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Zu Füßen des Mannes aus Arwaroch lagen seine Waffen, und hinter ihm stand sein Gefolge: ein volles Hundert hünenhafter Soldaten in bügelfreiem Mantel und weißen Lederschuhen. Alle hatten die gleichen blonden Haare und bernsteinfarbenen Augen und sahen so gut aus wie ihr Anführer. Die Höflinge musterten die Ankömmlinge aus Arwaroch mit zurückhaltender Neugier.

Sir Juffin winkte mich herbei. Wir stellten uns links hinter dem Thron auf, wie es die Etikette verlangte. Rechts vom Thron war es eng, denn dort drängten sich viele Magnaten. Neben uns stand nur ein Herr mittleren Alters im weißblauen Mantel, der ihn als Mitglied des Ordens des Siebenzackigen Blatts auswies. Er nickte uns knapp zu. Ein Gespräch ließ die höfische Etikette in dieser Situation nicht zu.

Schließlich betrat der König den Saal, schritt die festlich geschmückten Treppenstufen zu seinem Thron hoch und setzte sich ein paar Meter über dem Fußboden nieder, nachdem er Juffin und mir kurz zugelächelt hatte. Sein Gesicht war zu einer Maske erstarrt, die ihren Träger erhaben und gelangweilt wirken ließ.

»Seid gegrüßt, Fremder!«, sprach der König leise. »Verratet uns bitte, was Euch an meinen Hof geführt hat.«

Der Mann senkte den Kopf und antwortete ebenso leise: »Mein Name ist Alotho Aliroch aus der Familie Eisenstein. Ich bin Herrscher von Aliurch und Tschijcho, grausamer Anführer von zweihundert Scharfzähnen und treuer und mächtiger Kämpfer von Tojla Liomurik aus dem Orden des Silbernen Tannenzapfens. So heißt der Eroberer von Arwaroch, der bis an die Grenzen Eurer Welt herrscht. Ich bin Gießer der königlichen Gewürzpflanze und Pfleger der Teppiche im Speisesaal, und ich reiche meinem Herrscher bei Neumond die dritte Tasse. Ich bin Erster Steuermann der königlichen Fregatte, bin berechtigt, hauchdünne Lederschuhe zu tragen, bin Träger des königlichen Schlüsselbunds und oberster Strafverfolger, was die rebellischen Völker angeht. Ich trage das neunte und das zwölfte Lied beim Sommerfest des Königs vor, bin Oberster Herdanzünder und spreche die Sprache der Morinen.«

»Das ist ja eine ungemein wichtige Person«, meldete Juffin sich per Stummer Rede bei mir, weil er Alothos Sermon nicht länger ertragen konnte. »Solche Großtaten werden wir nie vollbringen, mein armer Max.«

»Gestern Abend hat er sich bescheidener vorgestellt«, sagte ich. »Bestimmt hat er die ganze Nacht gegrübelt, welche Titel er besitzt, und sie brav auswendig gelernt.«

»Er hat nichts auswendig lernen müssen, sondern Melifaro und dich einfach für zu unwichtig gehalten, um die ganze Liste vorzutragen. Dem König dagegen präsentiert er die Palette seiner Titel. Wenn er vor seinen grausamen Toten Gott tritt, den die Leute aus Arwaroch tief verehren, wird er mindestens eine Woche pausenlos über sich reden, weil er dann erstmals Gelegenheit hat, alles über sich zu erzählen.«

Kurusch, der die ganze Zeit friedlich geschlafen hatte, wachte auf und wollte sich aus Juffins Mantel befreien.

»Ich will diese Leute auch sehen«, sagte der kluge Vogel ohne Umschweife.

»Kein Problem, Süßer. Sei aber bitte still«, flüsterte Juffin ihm zu und setzte ihn sich auf die Schulter.

Dann geschah etwas Unglaubliches.

Alotho Aliroch, der sich eben noch als grausamer Anführer von zweihundert Scharfzähnen vorgestellt hatte, fiel wortlos auf die Knie und presste die Stirn auf den Teppich. Sein Gefolge tat es ihm nach.

»Großer Buriwuch!«, rief Alotho mit zitternder Stimme.

Ich kam zu dem Schluss, unser ehrwürdiger Gast müsse verrückt geworden sein.

Im Kleinen Empfangssaal herrschte großes Durcheinander. Selbst der maskenhafte Gesichtsausdruck von König Gurig war verschwunden, und er blickte so erstaunt drein wie seine Höflinge.

»Die Bewohner von Arwaroch neigen dazu, unsere Macht zu überschätzen«, stellte Kurusch ungerührt fest. »Menschen haben allgemein einen Hang zur Übertreibung.«

»Da hast du Recht«, sagte Juffin lächelnd. »Aber darüber werden wir unseren ehrwürdigen Gast nicht aufklären. Soll er ruhig bei seinem Irrtum bleiben. Das kommt uns gelegen. Hab ich Recht, Hoheit?«

»Ich bin ganz mit Ihnen einverstanden«, flüsterte ihm der König zu. »Schade, dass wir das nicht früher gewusst haben.«

Alotho beruhigte sich langsam, erhob sich wieder und betrachtete Kurusch mit glühender Begeisterung.

»Ihr erweist mir eine gewaltige Ehre, oh Buriwuch! Wie kann ich Euch meine Dankbarkeit zeigen?«

»Ich bin hier auf Wunsch von König Gurig VIII. und des Ehrwürdigen Leiters des Kleinen Geheimen Suchtrupps. Denen kannst du deine Dankbarkeit zeigen. Und jetzt steht bitte wieder auf, Leute«, erklärte Kurusch kühl.

Juffin und ich tauschten einen erstaunten Blick. Der Buriwuch benahm sich so majestätisch, dass ich ihm den Thron überlassen hätte, wenn ich König gewesen wäre.

Endlich erhoben sich Alotho und sein Gefolge, und der Adonis aus Arwaroch sah den König dankbar an.

»Ich hätte nie gedacht, so eine Begegnung zu erleben. Der Herrscher, in dessen Auftrag ich unterwegs bin, wird Euch nie vergessen, welche Ehre Ihr mir mit diesem Treffen erwiesen habt. Mein König wird aus Anlass dieses Ereignisses sicher einen Liederzyklus in Auftrag geben, und ich werde mindestens zwei Liederkränze komponieren.«

Unser König, dem es unterdessen glücklich gelungen war, wieder seine so erhabene wie gelangweilte Maske aufzusetzen, lächelte gönnerhaft.

»Wir erweisen Euch diese Ehre, weil wir nach wie vor an einem freundschaftlichen Verhältnis zu Tojla Liomurik, dem Herrscher von Arwaroch, interessiert sind. Außerdem sind wir gern bereit, Euch zu helfen, und ich würde mich freuen, wenn Ihr mein Angebot nutzen würdet.«

Der letzte Satz war zwar nett formuliert, klang aber wie ein Befehl.

»Ich werde tun, was Ihr wünscht, Hoheit«, sagte Alotho gehorsam.

»Das freut mich«, sagte der König lächelnd. »Sir Juffin Halli, der heute zugegen ist, erwartet Euch morgen im Haus an der Brücke. Ich habe keinen Zweifel daran, dass er und seine Mitarbeiter alles unternehmen werden, um Eurem Wunsch nach Auslieferung des Übeltäters Genüge zu tun. Aber jetzt auf Wiedersehen, meine Herrschaften. Die Begegnung mit Euch allen hat mir wirklich viel Freude gemacht.«

Ich hatte keinen Zweifel daran, dass der König die Wahrheit gesagt hatte. Vor allem aber Kurusch hatte seinen Spaß gehabt.

Wir kehrten ins Haus an der Brücke zurück. Unterwegs benahm sich der Buriwuch wie ein frisch gekrönter Herrscher.

Juffin und ich setzten uns ins Büro und betrachteten den Vogel erwartungsvoll. Kurusch putzte sein Gefieder, als sei nichts geschehen.

»Findest du nicht, mein Lieber, du solltest uns erklären, was in die Schönlinge aus Arwaroch gefahren ist, als sie dich sahen?«

»Nichts Besonderes. Die Bewohner von Arwaroch halten uns für Götter, und das nicht ohne Grund. Wo viele von uns leben, sieht die Welt aus, wie wir es uns wünschen, und Arwaroch ist das einzige Land, in dem wir zahlreich sind. Wir Buriwuche mögen hübsche Leute. Deshalb sind die Bewohner von Arwaroch so hübsch. Sie haben die gleiche Augenfarbe wie wir, weil diese Farbe uns gefällt. Sie sind schweigsam, weil wir kein Interesse daran haben, uns lange Gespräche anzuhören. Sie sind fleißig, damit uns nie der Gesprächsstoff ausgeht. Wir Buriwuche leben in den Tag hinein, doch wenn wir spüren, dass wir sterben müssen, fliegen wir nach Arwaroch, denn dort wird uns die Verehrung entgegengebracht, die wir uns wünschen. Die Leute aus Arwaroch sind fasziniert vom Tod, weil sie glauben, als Buriwuch wiedergeboren zu werden. Das ist zwar Aberglaube, aber ich vermute, manchem ist das schon gelungen. In Arwaroch werden wir wie Götter verehrt«, sagte Kurusch und machte sich alsdann über eine Nuss her.

»Das weiß ich doch alles«, sagte Juffin. »Aber ich hätte nicht gedacht, dass die Leute aus Arwaroch wissen, wie mächtig ihr seid.«