor einer halben Stunde habe ich einen Landsmann von dir im Dicken Skelett verhaftet.«
»Welchen Landsmann denn?«, rief ich. Mir stockte der Atem. Erst einmal hatte man in Echo einen echten Landsmann von mir gefasst - einen vielfachen Mörder, der durch die gleiche Tür aus meiner alten Heimat hierhergeraten war wie ich. Seinen Aufenthalt in Echo hatte er dazu genutzt, seiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen und weitere Menschen umzubringen. Schließlich hatte ich ihn töten müssen, und das hatte mir absolut keinen Spaß gemacht.