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»Das war ja ein echter Erfolg für dich«, rief Sir Juffin. »Und heute muss er wiederholt werden. Seid ihr bereit?«

»Ich allenfalls bedingt«, seufzte Melifaro. »Aber das interessiert ja keinen. Vielleicht wäre Lonely-Lokley eine bessere Wahl für diese Aufgabe. Er lacht bestimmt nicht blöd in sich hinein.«

»Aber das geht doch nicht! Wenn Sir Schürf ein Schiff betritt, beginnt es zu sinken. Das liegt an seiner Karriere im Orden der Löcherigen Tasse. Hast du davon nie gehört?«

»Ehrlich gesagt nicht«, brummte Melifaro. »Wirklich eine interessante Neuigkeit.«

»Juffin, warum müssen wir diese Kontrolle überhaupt durchführen?«, fragte ich. »Wir sind schließlich Geheimagenten und keine Zöllner.«

»Du hast wieder mal was nicht durchschaut. Das Schiff aus Arwaroch ist etwas Spezielles. Wenn dort einfache Zollbeamte auftauchen, gilt das als Beleidigung, und die Besatzung beschwert sich beim König. Die Leute aus Arwaroch haben einen seltsamen Ehrenkodex. Zum Glück gibt es in der Bibliothek des Königs ein dickes Buch mit allen dort geltenden Benimmregeln, das genaue Vorschriften darüber enthält, wie sich die Leute aus Arwaroch und die Bewohner von Echo bei einem Besuch benehmen sollen. Anders als wir allerdings kennen unsere Gäste all diese Gebote auswendig. Aber keine Sorge, Max - wir müssen auf dem Schiff nur eine Kontrolle durchführen und ein paar freundliche Worte wechseln. Das Lustigste ist, dass es auf dem Kahn nie Schmuggelware gibt, denn in Arwaroch ist Schmuggeln streng verboten, und die Leute von dort halten sich an ihre Gesetze. Ihr müsst also tun, als würde euch die Ladung interessieren, und könnt dabei ruhig etwas übertreiben. Dann erteilt ihr der Besatzung eine offizielle Aufenthaltserlaubnis für Echo. Das war's schon. Morgen steht ein Besuch beim König an, und dann beginnt der amüsanteste Teil des Aufenthalts: Wir werden unsere ehrwürdigen Besucher auf Schritt und Tritt begleiten und aufpassen, dass niemand sie beleidigt. Ach, Jungs, wenn ihr wüsstet, wie sehr ich so langweilige Aufgaben hasse! Aber der Große Magister Nuflin meint, das sei besser für uns alle, und ich kann den alten Mann nicht enttäuschen.«

»Warum denn nicht?«, brummte Melifaro.

»Eigentlich könnte ich es schon«, räumte Sir Juffin ein. »Aber ich will es nicht. Und ihr verschwindet jetzt. Sofort. Wenn ihr eine Stunde vor Ankunft unserer fantastischen Gäste im Hafen seid, ist das der Gipfel der Diplomatie. Aber schaut mich nicht so böse an. Das heißt schließlich nicht, dass ihr keine Tasse Kamra mehr trinken könnt.« »Mit ein paar Piroggen bitte«, rief ich.

»Unser Kurusch hat einen schlechten Einfluss auf dich«, meinte Sir Juffin. »Du übernimmst seine Schwächen. Wann werden dir die ersten Federn wachsen?«

»Ich habe nichts gegen ein Gefieder. Buriwuche sind kluge Vögel. Und sie sind viel netter als so manche Mitmenschen.«

»Möglich«, pflichtete Juffin mir bei. »Aber ich frage mich, wie Federn zu deinem Gesicht passen würden.«

Er kicherte, doch das hielt ihn nicht ab, eine Pirogge von dem Tablett zu nehmen, das eben ins Büro getragen wurde.

Eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang erreichten Melifaro und ich den Admiralskai. Wir kamen rechtzeitig und sahen das Schiff aus Arwaroch langsam auf uns zukommen. Von weitem wirkte es sehr groß, ja Furcht einflößend.

»Du solltest besser ein Dichter sein, kein König«, meinte Melifaro, als er meine beeindruckte Miene sah.

»So was Ähnliches bin ich schon gewesen«, antwortete ich frech. »Aber das ist keine interessante Beschäftigung. Und man bekommt sein Geld nur sehr unregelmäßig.«

••Was? Hast du dich wirklich mit Dichtung beschäftigt?«, fragte Melifaro baff. »Wann war das?«

»Als ich durch die endlosen Ebenen der Grafschaft Wuk und der Leeren Länder gezogen bin.«

Melifaro schüttelte den Kopf. Er hatte wohl eine andere Vorstellung vom geheimnisvollen Prozess des literarischen Schaffens.

Ein Blick auf den träge dahinströmenden Churon erinnerte mich an unsere Mission. Das Schiff war nun sehr nahe gekommen.

»Jetzt müssen wir an etwas Trauriges denken, um nicht zu lachen«, meinte Melifaro. »Ich schlage »Meine erste Liebe* vor.«

»Das hilft mir wenig. Meine erste Liebe war eines meiner angenehmsten Erlebnisse. Ich war noch nicht mal ein Jahr alt, und die erste Dame meines Herzens war beinahe achtzig. Sie war eine Freundin meiner Großmutter und nahm mich ab und an in die Arme. Das war vielleicht ein Erlebnis, sag ich dir.«

Das Schiff machte längsseits am Kai fest. Direkt vor unseren Augen hing eine Strickleiter. Ich war begeistert. Noch nie hatte ich Gelegenheit gehabt, so etwas zu benutzen. Doch was tut man nicht alles für den Zoll und die Politik des Vereinigten Königreichs. Vor Angst kletterte ich behände wie ein Affe die Leiter hinauf. Nach ein paar Sekunden schon stand ich in Schuhen, die wunderbar zu meinem Todesmantel passten, an Deck, doch meine Knie zitterten mächtig.

Kurz darauf stand Melifaro neben mir. Wir konnten uns nun entspannen und etwas umsehen. Das war nicht leicht,

denn über uns hing die Takelage. Außerdem war das Deck leer. Wer auch immer uns die Strickleiter zugeworfen hatte, war offenbar im Halbdunkel verschwunden.

»Macht nichts«, sagte Melifaro und stieß mich in die Seite. »Gleich kommt der feierliche Auftritt des Kapitäns. Also sei bereit und denk schon mal an etwas Trauriges. Ich schlage dafür >Meine zweite Liebe- vor, nachdem deine erste Liebe so glücklich war.«

Am liebsten hätte ich Melifaro mit einer ausgedachten Geschichte überrascht, aber ein leises Klirren lenkte mich ab. Sein Urheber war ein so schöner Mensch, dass mir der Atem stockte.

Ein mindestens zwei Meter großer Hüne kam auf uns zu. Seine schneeweißen Haare waren zu einem Zopf geflochten, der bis zum Gürtel reichte. Er hatte große, bernsteinfarbene Augen, und sein Gesicht war eher weich und damit untypisch für einen Soldaten - genau wie seine dünne Nase und sein kleiner, beinahe kindlicher Mund.

Auch die Kleider des Unbekannten verdienen detaillierte Beschreibung: Hemd und Hose leuchteten in allen Farben des Regenbogens. Erstaunt stellte ich fest, dass sein Hemd trotz des Windes nicht flatterte. Später erfuhr ich, dass man sehr viel Kraft braucht, um sich in Wollsachen aus Arwaroch überhaupt zu bewegen. Seine Schuhe fielen dagegen fast normal aus, obwohl ihr Leder so dünn war, dass die Zehen beinahe zu erkennen waren. Erstaunt stellte ich fest, dass er nicht fünf, sondern sechs davon hatte. Gespannt musterte ich daraufhin seine Hände, doch die wiesen keine Überraschungen auf.

Obendrein trug der Unbekannte ein seltsames Wesen huckepack. Es sah aus wie eine Spinne, doch seine Beine waren kürzer und dicker. Das Wesen musterte uns aus allen acht Augen, die so bernsteinfarben wie die seines Besitzers waren. Ich musterte es mit meinen beiden Augen zurück.

Währenddessen warf der Unbekannte eine seltsame Waffe aufs Deck, die einer Machete ähnelte und beim Aufprall ein leises, stumpfes Geräusch erzeugte, das so gar nicht nach der Schneide eines Buschmessers klang. Sir Manga hat mir doch kürzlich erst erzählt, dass es in Arwaroch keine Metalle gibt, erinnerte ich mich und hätte gern gewusst, woraus die Leute dort ihre Waffen anfertigten.

Nach der Machete landete ein obskurer Gegenstand auf Deck, der einer gigantischen Fliegenklatsche ähnelte.

Nun stand der Riese unbewaffnet auf Armeslänge vor uns. Ein paar Sekunden betrachtete er uns weder aufdringlich noch neugierig noch wenigstens nervös, wie es in so einer Situation wohl normal wäre, sondern eher wie ein Vogeclass="underline" vorsichtig und doch gleichgültig. Schließlich machte er den Mund auf. »Mein Name ist Alotho Aliroch aus der Familie Eisenstein. Ich bin Herrscher von Aliurch und Tschijcho, grausamer Anführer von zweihundert Scharfzähnen und treuer und mächtiger Kämpfer von Tojla Liomurik aus dem Orden des Silbernen Tannenzapfens. So heißt der Eroberer von Arwaroch, der bis an die Grenzen Eurer Welt herrscht und dessen Geschichte in den Büchern von Charloch Sdobnik nachzulesen ist.«

»Ich sterbe gleich vor Langeweile!«