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»Eigentlich nur die Wahrheit. Ich hab ihm gesagt, er soll ins Haus gehen und eine Nummer ziehen. Aber ich hab ihm erzählt, die gezogene Zahl bestimme, mit wie vielen Frauen er die Nacht verbringen müsse. Stell dir vor, er zieht die 78!«

»Und wenn er eine Niete zieht?«, fragte ich grinsend.

»Dann tobt er sicher so laut, dass die ganze Stadt aufwacht.«

»Stimmt. Aber findest du nicht, dass du ihm einen schlechten Dienst erwiesen hast?«

»Ich bitte dich!«, rief Melifaro empört. »Seit wann bist du so gefühlsduselig? Und wie soll man jemanden behandeln, der ständig das Wort Weiber benutzt und sich obendrein gezwungen fühlt, laufend Frauen anzubaggern?«

»Ich fürchte, ich muss dich gleich verhaften - als Anstifter zu einer öffentlichen Ruhestörung«, sagte ich versonnen. Dann musste ich lachen, weil wir gerade die ersten empörten Schreie hörten.

»Es geht los«, flüsterte Melifaro begeistert. »Sündige Magister, es geht los!«

»Auf jeden Fall wird keine Frau sich entschließen, eine Nacht mit ihm zu verbringen.«

In diesem Moment ging die Tür des Hauses für suchende Männer auf, und ein empörter Gast aus Isamon flog auf die Straße. Seine orangefarbene Hose schimmerte im Licht der Straßenlaterne, und seine Mütze saß erstaunlicherweise so tadellos wie angeklebt.

»Du Missgeburt! Ich komm zurück und zeig's dir!«, rief er empört. »Ich zeig's euch allen! Ich hab Beziehungen zum Hof!«

»Seine Beziehung zum Hof bist du«, meinte Melifaro und zwinkerte mir zu. »Du bist jetzt seine ganze Hoffnung.«

»Wenn du dich nicht gleich beruhigst, alarmiere ich die Polizei«, hörten wir eine Stimme, die offenbar dem Wirt des Etablissements gehörte. »Sei den Dunklen Magistern dankbar, dass du hier fremd bist. Sonst hätte ich dir nicht erlaubt, nach dem, was du hier angerichtet hast, nach Hause zu gehen.«

»Komm, gehen wir, Nachtantlitz«, flüsterte mir Melifaro zu. »Aber leise. Ich hab diesen Mann restlos satt. Kann ich vielleicht bei dir übernachten?«

»Natürlich.«

»Weißt du«, seufzte Melifaro, »er weckt mich nachts und erzählt mir unsinnige Geschichten aus seiner Jugend, schmatzt beim Frühstück und überhaupt ... Dann fahre ich jetzt also zu dir? Du musst sowieso ins Haus an der Brücke.«

»Was? Willst du nicht nur mein Bett, sondern auch mein A-Mobil mit Beschlag belegen?«

»Als Hellseher taugst du wirklich nicht. Ich nehme den Dienstwagen. Schließlich muss ich meine Privilegien nutzen.«

Als wir das Haus an der Brücke erreichten, warf Melifaro sich auf die Rückbank seines Dienstwagens. Der verschlafene Fahrer versuchte, einen munteren Gesichtsausdruck zu machen.

»Füttere bitte meine Katzen!«, rief ich Melifaro nach.

»Ich kämme sie obendrein!«, rief er amüsiert zurück. »Keine Sorge, ich bin ein echter Junge vom Dorf und habe keine Scheu vor Tieren.«

Ich sah im Fressfass vorbei, um Piroggen für den wunderbaren Buriwuch zu erstehen, und ging ins Haus an der Brücke, wo ich noch ein wenig in meinem Sessel dösen wollte.

Überraschenderweise schlief dort schon Sir Kofa, unser Meister des Verhörs. Das war ziemlich seltsam, da er um diese Zeit üblicherweise durch die Wirtshäuser von Echo zog.

»Ach!«, rief ich begeistert. »Haben wir die Rollen getauscht? Zieh ich jetzt in der Stadt herum, und du langweilst dich im Haus an der Brücke?«

»Ich bin eigentlich gekommen, um mit unserem klugen Vogel über die Leute aus Arwaroch zu sprechen«, sagte Kofa und gähnte. »Alle reden nur darüber, und das interessiert mich. Außerdem nehme ich an, dass wir den entlaufenen Mudlach suchen müssen. Es ist also besser, sich rechtzeitig zu informieren.«

»Möchtest du etwas Kachar-Balsam?«, schlug ich vor. »Ich hab dich noch nie so müde gesehen. Dabei war es in den letzten Tagen ziemlich ruhig.«

»Stimmt«, meinte Sir Kofa. »Das sind nur meine familiären Probleme. Mach dir nichts draus. Aber Kachar-Balsam würde ich tatsächlich gern trinken.«

»Kann ich dir vielleicht helfen?«, fragte ich und suchte dabei im Schreibtisch nach dem Wundermittel. Ich hatte gedacht, nur ich hätte persönliche Probleme.

»Du?«, fragte Sir Kofa lachend. »Nein, du kannst mir nicht helfen. Vergiss den ganzen Quatsch am besten.«

»Warum hast du eigentlich gerade diesen grässlichen Kerl erwähnt?«

»Du meinst Mudlach?«, fragte Sir Kofa. »Ich glaube, wir müssen den tapferen, aber nicht immer aufrichtigen Schönlingen bei der Suche helfen.«

»Das wird sicher leicht. Soweit ich weiß, unterscheiden sich die Leute aus Arwaroch deutlich von den Bewohnern des Vereinigten Königreichs.«

»Da hast du natürlich Recht. Aber du weißt doch, dass ich mein Äußeres und das meiner Mitmenschen ändern kann. In Echo gibt es noch andere Spezialisten, die diese Kunst beherrschen. Mudlach hat bestimmt bei einem von ihnen Hilfe gesucht. Außerdem leben hier viele Flüchtlinge aus Arwaroch.«

»Wirklich?«, fragte ich erstaunt. »Ich hab noch keinen gesehen.«

»Das hast du bestimmt, doch sie riskieren es natürlich nicht, mit ihrem früheren Aussehen durch die Straßen zu ziehen. Glaub mir aber: Ich bin nicht der Einzige in Echo, der die Kunst der Verwandlung beherrscht.«

»Kann man eigentlich herausfinden, ob das Gesicht eines Menschen echt ist oder nicht?«

»Vielleicht«, sagte Sir Kofa. »Aber niemand weiß, wie. Nach dem Gespräch mit Kurusch ist mir klar, dass wir einen anderen Weg gehen müssen. Jeder Buriwuch kann die Bewohner von Arwaroch hundertprozentig erkennen -egal, wie sie aussehen.«

»Toll«, meinte ich, erinnerte mich der Piroggen und legte sie dem dösenden Kurusch hin. Besser spät als nie.

»Ich dachte schon, du hättest sie vergessen«, murmelte der Vogel. »Die Menschen haben die Neigung, ihre Versprechen zu vergessen.«

»So was ist mir hier noch nie passiert.«

»Doch, doch - am achten Tag des 116. Jahres. Aber wie ich zugeben muss, war das bisher das einzige Mal.«

Sir Kofa hörte uns begeistert zu und sagte dann: »Na gut, ich mach jetzt einen Spaziergang durchs nächtliche Echo. Dank euch beiden bin ich wieder topfit. Und du, Max, solltest dir einen Vorrat dieses wunderbaren Balsams zulegen. Uns steht einiges bevor.«

»Ihr erschreckt mich alle«, meinte ich lächelnd. »Zuerst hat Juffin mir geraten, mich noch etwas zu erholen, bevor es ernst wird, und nun sagst du, ich soll Kachar-Balsam bunkern.«

»Na ja, immer wenn ich das Wort Arwaroch höre, will sich mir der Magen umdrehen. Und wenn diese Schönlinge zu uns kommen, ist das Leben in Echo um einiges turbulenter.«

Nach dieser erschreckenden Prophezeiung schlief ich in meinem Sessel ein. Ich zog nicht mal den Todesmantel aus. Vielleicht würde ich ihn ja bald brauchen.

Sir Juffin weckte mich. Seine Morgenfrische erschien mir abstoßend. Ich wollte die Schublade mit dem Kachar-Balsam öffnen, doch Juffin lachte nur und hielt meine Hand fest.

»Geh nach Hause und schlaf ein bisschen. Du kannst gegen Mittag zurückkommen. Im Moment gibt es ohnehin wenig zu tun. Die Leute aus Arwaroch kommen erst am späten Nachmittag. Du hast also Glück.«

Zu Hause stieß ich auf Melifaro, der so verschlafen und mies gelaunt war wie ich. Es ging ihm noch schlechter als mir, weil er zum Dienst musste. Wir hatten nicht mal die Kraft, uns guten Tag zu sagen.

Wortlos ging ich ins Schlafzimmer hinauf.

Kurz vor zwölf wurde ich langsam wach und brummelte im Halbschlaf vor mich hin: »Jetzt sieht die Welt wieder ganz anders aus.« Ich finde, man sollte möglichst lange und tief schlafen und so spät wie möglich aufstehen. Wieder spürte ich Sympathie für die Leute aus Arwaroch, die auch in dieser Hinsicht meine Meinung teilten.

Zeitgleich mit dem ehrwürdigen Alotho erreichte ich das Haus an der Brücke und betrat den Saal der allgemeinen Arbeit ein paar Sekunden vor ihm, da ich den Geheimeingang benutzt hatte. All unsere Mitarbeiter waren schon versammelt. Sogar Sir Lukfi Penz hatte sein Großes Archiv verlassen. Offenbar brannte auch er vor Neugier.