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Dirk wischte sich mit dem Ärmel seines Hemdes über die nasse Stelle auf der Wange. Als seine Finger ihm schließlich verrieten, daß der dünne Riß zu verkrusten begann, wandte er sich in die Richtung, aus der Gwen sprach. Er war immer noch blind. »Also jagen sie uns weiter«, sagte er. »Das ist gut. Während sie sich überlegen, wohin wir geflogen sein könnten, werden sie keine Emereli töten. Und Jaan und Garse müßten bald hier sein. Ich glaube, nun ist es an der Zeit, daß wir uns verstecken.«

»Verstecken oder flüchten«, kam Gwens Antwort aus der Dunkelheit. Sie hatte die Scheinwerfer des Gleiters nicht wieder angeschaltet. »Mir kommt da ein Gedanke«, sagte Dirk. Er berührte noch einmal seine Wange. Dann fuhr er befriedigt fort: »Als wir im Kreisel fuhren, habe ich etwas bemerkt. Eine Rampe mit einem Schild. Ich habe sie nur ganz kurz im Scheinwerferlicht gesehen, aber sie hat mich an etwas erinnert. Auf Worlorn gibt es ein U-Bahn-Netz zwischen den Städten, nicht wahr?«

»Das stimmt«, sagte Gwen. »Aber die Züge sind verschwunden.« »Und wenn schon! Ich weiß, daß die Züge nicht mehr fahren, aber was ist mit den Tunneln?

Hat man sie zugeschüttet?« »Ich weiß nicht. Das glaube ich kaum.« Plötzlich leuchteten die Scheinwerfer des Gleiters wieder auf, und Dirk mußte die Augen wegen der plötzlichen Helligkeit zusammenkneifen. »Zeig mir dieses Hinweisschild«, sagte Gwen. Und wieder fuhren sie den Kreisel ab. Wie Dirk vermutet hatte, handelte es sich um einen Eingang zum U-Bahn-System. Eine flache Rampe rührte in die Dunkelheit hinab. Gwen stoppte ab und ließ den Gleiter ein paar Meter davon entfernt in der Schwebe, während sie mit den Scheinwerfern das Schild suchte. »Wir werden den Gleiter zurücklassen müssen,« sagte sie endlich. »Unsere einzige Waffe.« »Ja«, sagte Dirk. Der Eingang war für den grauen Metallmanta viel zu schmal, die Erbauer der U-Bahn hatten augenscheinlich nicht damit gerechnet, daß einmal jemand durch ihre Tunnel zu fliegen wünschte. »Aber vielleicht ist das gerade gut. Wir können Challenge nicht verlassen, und in der Stadt schränkt der Gleiter unsere Mobilität ganz entschieden ein. Stimmt’s?« Als Gwen nicht sofort antwortete, rieb er sich müde die Augen.

»Mir kommt es ganz logisch vor, aber vielleicht kann ich nicht mehr so klar denken. Ich bin erschöpft und habe wahrscheinlich Angst davor, mir das einzugestehen. Ich habe überall blaue Flecken und Schürfwunden und brauche dringend eine Mütze voll Schlaf.« »Nun gut«, sagte Gwen. »Die U-Bahn ist einen Versuch wert. Wir, können einige Kilometer zwischen uns und Challenge bringen und dann ein wenig schlafen. Ich glaube nicht, daß die Braiths uns dort unten vermuten und in den Tunneln jagen werden.« »Es geht also klar«, sagte Dirk.

Sie gingen sehr methodisch vor. Gwen setzte den Gleiter neben dem Zugang zur U-Bahn ab und nahm den Sensorenkoffer und die Geländeausrüstung vom Rücksitz. Auch an die Himmelsflitzer dachten sie und schlüpften in die Flugstiefel. Ihre anderen Stiefel ließen sie zurück. Bei dem Werkzeug unter der Haube des Banshee befand sich auch eine etwa fünfzig Zentimeter lange Taschenlampe aus Metall und Plastik, die ihnen bei ihrem Weg von großem Nutzen sein würde. Als sie zum Aufbruch bereit waren, behandelte Gwen sie beide noch einmal mit dem Antigeruchsspray. Dann mußte Dirk am Eingang warten, während sie den Gleiter halb um den Kreisel flog und am Straßenrand, nicht weit von einem größeren Korridor der ersten Ebene, stehenließ. Sollten die Braiths doch denken, sie hätten sich in das innere Ganglabyrinth von Challenge abgesetzt, dann würde ihnen eine feine, lange Jagd bevorstehen.

Dirk wartete im Dunkeln, während Gwen den langen Weg um den Baum zurückging und sich dabei mit der Taschenlampe den Weg leuchtete. Dann gingen sie gemeinsam die Rampe zur verlassenen U-Bahn-Station hinab. Dirk hatte sich den Abstieg kürzer vorgestellt. Er schätzte, daß sie sich schon wenigstens zwei Stockwerke unter der Oberfläche befanden. Schweigend folgen sie ihrem eigenen Licht, das von eintönigen, pastellblauen Wänden reflektiert wurde. Er dachte an Bretan Braith, der sich etwa fünfzig Etagen unter ihnen aufhielt. Ihn durchzuckte der verrückte Gedanke, daß in den Tunneln die Energie nicht abgeschaltet worden war, da sie sich schließlich außerhalb der Emerelistadt und damit auch jenseits von Bretans Machtbereich befanden. Aber natürlich war das U-Bahn-System schon lange vor der Ankunft von Bretan und der anderen Braiths auf Worlorn außer Betrieb gesetzt worden. Außer einer großen, hallenden Bahnstation, von der aus kreisrunde Wurmlöcher im Gestein in die Unendlichkeit hinausführten, fanden sie nichts vor. Im Dunkeln schien die Unendlichkeit gar nicht so weit zu sein. Im Bahnhof war es still, und diese Stille schien viel eher vom Tode herzurühren als die Lautlosigkeit auf den Korridoren von Challenge. Es kam ihnen vor, als gingen sie durch eine Gruft. Überall lag Staub. Die Stimme hatte in Challenge keinen Staub zugelassen, aber die unterirdischen Gänge gehörten nicht zu Challenge, waren nicht einmal von pi-Emerel erbaut worden. Ihre Schritte dröhnten erschreckend laut.

Bevor sie sich in einen der Tunnel begaben, prägte sich Gwen die Netzkarte genau ein. »Hier unten gibt es zwei Hauptstrecken«, sagte sie mit leiser Stimme. »Die eine Linie, eine Rundstrecke, verbindet alle Festivalstädte untereinander. Wie es scheint, fuhren die Züge in beide Richtungen. Die andere Strecke diente als Zubringer zwischen Challenge und dem Raumhafen. Jede Stadt hatte ihre eigenen Fahrzeuge im Pendelverkehr zum Raumhafen. Also, welchen Weg wollen wir nehmen?«

Dirk war erschöpft und gereizt. »Ist mir gleich«, sagte er.

»Welchen Unterschied macht es schon? Wir können es ohnehin nicht bis zur nächsten Stadt schaffen. Selbst für die Himmelsflitzer sind die Entfernungen zu groß.«

Gwen sah auf die Karte und nickte gedankenvoll.

»Zweihundertdreißig Kilometer bis Esvoch und dreihundertachtzig bis Kryne Lamiya, wenn wir die entgegengesetzte Richtung nehmen. Zum Raumhafen ist es noch weiter. Ich glaube, du hast recht.« Sie zuckte die Schultern, wandte sich um und wählte aufs Geratewohl eine Richtung. »Hier entlang«, sagte sie.

Sie wollten so schnell wie möglich eine größere Entfernung zurücklegen. Deshalb setzten sie sich auf den Bahnsteigrand und befestigten die Rechtecke aus Metallgewebe an ihren Flugstiefeln. Dann erhoben sie sich und begannen langsam in die von Gwen gezeigte Richtung zu fliegen. Sie flog voraus und blieb nur zwei Handbreit über dem Boden. Während sie die Lampe in der Rechten hielt, glitt ihre linke Hand leicht über die Tunnelwand. Dirk blieb hinter ihr und flog etwas höher, damit er ihr über die Schulter sehen konnte. Der Tunnel, den sie sich ausgesucht hatten, beschrieb eine lange sanfte Kurve und krümmte sich kaum merklich nach links. Es gab nichts zu sehen, das eine Unterhaltung gerechtfertigt hätte. Manchmal verlor Dirk völlig das Gefühl, sich zu bewegen, so gleichmäßig und eintönig verlief ihr Flug. Dann wiederum spürte er überdeutlich, daß er und Gwen in einem zeitlosen Gefängnis dahintrieben, während die Wände unablässig vorüberkrochen. Aber schließlich, als sie sich gut drei Kilometer von Challenge entfernt hatten, landeten sie auf dem Tunnelboden. Bis dahin hatte keiner von beiden etwas gesagt. Gwen lehnte die Taschenlampe gegen die grob behauene Wand. Sie setzten sich in den Staub und öffneten ihre Stiefel. Schweigend legte sie die Geländeausrüstung ab und benutzte den Packen als Kopfkissen. Kaum hatte sie den Kopf darauf gelegt, da war sie auch schon eingeschlafen. Er war allein. Sie hatte ihn verlassen.

Obwohl seine eigene Müdigkeit zunahm, war es Dirk unmöglich, sofort einzuschlafen. Stattdessen setzte er sich an den Rand des kleinen, blassen Lichtkreises — Gwen hatte die Lampe nicht ausgeschaltet — und sah sie an. Er beobachtete das regelmäßige Heben und Senken des Brustkorbes, das Spiel der Schatten auf Wangen und Haar, wenn sie sich im Schlaf bewegte. Ihm fiel auf, wie weit entfernt sie von ihm lag, und er erinnerte sich daran, daß sie sich seit Challenge nicht mehr berührt oder miteinander gesprochen hatten. Aber seine Gedanken waren zu sehr von Angst umnebelt, als daß er sich auf diese Tatsache konzentrieren konnte. Das besorgten schon seine Gefühle für ihn. Auf seiner Brust lastete ein schweres Gewicht, und auch die Dunkelheit in dieser staubigen Höhle unter der Oberfläche des Planeten bedrückte ihn stark. Schließlich knipste er die Lampe aus und mit ihr seine Sicht auf Jenny. Er versuchte zu schlafen, was ihm auch nach einiger Zeit gelang. Aber der Schlaf brachte Alpträume mit sich. Er träumte, mit Gwen zusammen zu sein, sie eng umschlungen zu halten und sie zu küssen. Aber als seine Lippen die ihren berührten, war es plötzlich nicht mehr Gwen. Es war Bretan, den er küßte. Bretan, dessen Lippen trocken und hart waren, dessen Glühsteinauge in der Finsternis scheußlich nahe funkelte. Und danach rannte er wieder.