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Die Wände verschwanden. Sie befanden sich wieder in Challenge. Diesmal sah er den wuchtigen Emerelibaum in seiner ganzen Großartigkeit. Es war ein blauschwarzer, knorriger Riese, dessen Äste tief über den sichtbaren Teil des Kreisels hingen, während seine höchsten Zweige bis an die im Schatten liegende Decke reichten. Es war Tag geworden. Die Einfahrt stand weit offen, und durch den Torbogen konnte Dirk den Fetten Satan und eine einzelne gelbe Sonne über dem Horizont stehen sehen. Ob sie nun auf- oder untergingen, vermochte er nicht zu sagen. Dazu war er viel zu desorientiert und zerschlagen. Zwei wuchtige Kavalargleiter standen neben der zur U-Bahn hinabführenden Rampe auf der Straße. Pyr ließ neben ihnen anhalten, und Dirks Bahre wurde abgesetzt.

Vergeblich versuchte er sich aufzurichten. Seine Glieder gaben sofort nach, und der Schmerz kam zurück, bis er aufgab und sich wieder hinlegte.

»Ruft die anderen herbei«, sagte Pyr. »Diese Angelegenheit sollte hier und jetzt erledigt werden, damit ich meinen korariel auf die Jagd vorbereiten kann.«

Während er sprach, hatte er sich vor Dirk aufgebaut. Alle drängten sich jetzt um die Tragbahre, selbst Gwen. Aber nur sie sah herab, und ihre Blicke trafen sich. Sie war geknebelt. Und müde und hoffnungslos.

Die anderen Braiths benötigten eine gute Stunde, um sich einzufinden. Für Dirk war es eine Stunde schwindenden Lichts und wiederkehrender Kraft. Es war Abend. Jenseits der Einfahrt sank Fetter Satan langsam außer Sicht. Die Dunkelheit nahm zu, wurde dichter und schwärzer, bis die Kavalaren sich schließlich gezwungen sahen, die Scheinwerfer ihrer Gleiter einzuschalten. Zu diesem Zeitpunkt war das Schwindelgefühl von Dirk gewichen. Pyr erkannte das und ließ ihm die Hände hinter dem Rücken binden. Er zwang ihn, sich aufzusetzen und gegen einen der Gleiter zu lehnen. Gwen wurde befohlen, sich neben ihn zu setzen. Den Knebel nahm man nicht fort.

Obwohl Dirk nicht geknebelt war, wagte er es nicht zu sprechen. Mit kaltem Blech im Rücken und von den Fesseln wundgeriebenen Handgelenken saß er da, wartete, beobachtete, hörte zu. Von Zeit zu Zeit versuchte er, Gwen ins Gesicht zu schauen. Aber sie hatte den Kopf auf die Brust sinken lassen und erwiderte keinen seiner Blicke. Sie kamen einzeln und in Paaren.

Die kethi der Braiths. Die Jäger von Worlorn. Sie kamen aus dem Schatten und aus dunklen Ecken. Wie bleiche Geister. Zuerst gab es nur Geräusche und verschwommene Schemen. Dann traten sie in den kleinen Lichtkreis und gaben sich als Menschen zu erkennen. Und selbst dann sahen sie nicht gerade menschlich aus. Der erste von ihnen führte vier große, rattengesichtige Hunde mit sich, und Dirk erkannte ihn.

Er war auf dem äußeren Boulevard gewesen. Der Mann band seine Hunde an die Stoßstange von Rosephs Gleiter, grüßte knapp Pyr, Roseph und deren teyns und setzte sich einige Meter vor den Gefangenen mit gekreuzten Beinen auf den Boden. Er sprach nicht ein einziges Wort und bewegte sich auch nicht mehr. Seine Augen hielt er starr auf Gwen gerichtet. Dirk konnte seine Hunde hinter sich im Dunkeln heulen hören. Ihre Eisenketten schabten und rasselten. Dann kamen die anderen. Lorimaar Hoch-Braith Arkellor, ein braungebrannter Riese in einem Anzug aus pechschwarzem Chamäleonstoff, den Knöpfe aus weißen Knochen zierten. Er traf in einem schweren, dunkelroten Luftgleiter ein. Unter der gewölbten Haube konnte Dirk ein Rudel Braithhunde erkennen. In Lorimaars Begleitung war ein bullig untersetzter Mann, doppelt so schwer wie Pyr, mit dickem, aber muskulösem Körper und einem blassen Schweinsgesicht. Hinter ihnen kam ein gebrechlich aussehender Veteran, allein und zu Fuß. Der kahle, runzlige und nahezu zahnlose Alte hatte nur eine Hand aus Fleisch und Blut, die andere war eine dreifingrige Kralle aus dunklem Metall. Mit Entsetzen bemerkte Dirk den Kinderkopf, der vom Gürtel des Alten hing und eines der beiden weißen Hosenbeine mit einer inzwischen rostbraun verfärbten Blutspur besudelt hatte.

Schließlich erschien Chell, hochgewachsen wie Lorimaar, weißhaarig, mit Schnurrbart und sehr müde. Er führte einen riesigen Braithhund mit sich. Innerhalb des Lichtkreises blieb er blinzelnd stehen. »Wo ist Euer teyn?« wollte Pyr wissen.

»Hier«, krächzte es aus der Dunkelheit. Einige Meter weiter leuchtete schwach ein Glühstein. Bretan Braith Lantry trat vor und stellte sich neben Chell, sein Gesicht zuckte.

»Es sind alle zusammengekommen«, sagte Roseph Hoch-Braith zu Pyr.

»Nein«, widersetzte sich jemand. »Koraat fehlt.« Der schweigende Jäger sprang vom Boden auf. »Er ist nicht mehr. Er bat um sein Ende, und ich habe es ihm gewährt.

Er war wirklich übel zugerichtet. Er war der zweite keth, den ich heute sterben sah. Der erste war mein teyn, Teraan Braith Nalarys.« Während er sprach, nahm er keine Sekunde lang die Augen von Gwen. Er beendete seinen Kommentar mit einem langen, atemlosen Satz in der Altkavalar-Sprache. »Drei von uns sind tot«, sagte der alte Mann.

»Wir werden ihrer schweigend gedenken«, sagte Pyr.

Er trug noch immer seinen Stock mit dem Hartholzknauf und der kurzen Klinge und schlug ihm beim Sprechen unablässig gegen sein Bein, genauso, wie er es im Tunnel getan hatte. Trotz ihres Knebels versuchte Gwen zu schreien. Pyrs teyn, der spindeldürre Kavalare mit dem unbändigen Haar, kam herüber und stellte sich drohend neben sie.

Aber der ungeknebelte Dirk hatte die Lage erfaßt. »Ich werde nicht schweigen«, rief er. Wenigstens versuchte er es. Seine Stimme wollte noch nicht recht mitmachen.

»Sie waren Mörder und verdienten den Tod.«

Alle Braiths blickten auf ihn.

»Knebelt ihn, bringt ihn zum Schweigen«, sagte Pyr.

Schnell leistete sein teyn diesem Befehl Folge. Als es geschehen war, ergriff Pyr wieder das Wort. »Du wirst noch ausreichend Zeit zum Schreien haben, Dirk t’Larien, wenn du nackt durch die Wälder rennst und meine Hunde hinter dir bellen hörst.«

Linkisch wandte sich Bretan um. Auf seinem Narbengewebe glitzerte Licht. »Nein«, sagte er. »Zuerst erhebe ich Anspruch.« Pyr sah ihm ins Gesicht. -»Ich verfolgte den Spottmenschen. Ich nahm ihn gefangen.«

Bretans Gesicht zuckte.

Chell, der noch immer die Hundekette um die Faust gewickelt hielt, legte seine andere schwere Hand auf Bretans Schulter. »Das geht mich nichts an«, sagte ein anderer. Es war der Braith, der am Boden saß und unbeweglich starrte. »Was wird aus der Schlampe?«

Sichtlich ungern wandten ihm die anderen ihre Aufmerksamkeit zu. »Sie können wir nicht bestrafen, Myrik«, sagte Lorimaar Hoch-Braith. »Sie gehört zu Eisenjade.«

Das Gesicht des Mannes verzerrte sich. Einen Augenblick lang war er kaum wiederzuerkennen. Die Grimasse erinnerte an ein Tier, unbekannte Emotionen kamen zum Vorschein. Dann war es vorbei. Seine Züge wurden wieder zu dem bleichen, unbewegten Antlitz, das keine Regung verriet. »Ich werde diese Frau töten«, sagte er. »Teraan war mein teyn. Sie hat seinen Geist auf eine seelenlose Welt verdammt.« »Sie?« Lorimaars Stimme klang ungläubig. »Ist das die Wahrheit?« »Ich habe es gesehen«, erwiderte der Mann am Boden, den sie Myrik nannten. »Als sie uns niederfuhr und Teraan sterbend liegen ließ, habe ich noch hinterhergefeuert. Es ist die Wahrheit, Lorimaar Hoch-Braith.«

Dirk versuchte, auf die Beine zu kommen, aber der spindeldürre Kavalare stieß ihn hart zurück und schlug, wie zur Bekräftigung seiner Handlung, Dirks Kopf gegen den Metallkotflügel des Gleiters. Dann sprach der schwächliche Alte — jener klauenbewehrte Veteran, der den Kinderkopf trug. »Dann nehmt sie zu Eurer persönlichen Beute«, sagte er mit einer Stimme, die so dünn und scharf war wie das Abhäutmesser, das er am Gürtel trug. »Die Weisheit der Festhalte ist alt und über alle Zweifel erhaben, meine Brüder. Sie ist nun keine echte Frau mehr, falls sie je eine war, weder Haltfrau noch eyn-kethi. Wer würde seine Stimme für sie erheben?