Ein einziger heller Stern leuchtete in dem breiten flachen Rechteck, das die Schleuse aus dem Himmel dieser Außenwelt schnitt. Es war dunkel, draußen wie drinnen.
Kein Licht flammte auf, als sie eintraten.
Aber der Gleiter war noch an Ort und Stelle.
Zusammengekauert wie ein Lebewesen stand er in der Dunkelheit, ganz wie ein Banshee, dem er ähneln sollte.
Und kein Braith bewachte ihn.
Gwen schnallte Sensorenkoffer und Geländeausrüstung ab und warf beides auf den Rücksitz, wo noch immer die Himmelsflitzer lagen. Dirk stand daneben und sah ihr frierend zu. Die Luft an diesem Abend war unangenehm kühl, Ruarks Überwurf hätte er jetzt gut gebrauchen können.
Gwen bediente ein Instrument am Armaturenbrett, und ein Teil der Karosserie des Manta öffnete sich. Dann ging sie um den Gleiter herum und knipste eine Lampe an, die sich an der Unterseite der Haube befand. In dem schwachen Lichtschein sah Dirk, daß sich dort auch Werkzeug in Stecktaschen befand.
Gwen stand im gelben Lichtkegel und studierte die komplizierte Maschinerie des kavalarischen Fahrzeugs.
Dirk trat neben sie.
Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Nein«, sagte sie mit müder Stimme. »Es wird nicht gehen.«
»Vielleicht können wir vom Antischwerkraftgenerator Energie abzweigen«, schlug Dirk vor. »Werkzeug ist vorhanden.« »Ich verstehe nicht genug davon«, sagte sie.
»Ein bißchen nur … Ich hatte gehofft, herausfinden zu können … Ach, ich kann es nicht. Es ist nicht nur eine Frage der Energie. Die Flügellaser sind noch nicht einmal angeschlossen. Viel mehr als ornamentale Zierstücke sind sie in diesem Zustand nicht.« Fragend sah sie Dirk an. »Ich nehme nicht an, daß du … ?«
»Nein«, sagte er.
Sie nickte. »Dann haben wir keine Waffe.«
Dirk starrte an dem Manta vorbei auf Worlorns leeren Himmel. »Wir könnten von hier wegfliegen.«
Gwen klappte die Haube zu, und der dunkle Banshee sah wieder so wild aus wie zuvor. Ihre Stimme klang niedergeschlagen. »Nein! Denk daran, was du gesagt hast. Draußen werden die Braiths warten. Ihre Gleiter starren vor Waffen. Wir hätten keine Chance. Nein.« Sie ging um Dirk herum und stieg in den Gleiter ein.
Nach einer Weile folgte er ihr. Beim Hinsetzen achtete er darauf, daß er weiterhin den kalten Stern am einsamen Nachthimmel beobachten konnte. Er war sich seiner Müdigkeit bewußt und wußte auch, daß sie nicht allein körperlicher Art war. Als sie nach Challenge gekommen waren, hatten ihn seine Gefühle überschwemmt wie Wellen einen Strand. Aber plötzlich schien es ihm, als wäre der ganze Ozean verschwunden, der die .Wellen an den Strand geworfen hatte. »Ich glaube, du hattest vorhin im Korridor recht«, sagte er mit gedankenverlorener, introvertierter Stimme, ohne Gwen anzusehen. »Was meinst du?« fragte sie.
»Die Sache mit dem Egoismus … du weißt schon … wenn man kein weißer Ritter ist.« »Ein weißer Ritter?«
»Wie Jaan. Ich war vielleicht nie ein weißer Ritter, aber auf Avalon habe ich mich gern für einen gehalten. Ich habe an viele Dinge geglaubt. Jetzt kann ich mich nicht einmal mehr an sie erinnern. Außer an dich natürlich, Jenny. An dich habe ich immer gedacht. Und zwar, weil… nun, du weißt schon … In den letzten Jahren habe ich viele Dinge getan … Nichts Schlimmes, aber dennoch Dinge, die ich auf Avalon nicht getan hätte. Zynische Dinge, egoistische Sachen. Aber bis heute habe ich noch nie einen Menschen getötet.«
»Geißle dich nicht selbst, Dirk«, sagte sie. Auch in ihrer Stimme klang Müdigkeit mit. »Es führt zu nichts.«
»Ich will etwas tun«, sagte Dirk. »Ich muß. Ich kann nicht nur… weißt du? Du hattest recht!«
»Wir können nichts anderes tun als davonlaufen und sterben. Und dadurch ändert sich gar nichts. Wir haben keine Waffe.« Dirk lachte gequält. »Warten wir also, bis Jaan und Garse kommen und uns retten, und dann … Unsere Wiedervereinigung war nur von kurzer Dauer, nicht?«
Ohne eine Antwort zu geben, beugte sie sich nach vorn und legte Kopf und Arme auf das Armaturenbrett. Dirk warf ihr einen flüchtigen Blick zu und starrte dann wieder nach draußen. In seiner dünnen Kleidung fror er immer noch, aber irgendwie erschien ihm das nicht mehr wichtig.
Schweigend saßen sie in dem Manta. Bis Dirk sich schließlich umdrehte und ihr eine Hand auf die Schulter legte. »Die Waffe«, sagte er mit seltsam belustigter Stimme. »Jaan sagte, wir hätten eine Waffe.« »Die Laser im Gleiter«, meinte Gwen. »Aber …« »Nein«, sagte Dirk und grinste, »nein, nein, nein\« »Was könnte er sonst gemeint haben?«
Als Antwort schaltete Dirk das Antigravfeld des Gleiters an. Der graue Metallbanshee erwachte summend und hob sich leicht von den Boden- . platten. »Den Gleiter«, sagte er. »Den Gleiter selbst.« »Die Braiths draußen haben auch Gleiter«, sagte sie. »Bewaffnete Gleiter.«
»Ja«, sagte Dirk. »Aber Jaan und ich haben nicht über die Braiths draußen gesprochen. Wir sprachen über die Jagdgruppen in der Stadt, diejenigen, die sich auf dem Boulevard herumtreiben und Menschen umbringen!«
Ihr Lächeln verriet, daß sie begriffen hatte. »Ja«, sagte sie entschlossen und bediente ihre Instrumente. Der Manta röhrte auf, und zwei schlanke, helle Lichtkegel durchschnitten die Dunkelheit vor ihnen. Während das Fahrzeug einen halben Meter über dem Boden schwebte, schwang sich Dirk über den Flügel hinaus, ging zu dem eingedrückten Tor und benutzte seine schmerzende Schulter, um den zweiten Flügel weit genug aufzudrücken, damit dem Gleiter der Durchflug möglich wurde. Dann flog Gwen den Manta auf ihn zu, und er kletterte hinein.
Kurze Zeit später erreichten sie den Boulevard unweit des umgestürzten Wagens. Die hellen Scheinwerferkegel strichen über die ruhenden Gleitbänder und die längst verlassenen Läden, zeigten schließlich den langen Weg hinunter, der die schlanke Turmstadt Challenge umhüllte, bis er endlich den Boden erreichte.
»Es ist dir doch klar, daß wir uns auf der aufwärtsführenden Straße befinden«, bemerkte Gwen, »Der abwärtsführende Verkehr muß die andere Seite benutzen.« Sie zeigten über den Mittelstreifen hinaus.
»Nach den Normen von pi-Emerel ist das zweifellos verboten«, antwortete Dirk lächelnd. »Aber ich glaube nicht, daß die Stimme etwas dagegen einzuwenden hat.«
Gwen lächelte schwach zurück und berührte ihre Instrumente. Der Manta machte einen Satz nach vorn und nahm Geschwindigkeit auf. Immer schneller werdend, schoß der Gleiter ins graue Halbdunkel hinein. Rasch hatte sich Gwen auf die weitgeschwungene Spirale eingestellt, so daß sie kaum noch steuern mußte. Neben ihr starrte Dirk untätig auf die Etagennummern, während Korridor um Korridor hinter ihnen im Zwielicht verschwand.
Lange bevor sie etwas sahen, hörten sie die Braiths. Da war wieder dieses Heulen, das bellende Schreien, so wild, wie es Dirk noch nie von einem Hund gehört hatte, dazu verzerrt und noch unheimlicher durch den Widerhall auf dem Boulevard. Kaum hatte Dirk den ersten Laut der Meute vernommen, da schaltete er die Scheinwerfer des Gleiters ab. Fragend sah ihn Gwen an.
»Wir machen kaum Lärm«, sagte er. »Bei dem Geheul und sonstigem Krach werden sie uns wohl kaum so schnell hören. Wenn sie sich jedoch umdrehen, könnten sie das Licht hinter sich bemerken. Richtig?« »Richtig«, sagte sie. Nichts weiter. Sie konzentrierte sich ganz auf den Gleiter. In dem blaßgrauen Licht, das ihnen verblieb, wurde sie von Dirk beobachtet. Ihre Augen waren wieder aus Jade, hart und glänzend, so wütend, wie die von Garse Janacek manchmal aussehen konnten. Endlich hatte sie ihre Waffe — und die Menschenjäger waren irgendwo vor ihnen.
Kurz vor der 497. Etage kamen sie an verstreut herumliegenden Stoffetzen vorbei, die vom Sog des Gleiters aufgewirbelt wurden. Ein Stück, größer als die anderen, lag in der Mitte der Fahrbahn und bewegte sich kaum. Es waren die Überreste eines braunen Patchworkmantels. Voraus wurde das Geheul stärker, lauter.