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»Was redest du denn da? Du bist verrückt - das sag ich doch die ganze Zeit. In Isamon stehen Aristokraten nicht vor Sonnenuntergang auf. Und ohne Frühstück reisen sie schon gar nicht«, rief Rulen Bagdasys widerspenstig.

Sir Manga erhob sich wortlos und trat auf die Veranda. Seine Frau war schon vorgegangen, als sie die ersten empörten Schreie aus dem Korridor hatte dringen hören. Ich folgte dem Hausherrn.

»Sir Manga«, flüsterte ich. »Ich brauche eine klare Antwort. Was sollen wir mit diesem Naturwunder machen? Sollen wir ihn Antschifa unversehrt zurückbringen oder ihn per Schiff nach Isamon schicken?«

»Macht, was ihr wollt, aber macht schnell. Allerdings vermute ich, dass in Isamon niemand auf ihn wartet. Und auch Antschifa hat seinen exotischen Begleiter längst satt. Dieser Mensch ist wirklich eine traurige Gestalt.«

»Wie man's nimmt«, meinte ich achselzuckend. »Vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft, Sir Manga. Nächstes Mal werde ich mich im Esszimmer bestimmt mehr ins Zeug legen.«

»Es gibt ein schönes Sprichwort, Max. In Tulan sagt man: Ein guter Gast verlässt rechtzeitig das Haus. Dieses Tulan ist wirklich ein netter Ort - eine meiner Lieblingsstädte.«

»Und was halten Sie von Isamon?«, fragte ich amüsiert.

»Das ist schrecklichste Provinz, zutiefst langweilig. Das einzig Unterhaltsame ist die Kleidung der Bewohner.«

»O ja«, sagte ich kichernd. »Was das anlangt, haben die Leute dort tatsächlich ein Händchen.«

»Wir sollten jetzt wirklich losfahren«, sagte ich.

Ich übertrieb etwas, denn bis Sonnenuntergang waren es noch fünf Stunden, und hätte ich mich richtig anstrengen wollen, hätte ich die Strecke in fünfzehn Minuten geschafft. Die Nacht im Schlafzimmer von Sir Philo Melifaro hatte mir enorm viel Kraft gegeben, die ich einfach einsetzen musste, um nicht in die Luft zu gehen.

»Alles klar?«, fragte Melifaro den Mann aus Isamon, der mit hängendem Kopf über seinem Teller saß. »Geh nach oben und pack deine Sachen. Wenn du in einer halben Stunde nicht fertig bist, kannst du zu Fuß nach Echo reisen.«

»Was? Sprich lauter! Ich versteh dich nicht!«

Langsam verlor ich die Hoffnung, dass wir mit Rulen Bagdasys noch Erfolg haben würden. Ich seufzte vernehmlich und schaufelte mir noch eine Portion auf den Teller. Zu essen ist immerhin eine angenehme Beschäftigung.

Zwei Stunden später kam der verschlafene Antschifa ins Esszimmer.

»Ich wollte spazieren gehen«, meinte er gereizt, »und der verrückte Rulen wollte partout nicht mitkommen.«

»Du kannst doch mit Bachba losgehen«, meinte Melifaro kichernd. »Aber ich hab noch einen besseren Vorschlag: Komm mich einfach mal in Echo besuchen.«

»Was soll ich dort? Durch den Stadtteil Rendezvous laufen und nach meinem Bruder rufen?«

»Na ja, spazieren gehen und schreien ist ja nicht alles, was man dort tun kann«, meinte Melifaro trocken. »Aber wie du willst. Wenn du es dir anders überlegst: Mein Haus steht dir zur Verfügung.«

»Vielleicht überlege ich es mir wirklich noch. Im Moment bin ich leider schlaftrunken. Im Übrigen kannst du den Leuten aus Arwaroch schöne Grüße ausrichten und sie fragen, ob sie sich an unser letztes Treffen erinnern. Oder frag sie besser nichts. Sonst löst du noch einen diplomatischen Konflikt aus.«

Schließlich erschien Rulen Bagdasys. Er trug eine festliche weiße Hose zu seiner üblichen Jacke und den bekannten Schuhen, dazu aber noch eine Pelzmütze. Mitten im Sommer! Er war offenbar sehr zufrieden mit seiner Montur und stolz auf sich, denn er trug die riesige Nase sehr hoch. Seine Augen glänzten, und sein Mund stand halb offen, was ihn nicht eben intelligent wirken ließ. Offenbar waren Fellmützen für Leute aus Isamon etwas ganz Besonderes, vielleicht gar ein nationales Symbol.

»Wird dir unter der Mütze nicht zu heiß, mein Freund?«, fragte ich vorsichtig.

»Nein. Das Gehirn arbeitet besser, wenn es richtig warm ist«, meinte Rulen mit stolzgeschwellter Brust.

Melifaros Brüder lachten kurz auf. Der Mann aus Isamon sah sie streng an, sagte aber nichts.

Ich klemmte mich ans Steuer des A-Mobils. Melifaro setzte sich neben mich. Wie seine Miene vermuten ließ, wollte er endlich ins Haus an der Brücke kommen.

Rulen Bagdasys setzte sich auf die Rückbank. Als ich beschleunigte, sagte er etwas Undeutliches und versuchte, ans Lenkrad zu gelangen.

»Bleib ruhig, mein Freund!«, rief ich ihm zu. »Wenn man mich reizt, kann ich Gift spucken. Wusstest du das nicht?«

»Natürlich wusste ich das«, erklärte Rulen, »aber Sie können nicht fahren! Ich zeige Ihnen, wie man's macht.«

»Soll ich ihn kurz durchprügeln?«, fragte Melifaro versonnen.

»Von mir aus gern. Wenn er weiter um das Steuer kämpft, bauen wir womöglich einen Unfall.«

»Ich habe eine ganz andere Fahrtechnik gelernt. Woher soll ich wissen, dass es hier anders ist? Sie jedenfalls, Sir, machen alles umgekehrt!«

Ich musste lachen, denn ich hatte gedacht, mein Tempo habe ihn erschreckt. Dabei hatte er mir nur einige technische Ratschläge geben wollen.

»Jeder kann fahren, wie er will«, sagte ich freundlich zu ihm und beschleunigte noch ein bisschen.

Es ist mir ein wenig peinlich, aber ich wollte den furchtbaren Kerl aus Isamon wirklich etwas erschrecken. Aber es gelang mir nicht. Er hatte keine Angst. Vielleicht, weil er nicht wusste, wie schnell wir fuhren. Nach ein paar Minuten, die mir wie eine Ewigkeit schienen, hielten wir vor Melifaros Haus im Zentrum von Echo.

»Das war auch für dich ein Rekord, Max - gib's zu«, sagte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich frage mich, wie es dir gelungen ist, keinen Unfall zu bauen.«

»Glückssache«, meinte ich lächelnd.

»Das glaube ich auch«, sagte Melifaro und wandte sich an den Mann aus Isamon: »Wir sind da. Ich wohne hier. Du kannst deine Sachen ausladen.«

Unser Freund hatte nicht wenig Gepäck, und der gutherzige Melifaro half ihm beim Reintragen. Ich überlegte, ob er lauter Pelzmützen und grelle Klamotten dabeihatte.

»Bleib hier und versuch, dich an die Stadt zu gewöhnen«, sagte Melifaro freundlich zu ihm. »Du kannst spazieren gehen, wenn du willst. Max, wir fahren weiter.«

Ich legte einen Kavalierstart hin.

»Es ist wirklich nett, einen disziplinierten Chauffeur wie dich zu haben«, lobte mich Melifaro. »Keine Sorge, mein Lieber - dieses Jahr werde ich dich noch nicht feuern.«

»Pass nur auf, sonst erzähle ich Lonely-Lokley, dass du Leute aus königlicher Familie beleidigst.«

»Lonely-Lokley? Dem lieber nicht. Mein Vater hat sich an drei Söhne gewöhnt, und so soll es bleiben. Hättest du hier nicht abbiegen müssen, mein Freund?«

»Wie kommst du denn auf die Idee, ich könnte mich verfahren?«, fragte ich und brauste mit Höchstgeschwindigkeit durch die Straße der Kupfermünzen, um ein Lächeln ins Gesicht meines Kollegen zu zaubern. Er sah wirklich zufrieden aus.

»Nicht schlecht, Jungs«, meinte Sir Juffin im Saal der allgemeinen Arbeit zu uns. »Als ich dir gesagt habe, Max, dass ich euch bis Sonnenuntergang sprechen will, hab ich damit gerechnet, als disziplinierte Mitarbeiter würdet ihr frühestens eine Minute vor Ablauf der Frist auftauchen. Dann aber hab ich mit mir gewettet, dass ihr früher kommt. Schön, dass ich so zwölf Kronen gewonnen habe. Und jetzt kann ich euch mitteilen, dass das Schiff aus Arwaroch heute am Admiralskai anlegt.«

»Warum ausgerechnet dort?«, fragte ich und trank etwas kalte Kamra aus der Lieblingstasse meines Chefs. Das wurde bei mir langsam zur Gewohnheit.

»Das ist ein standesgemäßer Ankerplatz für einen so prächtigen Kahn«, erklärte Juffin. »Außerdem ist es ein Kriegsschiff - das passt doch. Melifaro, hast du schon mal an einer Zollkontrolle im Hafen teilgenommen?«

»Aber natürlich. Gleich im ersten Jahr meines Dienstes. Ich weiß noch, dass ich beinahe in Ohnmacht gefallen bin, als einer dieser Barbaren all seine Titel aufgezählt hat. Aber ich hab dann doch alles tapfer ertragen.«