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»Kaum bist du gekommen, schon fällst du übers Essen her - sehr gut, Brüderchen! Hauptsache, die Kauwerkzeuge bleiben nicht unbenutzt!«

An der Türschwelle stand ein kleiner, aber gedrungener rothaariger Kerl. Mir war gleich klar, dass ich ein weiteres Mitglied dieser wunderbaren Familie vor mir hatte. Er gehörte allerdings zu der Sorte von Leuten, mit denen man sich besser nicht anlegte. Allem Anschein nach konnte er jeden Gegner von den Füßen holen. Er hatte einen Schal um den Kopf gewickelt, dessen Enden fast den Boden berührten. Sein schwarzer, schlichter Lochimantel reichte kaum bis an die Knie, was in der Hauptstadt gewiss Befremden ausgelöst hätte. Auch seine Skaba war kurz und ließ die Schäfte seiner Stiefel sehen, die allerdings kunstvoll verziert waren.

Gleich nach ihm erschien der groß gewachsene Bachba, den ich schon bei meinem letzten Besuch kennen gelernt hatte. Er begrüßte uns freundlich, setzte sich gemütlich auf einen Stuhl und vertiefte sich ins Essen. Allem Anschein nach war er das einzige schweigsame Mitglied dieser seltsamen Familie.

Melifaro unterhielt sich mit Antschifa und sah ihn dabei mit großem Respekt an.

»Antschifa, das ist Max«, stellte er mich seinem Bruder vor. »Er arbeitet im gleichen Laden wie ich und sorgt dafür, dass ich nachts ruhig schlafe.« Dann wandte er sich an mich: »Du weißt vermutlich schon, dass vor dir der Schrecken der Meere steht, der ewige Stolz unserer Familie und die große Hoffnung meines Vaters: Sir Antschifa Melifaro.«

»Und ich hätte wetten mögen, der da sei das Produkt deiner Besuche im Rendezvous-Viertel, Vater«, meinte Antschifa und wies mit dem Kopf auf mich. »Ist das kein Halbbruder von mir? Schade.«

»Alles ist möglich«, meinte Sir Manga achselzuckend. »Max, was sagen Sie dazu?«

»Ich fürchte, das ist etwas übertrieben. Ich würde gern zu Ihrer Familie gehören, habe aber vor kurzem erfahren, dass ich aus der königlichen Familie von Fangachra stamme.«

»Auch ein interessantes Schicksal. An Ihrer Stelle würde ich nichts daran ändern«, sagte Antschifa fröhlich und hob eine enorm große blaue Flasche.

Zwischenzeitlich hatte auch er sich zu Tisch gesetzt und schaufelte sich Gebäck auf den Teller. Langsam erschien mir Melifaro als der ruhende Pol der Familie.

»Seid ihr bekloppt, oder ist euer Gehirn vertrocknet?«, tönte es von der Tür her, und ein kleiner Mann mit dicker Nase und Glatze trat ein.

Bestürzt musterte ich seine Sachen. Er trug einen schimmernden Lochimantel und eine eng geschnittene, glänzende Hose. In meiner alten Heimat zieht man so was nur im Zirkus an. Die seltsame Kleidung betonte seinen weiblichen, reichlich großen und runden Hintern. Ich wäre nicht ich gewesen, hätte ich in diesem Moment nicht laut losgelacht. Zu meinem Erstaunen blieb Melifaro ernst.

»Was ist? Siehst du zum ersten Mal einen Menschen aus Isamon?«, fragte er erstaunt. »Dort trägt man solche Sachen.«

»Das ist ja noch lustiger«, rief ich und hielt mir den Bauch vor Lachen.

»Dein Gehirn ist eindeutig vertrocknet«, erklärte der Mann aus Isamon und setzte sich zu Tisch.

Er sprach leicht durch die Nase und rollte das R seltsam. Ich musste so lange kichern, dass er mich schließlich ansah.

»Was gibt es denn so Lustiges? Ich hab doch Recht! Die neuen Gäste werden mir nicht vorgestellt, und niemand ruft mich zu Tisch. Wer macht denn so was?«

»Ich zum Beispiel«, erklärte Sir Manga kühl.

»Was? Reden Sie bitte lauter - ich verstehe Sie nicht. Wäre bei uns in Isamon so was passiert, hätte man den Gastgeber als ältestes Mitglied der Familie ... Ach, das muss ich nicht unbedingt erzählen«, unterbrach er sich und nickte gedankenverloren. »Aber was gibt es denn nun zu lachen? Beruhigen Sie sich doch endlich.«

»In meiner Heimat ist es üblich, Unbekannte mit lautem Lachen zu begrüßen. Das drückt die Freude aus, jemanden kennen zu lernen. Ich bemühe mich nur, höflich zu sein.«

Jetzt lachten alle Mitglieder der berühmten Familie Melifaro herzlich.

»Das soll normal sein?«, fragte der Unbekannte beleidigt. »Na, wenn das so ist ... Mein Name ist Rulen Bagdasys. Das ist ein berühmter Adelsname. Sagt er Ihnen etwas?«

»Dieser nette Mann heißt Sir Max«, mischte sich Manga ein. »Wie wir gerade erfahren haben, ist das ein königlicher Name. Haben Sie das gewusst?«

»Ja, das ist mir geläufig«, sagte Rulen Bagdasys und wirkte plötzlich kleinlaut. Dann schaute er Antschifa streng an. »Spinnst du? Wer schaufelt sich denn den Teller so voll? Was sollen die Leute von dir denken?«

»Misch dich nicht in meine Angelegenheiten ein«, brummte Antschifa nur.

»Wie bitte? Sprich lauter. Du weißt doch: Ich hör nicht so gut.« Dann wandte er sich an meinen Freund Melifaro, den jüngsten Sohn von Sir Manga: »Ich habe gehört, du kannst mir die Hauptstadt zeigen. Ich muss so schnell wie möglich dorthin. Ich hab die Provinz und ihre Bewohner satt.«

»Das mach ich doch gern«, sagte mein Arbeitskollege ungewohnt höflich.

Auf Sir Mangas Miene zeigte sich große Dankbarkeit.

Wir saßen noch zwei Stunden bei Tisch und unterhielten uns. Langsam erschien mir Rulen Bagdasys nett und durchaus unterhaltsam. Seine mit Naivität und Schwerhörigkeit gewürzte Grobheit machte ihn zu einem ziemlich originellen Menschen. Würde er aber mit mir Zusammenleben, würde ich meine Meinung sicher schnell ändern.

Dann entschuldigte sich Sir Manga mit der Bemerkung, er habe noch etwas zu tun, und ging in sein Arbeitszimmer. Es war kurz vor Mitternacht, als ich - obwohl ein notorischer Nachtmensch - erstaunt merkte, wie müde ich war. Hier in Echo hatte ich die Schlaflosigkeit vergessen, die mich die ersten dreißig Jahre meines Lebens gequält hatte.

»Ich bin total erledigt«, sagte ich zu Melifaros Brüdern. »Und ich fürchte, ihr seid das inzwischen leid. Deshalb gehe ich jetzt schlafen.«

»Du? Schlafen? Es ist nicht einmal Mitternacht!«, rief Melifaro ehrlich erschrocken. »Was ist mit dir los, Max?«

»Das hast du mich heute schon mehrmals gefragt, und ich sage dir, was ich dir schon mehrfach gesagt habe: nichts Besonderes. Ich bin einfach nur müde.«

»Juffin und seine Ansprüche treiben dich noch ins Grab«, sagte Melifaro mitleidig. »Du bist zwar ein furchtbarer Killer und überhaupt ein grausamer Barbar, aber so schlecht sollte man dich wirklich nicht behandeln.«

»Zeig mir lieber mein Schlafzimmer, statt mich zu bemitleiden«, bat ich. »Euer Familiennest ist so groß, dass ich mich darin verlaufen könnte und erst in zehn Jahren völlig verwahrlost aufgefunden würde.«

»Komm, mein Unglück«, sagte Melifaro und erhob sich recht unwillig vom Tisch.

»Du ähnelst unserem Vater wirklich«, sagte Antschifa mit Nachdruck zu mir. »Vielleicht solltest du die Königinmutter mal diskret nach ihren früheren Beziehungen fragen.«

»Das tue ich sicher, falls ich sie mal im Königreich der Toten erwische. Angeblich soll das gar nicht so schwer sein. Gute Nacht, Leute.«

Das magische Schlafzimmer war ein Werk des Magisters Philo Melifaro und eine Frucht des durch viele Jahrhunderte von ihm zusammengetragenen Wissens. Es erwies sich als eine Zufluchtsstätte, wie ich sie schon lange gesucht und gebraucht hatte. Hier traf ich auf die mir seit Kindertagen bekannten Traumgestalten.

Ich schlief fest und ruhig, und vor meinen Augen entfaltete sich ein Panorama meiner Lieblingsträume. Ich sah einmal mehr das kleine, schnuckelige Städtchen in den Bergen bei Kettari mit seiner Serpentinenstraße und den hübschen kleinen Cafes. Schade, dass ich diesen von mir erträumten Ort vor kurzem an eine andere Welt abgetreten hatte.

Ich erwachte kuii nach Mittag, hatte Sir Juffins Auftrag also perfekt erfüllt. Jetzt konnte ich nicht nur erfrischt weiterleben, sondern war mir sogar sicher, noch viel Spaß zu haben.

Überglücklich ging ich nach unten. Sir Manga und seine hübsche Frau knabberten friedlich an ihrem Frühstücksgebäck.

»Die Jungs schlafen noch«, sagte Manga zu mir. »Sie haben sich bis zum Morgengrauen unterhalten. Tut es Ihnen nicht leid, das Gespräch verpasst zu haben?«