Sie schwammen nackt im Emerelimeer, einem mit Süßwasser gefüllten Pseudo-Ozean, der den größten Teil des 231. und 232. Stockwerks einnahm. Das Wasser war kristallgrün und so klar, daß sie Algenschläuche sehen konnten, die sich zwei Stockwerke unter ihnen sinusförmig schlängelnd bewegten. Überall am Rand waren Leuchtfliesen eingelassen, was die Illusion hellsten Sonnenscheins hervorrief. Kleine, sich von Unrat ernährende Fische schossen in den größeren Tiefen des Ozeans hin und her, während an der Oberfläche Schwimmpflanzen — die Riesenpilzen aus grünem Filz glichen — trieben und schaukelten. Um die Rampe hinunterzukommen, benutzten sie Energie-Skier. Eine wagemutige, schneidige Abfahrt über weichen Kunststoff trug sie vom hundertsten Stockwerk bis hinab in die erste Etage. Dirk stürzte zweimal, was aber nur bedeutete, daß ihn ein Energie-Prallfeld in die aufrechte Position zurückwarf. Sie besichtigten eine Null-g-Turnhalle.
Sie sahen in verdunkelte Theatersäle, in denen Tausende Platz hatten, lehnten aber die Holostücke ab, die ihnen die Stimme anbot. In einem Cafe, das sich in einer einst belebten Einkaufsstraße befand, aßen sie kurz und ohne große Lust.
Sie spazierten auf gelbem Moos durch einen Dschungel knorriger Bäume, wo Tiergeräusche vom Band abgespielt wurden und von den Wänden des heißen, dunstigen Parks seltsam widerhallten. Noch immer unruhig, besorgt und kaum auf andere Gedanken gebracht, erlaubten sie der Stimme schließlich, sie rasch zu ihrem Zimmer zurückzubringen. Draußen breitete sich die Abenddämmerung über Worlorn aus.
Dirk stand in dem schmalen Gang zwischen Bett und Wand, als er die bewußte Ziffernfolge wählte. Gwen saß direkt hinter ihm. Es dauerte lange, bis Ruark antwortete, zu lange. Angstvoll fragte sich Dirk, ob etwas Schreckliches geschehen sein mochte. Aber während er noch nachdachte, verschwand das pulsierende blaue Rufzeichen, und das rundliche Gesicht des Kimdissi-Ökologen füllte den Schirm aus. Hinter ihm war das blasse Grau eines verlassenen, schmutzigen Appartements zu sehen.
»Nun?« sagte Dirk. Er warf einen Blick über die Schulter und schaute auf Gwen. Sie kaute auf ihrer Unterlippe. Ihre rechte Hand ruhte auf dem Jade-und-Silber-Armreif, den sie noch immer um den linken Unterarm trug.
»Dirk? Gwen? Seid ihr es? Ich kann euch nicht sehen, mein Schirm bleibt dunkel.« Ruhelos wanderten Ruarks blasse Augen unter glatten Strähnen noch blasseren Haares hin und her.
»Natürlich sind wir es«, fauchte Dirk. »Wer sonst würde diese Nummer wählen?«
»Ich kann euch nicht sehen«, wiederholte Ruark.
»Arkin«, sagte Gwen vom Bett aus, »wenn du uns sehen könntest, wüßtest du, wo wir sind.«
Ruarks Kopf bewegte sich suchend. Ganz entfernt ließ der Halsansatz ein Doppelkinn ahnen. »Ja, ich habe nicht daran gedacht, ihr habt recht. Ich weiß es besser nicht — oder?«
»Das Duell«, platzte Dirk heraus. »Heute morgen! Was war los?« »Geht es Jaan gut?« fragte Gwen.
»Es gab kein Duell«, berichtete Ruark. Seine Augen suchten noch immer ziellos nach einem Punkt, auf den sie blicken konnten. Oder hatte er Angst davor, daß ihn die Kavalaren in dem leeren Appartement überraschen könnten? »Ich ging hin, aber es gab kein Duell. Das ist die Wahrheit.«
Gwen seufzte hörbar. »Dann sind alle wohlauf? Jaan?«
»Jaantony lebt und ist wohlauf, ebenso Garse. Und die Braiths sind es auch. Es gab keine Schießerei und keine Toten, aber als Dirk nicht kam, um nach Fahrplan zu sterben, wurden alle verrückt. Ja, so war es.« »Erzählen Sie«, sagte Dirk ruhig.
»Ja, nun, Sie waren der Grund, daß das andere Duell verschoben wurde.«
»Verschoben?« sagte Gwen.
»Verschoben«, wiederholte Ruark. »Sie werden noch kämpfen, nach gleichem Modus und mit gleichen Waffen — aber nicht jetzt. Bretan Braith wandte sich an den Schiedsrichter. Er sagte, er hätte ein Recht darauf, zuerst Dirk gegenüberzustehen, da er im Duell mit Jaan und Garse sterben könnte und die Beleidigung durch Dirk damit ungesühnt bliebe. Er verlangte, das zweite Duell auszusetzen, bis man Dirk gefunden habe. Der Schiedsrichter gab ihm recht. Ein Werkzeug der Braith, der Schiedsrichter. Ja, er hat allem zugestimmt, was diese Tiere wollten.
Roseph Hoch-Braith nannten sie ihn. Ein durch und durch böswilliger Mann.«
»Und die Eisenjades?« fragte Dirk. »Sagten sie etwas?« »Jaantony — nichts. Nein, er sagte überhaupt nichts. Stand nur ganz ruhig in seiner Ecke des Todesquadrates. Die anderen benahmen sich wie Kavalaren, sie rannten herum, riefen und schrien wild durcheinander. Außer Jaan betrat überhaupt keiner das Todesquadrat. Aber er stand darin, als würde er jeden Moment den Beginn des Duells erwarten. Garsey, ja, er wurde sehr wütend. Zuerst, als Sie nicht kamen, machte er Witze über Sie. Dann wurde er sehr still und zurückhaltend, so ruhig wie Jaan. Aber später, glaube ich, ärgerte er sich nicht mehr so sehr. Er begann mit Bretan Braith, dem Schiedsrichter und dem anderen Duellanten, Chell, zu streiten. Auch alle anderen Braiths waren anwesend, wahrscheinlich wollten sie zusehen. Ich wußte gar nicht, daß wir in Larteyn soviel Gesellschaft hatten, nein. Gewiß, ich hatte davon gehört, aber wenn alle zusammenkommen, sieht es doch ganz anders aus.
Auch ein Shanagate-Paar kam. Nur der Rotstahldichter war nicht anwesend. Mit ihm und euch beiden fehlten also insgesamt drei. Eigentlich hätte es sich auch um eine Stadtratsversammlung handeln können. Alle waren so förmlich gekleidet.« Er kicherte. »Wissen Sie, was nun geschehen wird?« fragte Dirk. »Keine Angst«, sagte Ruark. »Ihr beide werdet euch verstecken und das Schiff erreichen. Sie werden euch nicht finden, denn schließlich können sie nicht den ganzen Planeten auf den Kopf stellen! Ich glaube, die Braiths werden es nicht einmal versuchen. Na ja, man hat Sie natürlich zum Spottmenschen erklärt. Bretan Braith verlangte es, und sein Partner sprach von alten Traditionen. Andere Braiths hieben in die gleiche Kerbe. Der Schiedsrichter sagte schließlich, da Sie nicht zum Duell erschienen seien, könnte es sich bei Ihnen unmöglich um einen echten Menschen handeln. Nun werden Sie vielleicht gejagt, aber nicht mit großem Aufwand. Sie gelten nur als ein Tier unter vielen, die es zu töten gilt. Jedes andere tut es auch.«
»Spottmensch«, sagte Dirk hohl. Seltsamerweise kam es ihm vor, als hätte er etwas verloren.
»Das ist Bretan Braiths Einstellung und die seiner Konsorten. Garse wird Sie hartnäckiger suchen, glaube ich. Aber er wird Sie nicht wie ein Tier jagen. Er schwor, Sie würden im Duell gegen Bretan Braith antreten müssen und danach gegen ihn — vielleicht aber auch gegen ihn zuerst.«
»Was ist mit Vikary?« fragte Dirk.
»Ich erzählte es Ihnen bereits. Er sagte überhaupt nichts, rein gar nichts.«
Gwen erhob sich vom Bett. »Du hast bisher nur von Dirk geredet«, sagte sie. »Was ist mit mir?«
»Mit dir?« Ruarks blasse Augen zwinkerten. »Die Braiths wollten auch in dir einen Spottmenschen sehen, aber Garse ließ es nicht zu. Er drohte, jeden sofort herauszufordern, der dich berühren sollte. Roseph Hoch-Braith quasselte weiter. Er wollte dich genau wie Dirk zum Spottmenschen erklären, aber Garse wurde sehr böse. Soviel ich weiß, können Kavalarduellanten Schiedsrichter herausfordern, die schlechte Entscheidungen treffen, obwohl sie seinen Entscheidungen Folge leisten müssen, nicht? Und deshalb, Gwen, bist du noch immer betheyn und beschützt. Falls sie dich erwischen, werden sie dich nur zurückbringen. Danach wird man dich bestrafen, aber das ist Sache von Eisenjade. In Wahrheit haben sie nicht übermäßig viel über dich geredet. Über Dirk wurden mehr Worte verloren.