Выбрать главу

Der Kimdissi vollführte mit seinem Glas kreisförmige Bewegungen und kicherte. »Na ja, das zeugt von erheblichem moralischem Mut. Durchaus. Jesus Christus, Sokrates und Erika Stormjones. Und jetzt Dirk t’Larien.

Große Märtyrer der Geschichte, nicht? Vielleicht schreibt der Rotstahlpoet ein Gedicht über Sie.«

Gwen gab eine ernstzunehmendere Antwort. »Das sind Braiths, Dirk, hochleibeigene Braiths der alten Schule.

Auf Hoch Kavalaan hätte man dich niemals zum Duell gefordert. Der Rat der Hochleibeigenen hat entschieden, daß Außenweltler dem Kodex nicht unterworfen sind.

Aber hier ist es anders. Der Schiedsrichter wird deine Andersartigkeit nicht anerkennen, und Bretan Braith und seine Festhaltbrüder werden dich töten oder jagen. Wenn du nicht zum Duell antrittst, hast du dich in ihren Augen als Spottmensch erwiesen.« »Ich kann nicht davonlaufen«, wiederholte Dirk. Seine Argumente hatten sich plötzlich in Luft aufgelöst, nur Gefühle blieben noch, eine Bestimmung, dem Morgengrauen entgegenzutreten und es durchzustehen.

»Damit werfen Sie den letzten Rest Rationalität über Bord, ja, so muß man es nennen. Es hat mit Feigheit nichts zu tun, Dirk, sondern ist die tapferste aller Wahlen, wenn Sie so wollen. Durch Ihre Flucht ziehen Sie sich ihren Zorn zu. Auch dann müssen Sie der Gefahr ins Auge sehen. Wahrscheinlich werden Sie von Bretan Braith — falls er überlebt — und den anderen gejagt werden. Aber Sie leben und können ihnen vielleicht aus dem Wege gehen. Und Sie können Gwen helfen.« »Ich kann nicht«, sagte Dirk. »Ich habe es Jaan und Garse versprochen.«

»Versprochen? Was denn? Daß Sie sterben werden?«

»Nein, das heißt ja. Ich meine, Jaan nahm mir das Versprechen ab, Janaceks Bruder zu sein. Die beiden hätten kein Duell am Halse, wenn Vikary nicht versucht hätte, mich aus dem Schlamassel herauszuholen.«

»Nachdem dich Garse hineingeritten hat«, sagte Gwen bitter, und Dirk fiel das Gift auf, das sich plötzlich in ihre sanften Töne geschlichen hatte.

»Auch sie können morgen sterben«, sagte Dirk unsicher, »und ich bin dafür verantwortlich. Und ihr sagt mir, ich solle sie im Stich lassen!« Gwen trat ganz nahe an ihn heran, streichelte ihm leicht über die Wangen und strich ihm das graubraune Haar aus der Stirn. Ihre grünen Augen versanken in den seinen. Auf einmal erinnerte er sich an andere Versprechen: das Flüsterjuwel, das Flüsterjuwel. Und lang vergangene Zeiten zogen wieder vorbei, die Welt drehte sich, und alles begann miteinander zu verschmelzen, ineinanderzufließen.

»Dirk, hör mir einmal zu«, sagte Gwen leise. »Ich war der Grund dafür, daß Jaan in insgesamt sechs Duelle verwickelt wurde. Garse, der mich nicht einmal liebt, nahm an vieren davon teil. Sie haben für mich, für meinen Stolz und meine Ehre getötet. Ich habe es nicht verlangt, ebensowenig wie du um ihren Schutz gebeten hast. Es war ihre Auffassung von meiner Ehre, nicht meine. Dennoch bedeuteten diese Duelle für mich soviel wie dir jetzt dieses eine. Und doch — hast du mich nicht auch gebeten, sie zu verlassen, zu dir zurückzukehren, wieder dich zu lieben?«

»Ja«, antwortete Dirk. »Aber … ich weiß nicht. Hinter mir habe ich eine Spur gebrochener Versprechen zurückgelassen.« In seiner Stimme klang Schmerz mit.

»Jaan hat mich zum keth gemacht.« »Und wenn er Sie Plätzchen nennt, hüpfen Sie in den Backofen, hm?« schnauzte Ruark.

Gwen schüttelte nur traurig den Kopf. »Was fühlst du?

Eine Pflicht? Eine Schuld?«

»Ich glaube schon«, sagte er widerstrebend.

»Dann hast du dir selbst geantwortet, Dirk. Du hast meine Antwort vorweggenommen. Wenn du dich so stark fühlst, die Pflichten eines keth auf Zeit zu erfüllen, eines Bundes, der auf Hoch Kavalaan nicht einmal existiert — wie kannst du mich dann bitten, Jade-und-Silber abzulegen? Betheyn bedeutet mehr als keth.« Ihre weichen Hände verließen sein Gesicht. Sie trat zurück.

Dirks Hand schnellte vor und faßte sie am Handgelenk — am linken Handgelenk. Seine Finger umschlossen kaltes Metall und geschliffene Jade. »Nein«, sagte er. Gwen schwieg. Sie wartete.

Für Dirk war Ruark vergessen, der Arbeitsraum hatte sich in Dunkelheit aufgelöst. Nur Gwen war noch da. Sie starrte ihn mit grünen, weitaufgerissenen Augen an, die angefüllt waren mit… Versprechungen? Drohungen?

Unerfüllt gebliebenen Träumen? Sie wartete, ohne ein Wort zu sagen, während er über seine Sätze stolperte und nicht wußte, wie er seine Empfindungen formulieren sollte. Das Jade-und-Silber lag kalt in seiner Hand, und er erinnerte sich: Rote Tränen voller Liebe, eingebettet in Silber und Samt, brennend vor eisiger Kälte.

Jaans Gesicht. Hohe Jochbeine, das kantige Kinn, das zurückgekämmte schwarze Haar und das oberflächliche Lächeln. Seine Stimme, wie Stahl, immer beherrscht: Aber ich existiere.

Die heulenden, spottenden weißen Geistertürme von Kryne Lamiya, die zum monotonen Schlag einer entfernten Trommel schiere Verzweiflung hinaussangen.

Inmitten von allem: Widerstand und Entschlußkraft.

Einen Moment lang hatte er gewußt, was er sagen wollte.

Das Gesicht von Garse Janacek: fern (die Augen wie blauer Rauch, der Kopf emporgereckt, der Mund geschlossen), feindselig (Eis in den Augenhöhlen, ein wildes Lächeln hinter seinem Bart versteckt), voll schwarzen Humors (die Augen zum Irrsinn verleitend, die Zähne entblößt wie das Grinsen von Gevatter Tod höchstpersönlich). Bretan Braith Lantry: zuckende Nervenstränge und ein Glühsteinauge, eine Schreckens-und Mitleidsgestalt mit kaltem, furchteinflößendem Kuß.

Roter Wein in Obsidianschwenkern, ein Bouquet, das in den Augen brannte, Umtrunk in einem Zimmer voll Zimtgeruch und fremdartiger Kameradschaft. Worte: Ein Festhaltbruder besonderer Art, sagte Jaan.

Worte: Er wird falsches Spiel treiben, prophezeite Garse. Gwens Gesicht, eine jüngere Gwen, schlanker, mit etwas strahlenderen Augen. Gwen lachend. Gwen weinend. Gwen im Orgasmus. Ihn umarmend, ihre Brüste von leichtem Rot überzogen, das sich über den ganzen Körper ausbreitete. Ihr Flüstern: Ich liebe dich, ich liebe dich. Jenny! Ein einsamer schwarzer Schatten, der einen flachen Lastkahn den endlos dunklen Kanal entlangstakt. Erinnerungen …

Seine Hand, die ihr Gelenk umspannt hielt, begann zu zittern. »Wenn ich mich nicht duelliere — wirst du dann Jaan verlassen? Und mit mir kommen?«

Ihr antwortendes Nicken kam schmerzhaft langsam.

»Ja. Ich habe den ganzen Tag daran gedacht und mit Ruark darüber geredet. Wir haben es so geplant. Er sollte dich hier heraufbringen, während ich Jaan und Garse sagen wollte, daß ich noch zu arbeiten hätte.« Dirk streckte die Beine aus, sie waren ganz steif und eingeschlafen. Hunderte kleiner Nadeln und Messer peinigten ihn. Er stand entschlossen auf. »Du wolltest es also ohnehin tun? Es geht nicht allein um das Duell?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Dann werde ich gehen. Wann können wir Worlorn frühestens verlassen?«

»In zwei Wochen und drei Tagen«, sagte Ruark.

»Vorher startet kein Schiff.«

»Wir müssen uns verstecken«, sagte Gwen. »Wenn man alles abwägt, dann ist dies der sicherste Weg. Heute nachmittag war ich mir nicht im klaren, ob ich Jaan meine Entscheidung mitteilen sollte oder nicht. Ich dachte, wir würden vielleicht darüber reden und dann zusammen hinaufgehen, um ihm gegenüberzutreten.

Aber die Sache mit dem Duell hat alles verändert. Jetzt würden sie dich nicht mehr gehen lassen.« Ruark kletterte von seinem Sitz herunter. »Dann verschwindet«, sagte er. »Ich werde bleiben und aufpassen, ihr könnt anrufen und euch erzählen lassen, was passiert ist.

Solange Garsey und Jaantony ihr Duell nicht verloren haben, bin ich sicher. Nötigenfalls komme ich schnell angerannt und schließe mich euch an, in Ordnung?« Dirk nahm Gwens Hände. »Ich liebe dich«, sagte er. »Noch immer.« Sie lächelte gerührt. »Ja, und ich freue mich so darüber, Dirk. Vielleicht können wir einen neuen Anfang machen. Aber wir müssen schnell handeln und verschwinden. Von jetzt an sind alle Kavalaren unsere Feinde.«